18.

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"Wie alt bist du?"
Ocean grinste, auch wenn er dabei versuchte die Unterlippe enttäuscht nach vorne zu schieben. "Ich hätte etwas tiefgründigeres erwartet. Ich bin 21."
21 und trotzdem erst im 3. Semester? Sofort lag mir die nächste Frage auf der Zunge, doch Ocean schüttelte warnend den Kopf. "Nein, nein, immer abwechselnd. Jetzt bin ich dran. Wie alt bist du?"
"18. Wieso bist du erst im 3. Semester?"
Ocean schob eine Hand in den Nacken. Die Antwort schien ihm ein wenig unangenehm zu sein. "Ich hatte es nicht sonderlich eilig Medizin zu studieren und ehrlich gesagt,  ist mir mein Studium auch jetzt nicht sonderlich wichtig. Für mich hatte immer das Tanzen Vorrang. Ich habe in London für ein paar Monate als Straßenkünstler gearbeitet und mich durchgeschlagen, bis meine Mutter mich gezwungen hat auf die Uni zu gehen. Die anderen haben mich begleitet, als Michael erfuhr, dass er hier ein riesiges Grundstück geerbt hat. Was studierst du?"
"Literatur", erwiderte ich kurz angebunden, "Also meinst du mit den Anderen deine "Familie" ?"
Ocean musste meinen spöttischen Tonfall bemerkt haben, denn auch wenn er an der Reihe gewesen wäre, antwortete er mir. "Familie hat nicht immer etwas mit Verwandtschaft zu tun, weißt du? Sie sind Menschen, die immer hinter mir stehen und mit denen ich alles durchleben kann, egal wie wunderbar oder wie fürchterlich es ist. Ich könnte und ich würde jedem von ihnen mein Leben anvertrauen, im Notfall vielleicht sogar Michael."
Ich öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu fragen, als Ocean mich unterbrach. "Ich fühle mich sehr geschmeichelt, das du scheinbar doch mehr an mir interessiert bist, als du vorgibst, aber ich bin dran." Natürlich wurde ich rot. "Wenn wir gerade über Familie sprechen, hast du Geschwister?"
"Ja, einen kleinen Bruder, Jackson. Er ist vierzehn." Ich sprach schnell und senkte den Kopf, um mir meine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Ich interessierte mich wirklich für ihn. Leider. "Seid Michael und du immer so streitlustig?"
"Nein, eigentlich nicht. Wir ärgern uns nur hin und wieder ganz gerne und haben eine etwas komplizierte Vergangenheit. Wie heißen deine Eltern?" Ich ließ mich durch den plötzlichen Themenwechsel von meiner Frage abbringen. Offensichtlich hatte Ocean keine Lust mir von seiner komplizierten Vergangenheit mit Michael zu erzählen.
"Roy und Pamela Cassidy", erwiderte ich, "wie heißen denn deine Eltern?"
Etwas flackerte in Oceans Augen auf und sofort schreckte ich zurück. Ich hatte nicht nachgedacht und hatte das letzte Mal vergessen, als ich etwas über seine Mutter gesagt hatte und er mich angeschrien hatte. Für ein paar qualvolle Momente glaubte ich, er würde wieder ausrasten und machte mich schon bereit aufzuspringen, als sich seine Gesichtszüge wieder entspannten und seine Augen genauso blau leuchteten wie zuvor.
"Meine Mum heißt Delilah und den Namen meines Dads kenne ich ihn nicht. Ich weiß nur, dass er Amerikaner ist und meine Mum sitzen gelassen hat, als er erfahren hat, dass sie schwanger ist." Oh.
"Das tut mir Leid", betreten blickte ich hinunter zu meinen Fußspitzen, doch ich bemerkte trotzdem wie er mit den Schultern zuckte. "Schon okay. Ich hab' mich damit abgefunden der Sohn eines Wixers zu sein. Also, wie heißt deine Lieblingsband?"
Ich überlegte und kratzte mich dabei nachdenklich an der Stirn. "Puh, das ist eine schwere Frage, das ändert sich bei mir ständig. Da wären zum Beispiel Coldplay, Lifehouse, the Fray, Trading yesterday, Daughter, the Script, the Cardigans, the Paper Kites,..." Ocean grinste. "Das hätte ich mir denkenden können."
"Was?"
"Das du so eine bist, die alleine in ihrem Zimmer sitzt, Bücher liest und dabei Coldplay und Daughter und den ganzen anderen schwülstigen Mist hört."
Natürlich hatte er auch mit dieser Aussage mal wieder völlig ins Schwarze getroffen. Es gab tatsächlich Tage, an denen ich mich stundenlang in meinem Zimmer verbarrikadierte und einfach nur den gefühlvollen, sanften und außergewöhnlichen Stimmen und Tönen lauschte, wie sie langsam zu einer Melodie verschmolzen, die einem eine Gänsehaut verursachte. Es waren Songs mit Bedeutung und einem tieferen Hintergrund, als das Technogedudel irgendwelcher Möchtegern DJs, oder dem stumpfen, platten Schwachsinn irgendwelcher moderner Boygroups, die sich ohnehin kaum voneinander unterscheiden ließen. Es waren Lieder, die einen entführten, die Bilder vor jedes Menschen inneren Auge zeichneten, Lieder zum Träumen.
"Das kann ja wohl nicht ganz stimmen", bemerkte ich trotzdem spitz, "immerhin sitze ich hier und unterhalte mich mit dir."
"Was mir im übrigen sehr gut gefällt. Wirklich, das solltest du öfter machen."
Ich schnaubte. "Vielen Dank für deine Besorgnis, aber glaub mir, ich unterhalte mich oft genug. Was ist dein Lieblingsbuch?"
Ocean schien durch meinen abrupten Themenwechsel noch überraschter, als ich gerade eben über seinen, sodass ich nachhaken musste. "Ich weiß, dass du welche gelesen hast, ich habe dein Bücherregal gesehen. Also?"
Er räusperte sich, als wäre etwas an meiner Frage ihm unangenehm. "Ich mag Bücher von Charles Dickens, am liebsten 'Der Kampf des Lebens'."
Ich pfiff anerkennend durch die Zähne. "Wow, Dickens. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut."
"Ich mag auch Edgar Allan Poe, wie er aus der Sicht der Mörder und Psychopathen schreibt ist einfach fantastisch. Generell Thriller oder auch etwas mehr Horror haben es mir angetan." Durch meine Überraschung bekräftigt, wurde er mutiger.
"Wirklich? Du liest auch Edgar Allan Poe? Ich muss gerade einen Aufsatz über ihn schreiben. Und du magst Thriller? Hast du Gone Girl gelesen?" Ich konnte spüren wie meine Wangen vor Begeisterung ganz warm wurden. Niemals hätte ich das von Ocean La Forge gedacht, aber er hatte tatsächlich Ahnung von Büchern. Endlich etwas in dem wir uns ähnelten.
"Selbstverständlich."
"Was ist mit 'das Parfüm' von Patrick Süßkind?"
Ocean nickte. "Natürlich, obwohl ich deutsche Autoren eigentlich nicht so toll finde. Außer 'die unendliche Geschichte' von Michael Ende."
"Du hast auch Kinderbücher gelesen?" Vor Staunen blieb mir der Mund offen stehen.
"Klar, was denkst du denn?", gluckste er, "auch ich war mal ein kleiner Junge. Als ich elf war, bin ich in der Schulbibliothek auf 'David Copperfield' gestoßen, danach kam 'Oliver Twist' und seitdem liebe ich Dickens."

Ich war sprachlos. Ich hatte also Recht gehabt. Es gab noch eine andere Seite an Ocean, auch wenn ich vermutlich gerade erst ein wenig an der Oberfläche kratzte. Er legte den Kopf schief. "Eigentlich dachte ich, du würdest eher Liebesgeschichten lesen."
Ich nickte. "Stimmt auch, aber prinzipiell lese ich so ziemlich alles, das ich in die Finger bekomme. Ich vermute mal nicht, dass du dich sonderlich mit Liebesromanen beschäftigst, oder? Was ist mit 'Stolz und Vorurteil'?
Er zuckte wiedermal mit den Schultern. "Ich hab' mal reingeschnuppert, aber es war mir dann doch etwas zu trocken und zu langatmig. Außerdem kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, warum ihr Frauen Mr. Darcy alle so toll findet." Ich kicherte. Natürlich konnte ein Mann das nicht verstehen. "Da ist doch Christian Grey viel anziehender." Seine Augen wurden eine Spur dunkler, genauso wie sein Grinsen einen Tick anzüglicher wurde.
"Du hast Fifty Shades of Grey gelesen?", hauchte ich und diesmal war das Thema mir unangenehm. Oceans Grinsen vertiefte sich zusehends. "Es gab so einen Hype darum, dass ich unbedingt wissen musste, worauf die Mädels gerade so stehen oder warum denkst du, habe ich so einen Erfolg bei euch allen?" Er zog vielsagend die Augenbrauen in die Höhe. Mein Gesicht glühte.
"Allen?"
"Na gut, außer bei dir", lenkte er ein, "aber das wird schon noch."
"Was macht dich da so sicher?"
"Mal abgesehen davon, dass ich einfach umwerfend bin..." Er fiel sich in die Brust und ich konnte nicht anders, als einen Hustenanfall vorzutäuschen, um deutlich zu machen, dass ich seiner Aussage keines Falls zustimmte, doch er überhörte das geflissentlich. "Denk daran was du gestern noch gesagt hast: du würdest niemals Zeit mit mir verbringen. Und sieh, wo du jetzt bist."
"Weil du mich gezwungen hast!", rief ich empört aus, doch leider Gottes, musste ich dabei lachen.
"Ich habe dich freundlich darum gebeten", verbesserte Ocean mich mit einem besserwisserischen Gesichtsausdruck. "Aha, so nennst du das also." Mein Lachen wurde schriller.
"Du kannst jeder Zeit aufgeben und gehen", bot er mir an, "aber dann musst du dich nochmal mit mir treffen."
"Ich gebe nicht auf."
"Gut. Ich auch nicht."

-Ende von Kapitel 18.- uuuuund vielen lieben Dank für über 100 Sternchen! :) Freut mich wirklich sehr!! <3

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt