TEIL 74

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Sie standen sich einfach eine ganze Zeit lang gegenüber, ohne ein Wort zu sagen. Lediglich das schluchzen der jungen Frau durchdrang kurz und in unregelmäßigen Abständen die unangenehme Stille.

Obwohl Helene kaum mehr als eine Woche mit diesem fremden, teilweise doch so vertrauten Mann, verbringen musste, konnte sie eine gewisse Reue aus seinen Augen herauslesen.

"Tu es nicht."

Helene war erschrocken darüber, wie schwach ihre Stimme klang und dennoch wusste sie, dass ihre Worte trotzdem eine verdammt große Wirkung
auf Alexander haben konnten.

"Bitte."

Sie konnte nicht mit dem Gedanken leben, daran schuld zu sein, wenn dieser jungen Frau, die ihr Leben vermutlich noch vor sich hatte, etwas zustößt. Es war ihre Schuld, das wusste sie ganz genau, und sie wollte nicht, dass die Situation in irgendeiner Art eskaliert.

Alexander wusste sich kaum zu helfen. Ihm war mehr als deutlich anzusehen, dass er  das - was auch immer er vorhatte - eigentlich nicht tun wollte, allerdings war ihm genau so deutlich anzusehen, dass ihn irgendetwas dazu trieb, seine aufgestaute Wut irgendwo auszulassen.

Für den Bruchteil einer Sekunde warf Helene einen flüchtigen Blick zu der unbekannten, die immernoch um ihr Leben bangend auf dem Boden saß und verstört zu ihr hoch sah.

Es war unmöglich für sie nachzuvollziehen, wie Helene keine Angst vor ihm haben konnte, geschweige denn so vertraut mit ihm umgehen konnte. Dennoch legte sie einen gewissen funken Hoffnung in Helene. Sie vertraute ihr einfach. Sie würde schon wissen was sie tut.

Nachdem Alexander sich immernoch nicht in irgendeiner Art geäußert hatte, sondern stattdessen beinahe animalisch, zu Helene rüberschaute, beschloss diese einen kleinen Schritt auf ihn zu zu machen. Wohl war es ihr dabei nicht.

Sie näherte sich ganz vorsichtig, sie wusste zu was er in der Lage war, aber sie war sich auch unsicher, ob vor ihr immernoch die gleiche Person stand, welcher sie am Tag zuvor so viel Vertrauen geschenkt hatte.

Ihre kalte Hand zitterte unermesslich, als sie diese ausstreckte um nach seiner zu greifen. Sie wusste was sie damit anstellen konnte, das hatte sie mittlerweile gelernt, auch wenn sie es nicht verstehen konnte.

Ihre Blicke lösten sich nicht voneinander.

Ein leichtes zucken fuhr durch Alexanders Körper, als sich ihre Fingerspitzen leicht berührten. Er war ein klein wenig erschrocken darüber, dass ihre Hand so kalt war, doch dann fiel ihm ein, dass sie das ständig war. Er hatte noch nie erlebt, dass Helene warme Hände hatte, das fiel ihm jetzt erstmals bewusst auf.

Er lies die Berührung zu und machte keinerlei Anstalten die Nerven komplett zu verlieren.

Als Helene sich sicher war, dass er ruhig bleiben würde verstärkte sich ihr Griff schließlich und sie umklammerte seine Hand.

Erst jetzt löste sich Alexanders Blick von ihrem und er schaute verunsichert auf ihre Hände, dann wieder zu ihr auf.

"Ich weiß, dass du das nicht willst."

Beide blendeten die junge Frau, die das Geschehen verwirrt verfolgte, komplett aus.

Alexander schien die ganze Zeit über wie versteinert, benebelt und abwesend, als stecke er in einer fremden Hülle.

Vorsichtig legte Helene schließlich ihre Hände an seine wangen. Sie wollte ihn lediglich beruhigen, was für wenige Sekunde tatsächlich zu klappen schien.

Er blickte beschämt nach unten und schloss dann die Augen, Helene wollte schon erleichtert ausatmen - da auch sie in seiner Nähe ständig um ihr Leben fürchtete, auch wenn man ihr das kaum anmerkte - doch er hob seinen Blick wieder. Das glänzen aus seinen Augen war verwunden, sie blitzten stattdessen bedrohlich.

"Lass das, Carmen." ,zischte er wütend, doch Helene wollte nicht reagieren.

Eine ganze Zeit verging, in der nichts passierte. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

"Ich hab gesagt du sollst das lassen." ,donnerte er, riss sich aus ihrem Griff und verpasste ihr einen Stoß und sie schlug mit einem dumpfen Ton gegen die Wand hinter sich.

CARMEN - A woman's StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt