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Ungläubig drehte ich mich auf der riesigen Tanzfläche einmal im Kreis, um jedes Detail des dunkeln Raumes in meinem Gedächtnis zu verankern, denn noch einmal würde ich so etwas bestimmt nicht zu Gesicht bekommen. Von draußen hatte ich ja bereits die große Fensterfront unter dem Dach bemerkt, doch ich hatte nicht registriert, dass sie sich beinahe um das ganze Stockwerk herumzog. Das begriff ich erst jetzt, als ich unmittelbar vor den Wänden aus Glas stand und die schwarz-graue Landschaft betrachten konnte. Die Bäume, die ihre Äste so nah an die Fenster heran streckten, ganz so als wollten sie mir die Hände schütteln, erweckten den Eindruck direkt zwischen den Baumkronen zu schweben. Ich konnte nur erahnen, wie es war hier zu tanzen. Die eine Wand zur Treppe hin, war größtenteils verspiegelt, sodass das Bild der Umgebung vor den Fenstern, zurück geworfen wurde und ich die kleinen, funkelnden Sterne erkennen konnte, die über den Spitzen der Bäume, zwischen den vereinzelten Wolken aufblitzten. Auf das dunkle Parkett fiel das silbrige Mondlicht und der Boden war so glatt lackiert, dass man meinen konnte, man würde in dem glänzenden Streifen versinken, würde man ihn betreten. Nur dort wo ich stand, direkt vor meinen Füßen durchkreuzte ein Schriftzug die ebene Struktur des Bodens. In blauen, unordentlichen Buchstaben stand dort geschrieben: 'the Drops' und darunter die Namen alle Oceans Familienmitglieder in unterschiedlichen Farben. Kellys war schleimgrün, Remseys sonnengelb, Marcias knallrot, Violets lila, Andrews weiß, Michaels grau und Oceans dunkelblau. Ich erinnerte mich, wie bei Remseys Show vorhin immer wieder das Wort 'Drops' gerufen worden war und ich glaubte es zu verstehen. The Drops war ihr Gruppenname.

"Michaels Eltern waren beide professionelle Balletttänzer", erklärte Ocean und riss mich damit aus meiner Musterung. "Deswegen gibt es diesen Raum hier."
"Sie waren?" Fragend drehte ich mich zu ihm um. Er war kaum mehr als eine dunkle Silhouette, die sich gegen den Himmel in den Spiegeln abhob, als er auf mich zu schlenderte.
"Sie sind tot. Autounfall. Muss inzwischen schon sieben Jahre her sein. Er war damals 17."

Ich fühlte mich, als hätte Ocean mir mit seinen Sätzen gerade einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Nachdem wie Michael Ocean gemustert hatte, als er mir gestanden hatte, was Ocean über mich gesagt hatte, war er mir nicht sonderlich sympathisch gewesen, vor allem weil ich nicht verstand, was er für ein Problem damit hatte, dass ich mich gut mit Ocean verstand, aber wie konnte ich jemanden verabscheuen, der bereits etwas derart traumatisches durchgemacht hatte? Plötzlich empfand ich nichts außer Mitleid mehr für ihn. Ja, er war seltsam, aber wer wäre das nach so etwas nicht?

"Oh das... das tut mir schrecklich leid", murmelte ich bedrückt, doch Ocean machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das muss es nicht. Ich glaube, er kommt inzwischen ganz gut damit klar. Außerdem bekommt er es nur in den falschen Hals, wenn du Mitleid mit ihm hast."

Das war nur allzu verständlich. Sein Leben ging weiter und vermutlich hatte er die Schnauze voll davon, immer als der Junge mit den toten Eltern abgestempelt zu werden. Wie sollte er auch jemals wirklich darüber hinweg kommen, wenn ihn mitleidige Blicke daran erinnerte? Doch ich wusste jetzt nunmal davon, wie könnte ich kein Mitleid mit ihm haben?

"Tja."
Triumphierend baute Ocean sich vor mir auf und machte eine ausladende Handbewegung in den Raum hinein. "Sieht ganz so aus, als hätte ich es endlich mal geschafft dich zu beeindrucken."
Ich lachte auf und ließ den Blick noch einmal durch die Dunkelheit schweifen. "Ja, ich muss zugeben, das hast du wirklich. Das hier ist einfach der Wahnsinn."
"Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich schon davon träume, diesen Satz aus deinem Mund zu hören."
"Du solltest dir das auch besser gut merken, noch einmal werde ich so etwas nämlich nicht von mir geben." Ich grinste ihn kokett an und sah in der Finsternis seine Zähne aufblitzen, als er mein Lächeln erwiderte.
"Habe ich erwähnt, dass dieser Raum so gut wie schallsicher ist? Wirklich, du hast keine Ahnung, wie dick die Fensterscheiben sind. Ich könnte hier drinnen alles mögliche mit dir anstellen, bis du noch mindestens fünf Mal zugeben würdest, dass ich dich beeindrucke." Sein Grinsen rutschte zur Seite und wurde zu diesem schiefen, verwegenen Ausdruck, der ihn wieder so verdammt sexy aussehen ließ.
"Nun, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen." Meine Stimme zitterte verräterisch und das musste Ocean wohl ebenfalls bemerkt haben, denn er nickte wissend. "Oh doch, ich glaube, das kannst du sehr gut."

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt