"Ivana, Tay! Kommt ihr bitte!" Hörte ich meine Mutter rufen. Sie saß in der Küche, ich eilte um die Ecke, auch Tay war auf dem Weg. Sie sah besorgt aus. Ihre langen Locken hatte sie zu einem Zopf gebunden und die Ader über ihrer Schläfe pochte. Das war kein gutes Zeichen. Meine Schwester Taynara und ich Ließen uns auf die Hocker neben sie fallen und sahen sie erwartungsvoll an. Sie holte tief Luft, dann begann sie zu sprechen "ihr wisst ja schon länger, dass wir pleite sind. Das Geld ist weg, der Hahn ist zu. Ich dachte das gesparte von eurem Vater reicht, aber das tut es nicht. Seit dem er-" sie schluckte "von uns gegangen ist, ist es noch schwerer als zuvor, das wisst ihr ja. Aber das es so schwer wird hätte ich nie gedacht." Sagte sie und sah uns an. Ich schluckte. Jetzt wendete sich meine Mutter an mich, nahm meine Hand in ihre uns sah mich fest an "Ivana, ich habe ein Jobangebot für dich. Es ist unsere letzte Chance. Ich habe es von Coral bekommen, eine alte Bekannte aus meiner Zeit in São Paulo,es ist-" erzählte sie, doch Tay unterbrach sie. "Mom? Können wir denen trauen?" Fragte sie ängstlich. Ich sah meine kleine Schwester an "Tay, wir können keinen Wert mehr darauf legen, wem wir trauen können. Jedes Jobangebot kann uns den arsch retten" sagte ich. Tay nickte traurig und meine Mutter fuhr fort "es ist in Europa. Wo genau weiß ich nicht. Ich weiß nur das es 1 Jahr dauert und wenn alles glatt läuft hatten wir damit ausgesorgt." Sagte sie. Meine Augen wurden groß "Wie bitte? Sag das nochmal? Ich würde für ein Jahr soviel Geld bekommen, dass wir nie wieder arbeiten gehen müssten?" Fragte ich und auch Tay machte große Augen. Meine Mom biss sich auf die Lippe, lächelte leicht und nickte. Ich sprang auf. "Ich nehme das Jobangebot an, ist mir egal. 1 Jahr werde ich überleben." Rief ich. "Okay Ivana, ich sage zu, aber es geht leider schon übermorgen los" sagte sie und sah mich prüfend an. Ich schluckte. "Ist okay" sagte ich und trat nach draußen. Nach draußen, in die Slums von Rio de Janeiro. Am Aufstieg des Zuckerhuts in den Favelas. Ein Ziegelsteinhaus mit Wellblech als Dach. 4 Zimmer immerhin. Sogar ein kleiner Garten, in dem meine Mutter und ich im Sommer versuchten Früchte anzubauen, was bisher kaum gelungen war, da in der Nacht die Gangs ihr Unwesen trieben und ihre Verfolgungsjagden Quer durch die Gärten machten. Daher ist auch das Loch im Dach in meinem Zimmer entstanden, einer der guerros hatte es mit seiner Pistole durchgeschossen, da war ich gerade mal 4 Jahre alt. Seitdem war dort ein Loch, meine Eltern hatten es mit wolle gestopft, die bisher auch hielt, aber wenn es stark regnete, tropfte das Wasser durch. Dafür hatte wir eine kleine Schale die das Regenwasser auffing.
Früher als mein Vater noch lebte war alles besser. Die Sonne hat stets für uns geschienen, meine Mutter hat viel mehr gelacht, unsere Hütte kam uns doch nicht so klein und trostlos vor, wir hatten keine Geldprobleme und waren alle glücklicher. Bis zu dem Tag, an dem mein Vater von der brasilianischen Polizei erschossen wurde. Er stand vor seiner Werkstatt- mein Vater arbeitete als Automechaniker- mit Freunden. Ein paar von ihnen waren in schmutzige Geschäfte verwickelt, fragt mich nicht wie schmutzig, ich weiß es selber nicht. Jedenfalls wurden sie erwischt. Mein Vater, ein gestandener Mann, hatte mit all dem nichts zu tun und wollte seinen Ausweis ziehen, um ihn den Polizisten zu zeigen. Ein verhängnisvoller Fehler, die Geste, die mein Vater machte um seinen Ausweis zu zücken, wurde falsch verstanden. Sie dachten er würde seine Waffe ziehen und schossen auf ihn. 7 Kugeln. 3 davon mitten ins Herz. Damals war ich 15. Ich habe mir lange Rache geschworen. Rache an den Polizisten, Rache an meinem Land. Die Ermordung eines unschuldigen Familienvaters hatte ich bis jetzt noch nicht verstanden. Vor allem aber habe ich die Rache für Tay und meine Mutter geschworen. Tay, meine kleine Schwester, heute 12, damals 8, hatte es lange nicht verstanden, wahrscheinlich bis heute nicht. Und was meine Mutter angeht. Sie rutschte nach dem Tod meines Vaters in ein tiefes Loch, aus dem sie nur schwer wieder raus kam. Ihr müsst wissen, das mein Vater früher besseres gewohnt war, als unter den Bedingungen unter denen wir lebten. Er stammte aus einer wohlhabenden brasilianischen Familie aus Natal, einer Kleinstadt an der Küste. Er ging zur Schule und hatte sogar studiert. Bis der dann meine Mutter kennenlernte. Ein einfaches Mädchen aus den Favelas in Rio de Janeiro. Wie das Leben so läuft: der Löwe verliebt sich in das Lamm. Und zwar unsterblich. Leider war nicht jeder für die Beziehung. Die Familie meines Vaters stellten ihm ein Ultimatum. Entweder sie oder seine Familie. Er entschied sich für meine Mutter. Zog zu ihr in die Favelas. Das muss liebe sein, oder? 3 Jahre später kam ich zur Welt. 7 Jahre später Tay. Wir waren alle mehr als glücklich zusammen. Bis zu dem Tag an dem mein Vater als dem Leben gerissen wurde. Meine Mutter gab sich lange Zeit die Schuld dafür. Hätte sie damals nicht zugelassen, dass er alles für sie aufgibt, dann wäre er heute nicht tot. Ich hab ihr versucht zu erklären, dass das quatsch ist, aber ich weiß bis heute nicht ob sie es überwunden hat.
Als er weg war, war ich für alles zuständig. Als mein Vater noch lebte, herrschte in unserem "Haus" Chaos. Aber fröhliches Chaos. Während mein Vater Tay dazu verdonnert hatte das Klo zu putzen, tanzte er mit meiner Mutter Samba durch die Küche obwohl sie eigentlich gerade Quiche zum Mittagessen machen wollte. Manchmal bilde ich mir ein ich höre ihr Lachen, als er sie an der Taille durch unsere winzige Küche gewirbelt hat.
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Alles für eine gute Show
Fanfic"Schöne Augen" "Kann ich nur zurück geben" Um den brasilianischen Slums zu entkommen nimmt Ivana ein Jobangebot in Barcelona an. Doch wenn sie gewusst hätte was sie dort erwartet, wäre sie vielleicht doch lieber in Rio geblieben...