TEIL 58

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Helene hatte irgendwann begriffen, dass es sinnlos ist, sich zu wehren, dass es alles nur noch schlimmer machte, als folgte ihm widerwillig, ließ ihre Tränen einfach stumm über ihre Wangen rennen.
Er hatte sie in einen großen, hellen und offenen Raum geführt, welcher modern eingerichtet war. Endlich ließ er von ihr ab, sie konnte seine Berührungen kaum noch ertragen.
"Du wirst eine ganze Weile hier bleiben, also fühl dich einfach wie zu Hause."

Sie verstand nicht, was er damit meinte, obwohl sie es eigentlich wusste, aber sie konnte es nicht begreifen, sie konnte in ihm nichts sehen, außer ein Monster.

"Es gibt gleich Abendessen, ich will, dass du dich hübsch machst.", befohl er regelrecht, woraufhin Helene ein merkwürdiges Gefühl überkam. Sie kam sich vor, wie sein Spielzeug. 

"Ich kann dir zeigen, wo du schläfst.", meinte er abwesend und griff dann wieder nach ihrem dünnen Handgelenk.

Sie zuckte, dann hielt er inne, da er Angst hatte, er hätte ihr gerade den Arm gebrochen, so dünn war sie.

Ihre Augen hingen an ihrem Handgelenk, welches noch immer umklammert wurde.

"Bist du krank?", fragte er und Helene erkannte so etwas wie Besorgnis in seinen Augen.

"Wieso?" Sie verstand es nicht, wieder einmal. Sie verstand auch nicht, warum jeder dachte, sie wäre zu dünn, da sie sich selbst nicht dünn fand. Sie fand sich einfach normal. Normal und billig.

"Das ist doch nicht gesund.", entgenete er, musterte dann ihren gesamten Körper, allerdings nicht aus Gier. Es war wie ein Unfall, bei dem man nicht wegsehen kann.

Jeder centimeter ihres Körpers wurde genaustens betrachtet, alles. Ihm fielen ihre knochigen Hände auf, die meistens eisig kalt waren, ihr schmales Gesicht, ihre ebenso schmale Taille, ihr Schlüsselbein, welches so auffällig unter der dünnen Haut hervorragte, dass es schon fast an ein, in haut gehülltes Skelett erinnerte. Das war sie im Grunde genommen auch.

Helene zuckte nur mit den Schultern, sie verstand nicht worauf er hinaus wollte.

"Wann hast du das letzte mal etwas gegessen?", fragte er und schaute ihr dabei genau in die Augen.

"Ich weiß es nicht." Sie schaute unter sich.

"Du hast eine Essstörung, oder?"

Helene er erschrak sich, dass er so offen war.

"Nein. Nicht das ich wüsste.", scherzte sie, mit dem Wissen, dass es kein angebrachter Zeitpunkt für einen Witz war.

"Lüg mich nicht an, du steckst du dir doch jede Nacht den Finger in den Hals.", schrie er sie ungewollt an. Eigentlich wollte er ihr gegenüber nicht laut werden, aber seine Besorgnis ließ es ihn tun.

Helene schaute beschämt unter sich, sie fühlte sich ertappt.

Er seufzte kurz.

"Komm."

Sie lief hinter ihm her, eine große Treppe nach oben, er führt sie dann in ein großes Zimmer, welches Wohl ihres war.

"Zieh dir bitte etwas anderes  an, ich erwarte dich zum Essen."

Sie stand schüchtern in dem großen Raum, wusste nichts mit sich anzufangen.

"Das Bad ist nebenan."

Helenes Körper zitterte unermesslich.

"Ich erwarte dich."

Sie wagte es beinahe nicht, ihn anzuschauen, das Gefühl, er würde alles über sie wissen, plagte sie ständig.

"Das war keine Bitte, sondern eine Aufforderung."

Er schlug die Tür hinter sich zu und sie blieb alleine zurück. Ungeheure Trauer machte sich in ihr breit, aber sie konnte nicht mehr weinen, warum auch immer.  // nach längerer zeit geht es mal wieder weiter :)

CARMEN - A woman's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt