Kapitel 86

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POV Tim
Bielefeld, einen Tag vor dem großen Umzug
„Meinst du wirklich, dass das hier kein Fehler sein wird?"
„Nein, Timi."
„Und...was, wenn es nicht klappt? Wenn wir ständig streiten und uns dann am Ende trennen?"
„Das hatten wir doch schon tausendmal: wenn ihr jahrelang miteinander touren könnt, dann könnt ihr auch miteinander wohnen. Schluss, aus."
„Mann, Igor! Du bist mir echt keine große Hilfe. Ich verzweifle hier gerade, erlebe eine Lebenskrise und du...du bist einfach nur unnütz."
„Und da würde man denken, dass ich wahnsinnig tolerant bin, weil ich immer mit euch Idioten abhängen muss...naja. Ok, Tim, dann geh ich eben und du bist auf dich alleine gestellt."
„Igor! Mann, so meinte ich das doch..." Ich verstummte, als mein Freund aufstand und sich Richtung Tür bewegte. Er warf mir noch einen letzten empörten Blick zu, setzte sich seine rosafarbene Sonnenbrille auf und verließ dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren mein Haus.
„Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?", fragte ich mich selber, woraufhin Heisenberg seine Ohren kurz spitzte, ein Auge öffnete und dann wieder einschlief, als er merkte, dass es nichts für ihn gab. Ich zog die Mundwinkel nach unten und beugte mich dann zu meinem Hund, über dessen Fell ich kurz strich und seinen Nacken kraulte.
„Jaja, dir ist wohl auch nicht bewusst, dass du hier bald wegmusst, hmm?" Heisenberg wedelte als Antwort nur kurz mit dem Schwanz. Natürlich würde ich meine Tiere mitnehmen – ich konnte die beiden doch nicht einfach hierlassen! Lukas schien sich immer besser mit Heisenberg zu verstehen (anscheinend war die Eifersucht des Hundes verblüht) und Gustavo war eh alles egal, von dem her sollten die Viecher keine Probleme darstellen. Probleme würde einzig und allein ich bringen. Und Katastrophen auch.

Die nächsten Stunden verbrachte ich alleine; ich sprach mit mir selber, rauchte einen Joint nach dem anderen, stopfte mir immer wieder meine Bong, und kiffte mir die Birne zu, damit die ganzen Gedanken daran, was denn so Negatives mit diesem Umzug passieren könnte, einfach weggehen konnten, damit ich einfach einmal an nichts denken konnte. Oder ich dachte einfach, dass ich schon bald nicht mehr so leben konnte, wie ich es jetzt tat und deshalb ein letztes Mal richtig high sein wollte. Es machte mich total verrückt, diese Unsicherheit, diese Angst und dann natürlich auch die Aufregung, die Vorfreude, dass ich morgen, morgen schon, bei Lukas einziehen würde. Dass wir ab dann ein richtiges Team sein würden, dass wir nach fast vier Jahren endlich den nächsten Schritt gehen würden, der manchen zwar nicht als ganz so drastisch vorkommen würde, und mir dennoch unendlich viele Zweifel ins Gewissen rief. Ich liebte Lukas, keine Frage. Doch wie sehr ich ihn liebte, das wusste ich nicht. Oder ich hatte noch nie richtig in mich hineingehört, so lächerlich, wie das auch klingen mochte. Auch wenn das nicht gerade überzeugend klang: ich würde alles für Lukas tun, egal, was für Opfer ich bringen musste. Er war meine erste, große Liebe. Meine erste, richtige Liebe. Vor Lukas hatte ich immer nur mit Männern geschlafen, ich hatte zwar die eine oder andere Beziehung gehabt, doch die hatten mir nie etwas bedeutet. Zumindest nie auch nur annähernd so viel wie Lukas mir bedeutete.

POV Lukas
Berlin, zwei Wochen zuvor

Müde sah ich mich in der Wohnung mit den hohen Decken und dem Holzboden um. Eigentlich war sie schon sehr schön. In der Ecke könnte mein alter Sessel stehen, im dritten Zimmer, welches relativ klein war, könnte Timi malen. Und in der Küche...könnten uns jegliche kulinarischen Katastrophen passieren, die uns jedes Mal näher aneinander bringen würden.
„Und...wie ist es denn so, als Promi?", fragte mich James, dem die Wohnung in Friedrichshain gehörte, die ich mir gerade interessiert ansah.
„Hmm?", fragte ich, als ich mit dem Finger über eine altmodische Kommode mit Verschnörkelungen strich.
„Na, du bist doch dieser...dieser...Dings..." – er machte eine wedelnde Handbewegung – „Irgend so ein Tier...dieser...dieser Alligatoah, nicht?" Ich warf ihm einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu und seufzte dann. Das war's dann wohl. Schade eigentlich – mir hatte die Wohnung echt gut gefallen. Aber nicht mit diesem Typen als Makler. Ich räusperte mich und fuhr mir kurz durch die Haare, ehe ich mich direkt an den Typen wandte.
„Ich glaube nicht, dass das hier etwas wird." James sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.
„Aber..."
„Vielen Dank und alle Gute, ne?" Mit den Worten drehte ich mich um und verließ die Wohnung. Wenn ich nicht bald etwas Gescheites finde, dann würde ich nach Bielefeld ziehen müssen. Und dann hätte Tim gewonnen und mir würde es miserabel gehen, in diesem beschissenen Dorf.

Eine Stunde später

„Ja, Mann, keine Ahnung. Als er dann meinte, ich sei doch Alligatoah, wusste ich, dass das nichts wird. Der war einfach nur ein Arschloch; der dachte vermutlich, ich würde ihm nicht nur viel Geld meinerseits einbringen, sondern auch zukünftig, wenn andere Käufer erfahren würden, er habe mir eine Wohnung verklickt."
„Gut, Lukas. Ich weiß, dass es schwierig ist, als Promi etwas zu finden, aber so ist das nun mal. Bin froh, dass du dich dagegen entschieden hast", meinte Basti erstaunlich einfühlsam.
„Naja, für dich ist das doch auch nicht einfach, oder? Ich meine, du hast doch vor Kurzem dein neues Haus gekauft und..."
„Es gibt zwei Dinge, die Menschen beeinflussen, Lukas."
„Ja? Und was sind diese zwei Dinge?", fragte ich amüsiert.
„Geld und die Liebe." Als Basti Letzteres aussprach, musste ich lauthals loslachen.
„Die Liebe? Was verstehst du denn schon von der Liebe?"
„Dass sie die gleichen Gefühle wie Geld in mir auslöst. Vor allem wenn sich das Mädchen mir hingibt. Also, Goldkehlchen, bei der nächsten Wohnung will ich, dass du seriös erscheinst, unantastbar, trag eine Sonnenbrille, wenn's sein muss, rede so wenig wie möglich, interessiere dich nur für die Wohnung, nicht für den Makler."
„Ich bin nicht Sudden..."
„Nein, aber als Promi..."
„Mensch, Basti! Jetzt hör doch mal mit diesem Promigehabe auf! Ich will einfach nur eine schöne Wohnung in Berlin haben, mit Tim, wo wir ungestört sein können."
„Wie lange suchst du schon?"
„Eine Woche?!"
„Eben. So schnell geht das nicht. Sei froh, dass wir in Berlin und nicht in München sind. Da würdest du eh nichts finden." Ich grummelte zustimmend und seufzte dann.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?"
„Ach, ich weiß einfach nicht, ob ich die richtige Entscheidung treffe."
„Inwiefern?"
„Mit Timi zusammenziehen. Ob das richtig ist. Oder ob ich das ganz schön bereuen werde."
„Luki, das wird schon. Und wenn nicht, dann zieht einer halt wieder aus. Besser das, als dass ihr euch trennt." Beeindruckt schwieg ich kurz, ehe ich mich räusperte.
„Sag mal, Basti?"
„Was?"
„Bist du verliebt oder wieso kommst du so emotional rüber?"
„Ach, hör mir doch auf mit der verfickten Liebe, ich habe nur heute nicht gekokst und das verändert Einen ganz schön."
„Also doch verliebt."
„Nein! Und jetzt...finde endlich eine Wohnung und lass mich in Ruhe."
„Wie heißt sie?"
„Sarah und jetzt halt die Schnauze?"
„Ok, ok!", lachte ich, als er mir den Hörer ins Ohr knallte und schmunzelte den Rest des Tages über Basti.

Eine weitere Woche später fand ich dann endlich die perfekte Wohnung. Sie war mal wieder in Friedrichshain (ich konnte mir eigentlich gar nicht vorstellen, in einem anderen Stadtteil zu leben), war im obersten Stock, das hieß, dass wir das gesamte Obergeschoss für uns alleine hatten, da es die einzige Wohnung dort oben war, auch, wenn sie nicht gerade ein Penthouse war (wir lebten schließlich nicht in New York). Es gab vier Zimmer: unser Schlafzimmer, ein Gästezimmer, mein Studio und ein Atelier für Tim (das war eine der einzigen Bedingungen, die Timi an den Tag legte. Ansonsten ging er die ganze Sache sehr locker an). Dann gab es zwei Bäder – eins, welches durch den begehbaren Kleiderschrank unseres Zimmers erreichbar war, und eins in der Nähe des Wohnzimmers, welches durchgehend zur Küche ging. Und natürlich Holzboden – überall Holzboden und hohe Decken. Das war meine Bedingung.

„Und?", fragte mich der Makler vorsichtig. Er wusste, dass ich unheimlich wählerisch war, dass ich wusste, was ich wollte, und dass ich auch ganz genau wusste, was ich auf keinen Fall mochte. Lächelnd blickte ich nach oben an die Stuck-besetzte Decke, die Ikea-Lampen, und wieder nach unten, auf das dunkle Parkett, über welches ich kurz mit dem Fuß strich.
„Ja."
„Ja?"
„Ja." Etwas irritiert blätterte der Makler durch seine Papiere und hielt mir einen Stapel hin, welchen ich verträumt entgegennahm.
„Dann...füllen Sie diese aus und emailen Sie sie an mich. Sie sind zwar nicht der Erste Interessent, aber ich denke, dass der Besitzer gerne jemanden wie Sie haben will."
„Jemanden wie mich?"
„Ja, Künstler eben. Das sieht immer gut aus, wenn man verschiedene Arten von Mietern erlaubt. Wenn nicht alle Bewohner so langweilig sind." Letzteres sprach er mit einem Lächeln aus. Ich hob die Augenbrauen und ließ meine Finger über einen der altmodischen Türklinken fahren.
„Na dann, Herr Strobel. Wir sehen uns sicher bald, wenn Sie die Kaution bezahlen." Der Makler lächelte mich an und drehte sich dann auf dem Absatz um, ehe er stehen blieb und sich wieder mir widmete.
„Ach, und – ich hoffe wirklich, dass Sie diese Wohnung bekommen. Sie passen hier gut rein. Es würde mir eine Ehre sein, Sie zu einem meiner Kaufabwicklungen zählen zu können. Schließen Sie einfach die Tür hinter sich, wenn Sie gehen. Sie schließt sich von selber ab." Er zwinkerte mir zu und verließ dann die Wohnung. Und ich sah mich wieder um, lief durch jedes Zimmer zum dritten Mal, konnte mir genau vorstellen, was wo stehen würde, was wir auf der Couch machen würden (ja, nicht gerade jugendfreie Dinge), wo Tim sein künstlerisches Ich austoben konnte, wo ich Musik machen würde, wo wir uns lieben würden. Es würde einfach wundervoll sein.

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