TEIL 71

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Obwohl Helene tief in ihrem Inneren einen enormen Hass auf Alexander verspürte, konnte und wollte sie ihn gerade nicht loslassen. Sie war immernoch der festen Überzeugung, dass dieser Mann nichts weiter als ein Monster war, aber im Moment war er für sie ein Mensch. Ein ganzer normaler Mensch, der jetzt einen 
brauchte, der ihn hält, weil er zu oft im Leben schon losgelassen wurde.

Er selbst war erfüllt von tausenden entschuldigen und Selbstvorwürfen. Warum konnte er sich nicht kontrollieren? Warum war er tatsächlich das Monster, dass jeder in ihm sah? Er wusste manchmal selbst nicht was in ihm vorging. Der Drang irgendjemandem weh zu tun, war viel zu groß, doch gerade hatte er das Gefühl, sich selbst für seine abgrundtief ekelhaften Taten zu bestrafen.

Als er sich wieder löste, sah er  sich sein 'werk' an, dass er an ihrem Hals hinterlassen hatte. Es war unbegreiflich für ihn, warum er ihr sowas angetan hatte. Er verstand es schlichtweg nicht.

Helene folgte seinen Blicken, ihr Atem war immernoch ziemlich schwer. Sie hätte schmerzen, aber sie kannte es nicht anders, weshalb sie einfach ausblendete, so wie sie es über die Jahre gelernt hatte.

"Sind diese Stimmen noch da?", fragte Helene zaghaft, da sie tatsächlich ein wenig Angst vor seiner Reaktion hatte.

"N-Nein. Sie sind weg."

Helene lächelte ihm aufmunternd zu.

"Das ist gut.", seufzte sie daraufhin leise, sie war erleichtert, weil sie wusste, dass die Chance, dass er ihr weh tun könnte, gerade erheblich gesunken war.

Für Helene war es nichts als Chaos, was in ihr vorging. Ihre Angst vor ihm war immernoch unsagbar groß, aber sie wusste, dass er ihr nicht absichtlich weh tun würde, so wie anderen Frauen.

"Lass uns was frühstücken.", meinte er abwesend während er sich wieder anzog. Auch Helene zog sich ihre Klamotten wieder über, schaute dann jedoch unsicher an sich herab.

"Ich hab keinen Hunger.", entgegnete sie ihm zögernd und leise, da sie seine Reaktion zu diesem Thema mittlerweile ganz gut einschätzen konnte.

"Hör auf solchen Mist zu reden und setzt dich an den Tisch."

Helene blieb jedoch auf dem Sofa sitzen. Gegen seine Foderung. Die Folgen waren ihr in diesem Moment  mehr als klar gewesen.

"Carmen."

Helene reagierte nicht, im Moment fühlte sie sich wieder wertlos, schmutzig, billig, benutzt und ekelhaft und hätte sich am liebsten in ihrem Zimmer eingeschlossen, wo sie gerne in Tränen ausgebrochen wäre, stattdessen blieb sie still, erstarrt und richtige ihren leeren Blick ins nichts.

Alexander hasste diesen Blick von ihr, obwohl er selten etwas anderen gesehen hatte. Er hasste es abgrundtief, weil er mit einem mal alles sehen konnte was ihr je widerfahren war. Jeder Schlag, den sie als kleines Mädchen von ihrem akoholabhöngigen Vater kassieren musste, jede Drohung, die ihr erster Freund hat aber werden lassen, jede Nacht, in der sie sich in den Schlaf geweint hatte, jeden Abend, an dem sie sich verkaufen musste und jeder heimliche Zusammenbruch, den niemand jemals mitbekommen hatte. Das alles, spiegelte sich in ihren Augen und Alexander war sich sicher, dass es in ihrem Inneren genau so leer war, wie ihr Blick.

Er hätte ihr jetzt gerne irgendwie geholfen, aber war wieder einmal zu sehr damit beschäftigt, stark zu sein.

"Komm jetzt, bitte."

Unsicher stand Helene dann schließlich doch auf, noch immer sehr wackelig auf den Beinen, aber sie versuchte trotz allem selbstsicher zu wirken.

Sie setzte sich ihm gegenüber, aß dann bloß eine Schüssel Müsli, mehr nicht.

"Warum isst du nicht mehr?", durchbrach Alexander schließlich die eingekehrte stille.

"Ich bin nicht hungrig." Sie richtete ihren Blick ständig unter sich, am liebsten hätte sie sich jetzt die Finger in den hals gesteckt, sie fühlte sich ekelhaft.

"Ich weiß woran du denkst." Er musterte sie streng, da er wirklich wusste, dass sie momentan gerne zur Toilette rennen würde, um das wenige was sie gerade zu sich genommen hatte, wieder loszuwerden. "Hör auf daran zu denken.", forderte er.

Es entstand ein unangenehmes und peinliches schweigen zwischen den beiden, bis Helene sich entschied, dies zu ändern und die Stille, zögernd zu durchbrechen.

"Darf ich eigentlich wieder telefonieren? Nur kurz."

In den letzten Stunden hatte sie kaum an etwas anderes gedacht, als an Daniel und das Bedürfnis ihn zu hören war unermesslich groß. Er wollte ihm einfach sagen, dass es ihr gut geht, auch wenn es nicht so war. Sie sollte ihn lediglich beruhigen. Eigentlich würde er ihr es nicht abkaufen.

Wieder trafen sie diese strengen und beinahe wütenden Blicke, es eine Qual diesem ausgesetzt zu sein, genau so wie es eine Qual war, nicht zu wissen, was er als nächstes tun wird.

Obwohl Alexander Sie für diese Frage gerne geohrfeigt hatte, blieb er einfach still sitzen. Er fand es eine Frechheit, dass sie überhaupt den Mut hatte so etwas zu fragen. Sie sollte ihm gehören. Ihm alleine und sonst niemandem.

Allerdings fiel ihm sein schreckliches Verhalten schbell genug wieder ein, deshalb wollte er ihr diesen Gefallen nicht abschlagen.

"Eine Minute."

"Danke."

Helene fühlte sich erleichtert, seine Reaktion war um Welten anders als sie sich es vorgestellt hatte, allerdings wusste sie nicht, dass sie sich bald wünschen würde, das Telefonat nicht geführt zu haben. || habt ihr Ideen warum? 👀

CARMEN - A woman's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt