5. September 2015: Mein persönlicher Albtraum (Teil 1)

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Jay:

Alles, was ich über meinen bisherigen Zustand wusste, war dass ich fuhr, mit einem Wildfremden irgendwohin, um kurz nach Mitternacht und das wegen einem Pakt, der mich aus dem Gefängnis holen würde, aber auch direkt möglicherweise sogar zu dem geheimnisvollen Versender der Nachrichten. Wow. Manchmal war es doch gut, dass meine Mutter nicht mehr am Leben war. So wie jetzt hätte sie mich garantiert nicht sehen wollen. Ich versuchte, mich natürlich und entspannt zurückzulehnen, in diesem Beifahrersitz neben dem Unbekannten...aber wie wolltet ihr das schaffen? Trotz allem behielt ich meinen mutigen Gesichtsausdruck, denn Angst zu zeigen war manchmal zwar gut, aber nicht in diesem Fall.

Der schwarze Mercedes kam für sein Gewicht erstaunlich gut in die Kurven und ich fragte die Frage, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge nur so brannte: „Wieso sind wir nicht geswitcht? Diese Distanz bisher ließe sich damit bestens bewältigen und dieser Waldabschnitt ist völlig verlassen, also würde es keiner bemerken." Und es würde keiner bemerken, wenn ich womöglich dort sterben würde. Ich musste mir ein ängstliches Schlucken verkneifen. Der größere Mann musterte mich amüsiert aus seinen violett schimmernden Augen „Weil jeder Verfluchte hier ebenso aktiv ist und wir wollen doch nicht auffallen, oder?" Ich nickte nur stumm, während er plötzlich anhielt und ausstieg. Neugierig blickte ich aus dem Fenster, aber wir standen inmitten von einem Wald und keine Spur von einem Gebäude, einem Tier oder überhaupt einer Menschen- oder verfluchten Seele!

„Steig schon aus!" hörte ich die tiefe Stimme des Mannes draußen. Bevor ich wusste, was ich da eigentlich tat, stieg ich aus, spürte die warme Nachtluft, die mich sofort empfing, roch den Wald um mich herum...und schaute nach oben, um gleich in die tiefe Dunkelheit der Nacht zu blicken.


Scarlett:

Rache. Dieses Wort war mir bis jetzt immer noch nicht aus dem Kopf gegangen. Wieso hatte Ryan das gesagt? Vor allem, an wem wollte er Rache nehmen? Eine Panikwelle stieg in mir auf, könnte ich oder irgendjemand, den ich kannte, es sein? Wenn ja, musste ich schnellstens mit Ryan sprechen! Laut Alexs Aussage und den vorherigen Vorkommnissen mit den Morden schien er mehr als verrückt zu sein, wenn nicht schon gleich psychisch labil!

Ich kramte mein Handy heraus und versuchte, ihn zu erreichen...aber Fehlanzeige! Als nächstes konzentrierte ich alle meine Sinne auf ihn und versuchte, ihn zu orten, aber wieder war es ein Fehlschlag ins Wasser. Oder dieses verdammte Haus hatte kein W-LAN! Urg, ich hasste solche alten Dinger! Im nächsten Moment lächelte ich plötzlich, wenn er nicht zu mir kam, dann würde ich eben zu ihm kommen, nur wie? Diese Putzfrauen hier waren hyperaktiv und verpfiffen jeden, der versuchte, hier rauszukommen.

Es war bald schon wie in einem Gefängnis. „Nur, dass ich keinen orangenen Anzug trage und keine schwarzhaarige Zellengenossin habe. Kein Gefängnis macht Spaß, wenn es nicht das von „Orange is the New Black" ist." Dachte ich und kramte durch meine Klamotten, bis ich ein Kleid von meiner Mutter fand. Iiih, was hatte das denn hier zu suchen? Weg damit! Plötzlich, als ich das Kleid berührte, begann mir leicht schwindlig zu werden. Hatte ich heute Morgen doch zu viel von dem Vanille Pudding aus der Kantine gegessen? Verdammt, haute das mich um, aber zu meinem Lieblingsnachtisch konnte selbst ich nicht Nein sagen! Das waren meine letzten Gedanken, bevor ich stolperte und mich wie in Zeitlupe dem Boden näherte. Es waren bestimmt nur ein paar Sekunden, die vergingen, aber für mich fühlte sich es wie eine Ewigkeit an, bis ich...Moment mal...

Ich schlug sofort die Augen wieder auf, erwartete auf die Decke meines Minizimmers zu sehen, aber....ich war so geschockt von dem Anblick, dass ich mich selbst kniff, um ein leises „Autsch" zu stöhnen. Ja, ich war wach und trotz allem schien es, als würde ich träumen. Ich lag auf meinem Himmelbett in meinem Zimmer. Ich seufzte erleichtert, gut...dann war das ganze Outen nur ein Traum gewesen? Sofort sprang ich auf und sah durch das Fenster: Aber zu meinem Schock saß dort keine Mary mit ihrem Handy und Ohrstöpseln im Ohr wie sonst gegenüber! Nein, das Haus stand leer, das Fenster war kaputt. Als hätte sich nie etwas geändert... Noch einmal kniff ich mich, was zum Teufel ging hier ab? Irgendein Scherz? Jetzt blickte ich mich in meinem Zimmer um und merkte, dass auch es sich verändert hatte. Es war immer noch in einem Rosa Ton gestrichen, wie früher mein Kinderzimmer. Ich erkannte mein Schaukelpferd und meinen...ich schreckte zurück, sobald ich den Spiegel sah. Ich hasste diese Dinger, eindeutig hatte ich so etwas wie eine Spiegelphobie oder eher eine gegen meine zweite Persönlichkeit, die in den letzten Tagen erstaunlich ruhig gewesen war.

„Mama! Bist du das?" Hörte ich eine kindliche, melodische Stimme hinter der Tür fragen und dann tapsten kleine Schritte zu der Tür. „NEIN! Ihr wollt mich verarschen oder?" Sofort kroch unter das Bett und schluckte gleich ein paar Staubflusen, bäh, SEHR ladylike! Und wie ich mich vermutet, stand sie da. Sie mit ihren blonden Engelslocken und den hellgrünen Augen. Sie betrachtete sich zufrieden im Spiegel, murmelnd: „Komisch, ich dachte, ich hätte was gehört..." Ich musste mich noch einmal kneifen, bis ich es akzeptieren konnte: Das vor mir war tatsächlich mein junges Ich mit neun Jahren! „Oh du weißt nicht, was dir in einem Jahr blüht..." Dachte ich schaudernd, während ich grübelte. Wenn alles hier so alt war und ich gerade mein jüngeres Ich betrachtete, konnte das nur eines heißen: Ich war in meiner Vergangenheit! Warte, wie...konnte das möglich sein? Wieso war alles noch so vertraut? Wie war ich hierhergekommen? Meine Birne explodierte vor lauter Fragen.

Jetzt klopfte es an der Tür und ich näherte mich vorsichtig der Kante meines Bettes, damit ich alles besser verstehen konnte. Ich, also mein jüngeres Ich öffnete die Tür, um eine jüngere Mama (Puh, das war komisch!) hineinzulassen. Meine Mutter saß sich genau auf mein Bett, womit auch ich einen Teil von der Matratze in meinen Rücken gerammt bekam. Ernsthaft, Mama? Meine Mutter fragte: „Und Scarlett, wie findest du das neue Kleid?" Mein jüngeres Ich drehte sich in einem perlmut weißen Kleid einmal um sich selbst und schaute dann in den Spiegel „Wunderschön...ich sehe darin wie eine Prinzessin aus." „Was du auch bist." Meine Mutter stand neben den Spiegel und lächelte mich zuversichtlich an. Ich erinnerte mich an diesen Tag. Damals hatte ich noch nicht ihr falsches Lächeln gekannt, nun erkannte ich es wieder.

Dasselbe, was sie mir die ganzen Jahre beigebracht hatte. Und in diesem Moment traf es mich wie ein Blitz, sie hatte mich schon früher manipuliert, diese ganzen Komplimente... Sie wollte mich zu etwas machen, dass ich gar nicht war, so wie meine zweite Persönlichkeit. Aber warum? Vorsichtig beobachtete ich die beiden, bis meine Mutter wieder verschwand und zu meiner Überraschung später niemand anderes als eine kleine Alex im Türrahmen stand. Sie war eben falls wie ich in einem weißen Kleid, trug aber die Haare zu einem Zopf. „Ist das Muttermonster weg?" Fragte sie grinsend und ich hörte mich sagen „Du weißt, dass das nicht stimmt, sie ist einfach nur nett." „Zu dir vielleicht, aber zu mir... Sie hatte mich an einem Tag zwar gut behandelt, aber sonst ist sie kalt wie der Schnee im Winter." Erwiderte Alex und saß sich neben mein jüngeres Ich auf die Couch. Puh, gut, dass sich jemand auch mal auf die COUCH saß! Sonst wäre ich hier zusammengebrochen!

Gespannt lauschte ich dem Gespräch, die jüngere Scarlett fragte gerade „Wie war Mama an diesem Tag?" „Marion war total anders. Ich habe einmal im Park getanzt, geprobt für dieses Tanzstück Dornröschen, dann hab ich sie während dem Tanzen aus dem Augenwinkel auf einer Parkbank sitzen sehen. In ihren Augen war so etwas fast wie Stolz und ein Lächeln, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe." Ich spürte, wie der Zorn meines jüngeren Ichs stieg und die jüngere Scarlett fauchte: „Du hast dich geirrt! Sie sieht nur mich so an!" „Wie bist du dir da sicher?" Zischte Alex zurück.

„Weil ich eine Prinzessin bin und sonst niemand!" Wow...Mama hatte mich ja richtig überzeugt! „Ach ja?" Alex stand wütend auf und schrie: „Dann bist du jetzt Rapunzel, alleine eingesperrt in diesem Turm, denn ich gehe jetzt für immer. Das war's!" „Gut!" Schrie mein jüngeres Ich aus voller Kehle. Alex in Miniformat sagte nichts mehr, sondern verließ einfach nur mit der Tür knallend den Raum. Ich sah, wie die jüngere Scarlett weinte auf der Couch und ich wollte aufspringen und sie (eher mich) trösten, bis sie sich die Tränen wegwischte und sich auf ihrem Gesicht ein arroganter Ausdruck bildete. Das nette Lächeln verschwand und wurde teuflisch. Und wieder sah mein jüngeres Ich in den Spiegel mit mehr als nur Zuversicht...

Mir entfuhr ein Schrei, bevor ich wieder die Augen schloss, öffnete ich sie wieder und starrte auf die Decke, meines Minizimmers. Ich schaute mich panisch um, aber alles war wie immer: langweilig. Und trotzdem war alles nur ein Traum gewesen! Logisch, wer konnte schon die Vergangenheit reisen? Was für ein kindischer Gedanke!

Ich wollte mich aufsetzen, aber etwas lag auf mir...ich nahm das weiche sanfte etwas hoch und meine Augen wurden groß: Ich hielt gerade dasselbe weiße Kleid wie aus meinem Traum in den Händen...

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The Haunted Ones 1: Dreams and Nightmares (GirlxGirl) (GirlxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt