9.

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Die restliche Stunde huschte in einem stetigen Rauschen an mir vorbei. Pat erklärte, wie die Kamera genau funktionierte, mit welchem Knopf man was einstellen konnte, doch nichts davon blieb in meinem Gehirn hängen. Stattdessen wiederholte ich jede Warnung von Cosma, Rosemarie und Tania mich von Ocean fernzuhalten und vorsichtig zu sein. Das ging jetzt wohl nicht mehr. Ich saß in der Klemme und direkt neben mir, saß ein Verbrecher. Jemand gefährliches. Jemand, bei dem mein Bauch zu kribbeln begann, obwohl ich eigentlich nichts anderes über ihn wusste, als dass ich mich vor ihm fürchten sollte. Es wäre das Beste, ich würde den Kurs schmeißen, ihm meinen Pulli überlassen und mich vor ihm verstecken, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich das nicht tun würde. Denn obgleich sich die Vernunft über das Kribbeln und das hastige Klopfen meines Herzens aufregte, war es nun mal beides da. Natürlich würde ich mich hüten, so etwas wie Gefühle für Ocean zu entwickeln, immerhin war er ein gewalttätiger Schlägertyp, aber ich konnte nicht anders, als neugierig zu sein. Ich hatte so etwas noch nie gespürt, in meinem ganzen Leben nicht. Und auch wenn es naiv und dumm war, ließ mich mein schneller schlagendes Herz darauf hoffen, dass es etwas Gutes in Ocean gab. Einen Teil von ihm, vor dem man keine Angst haben musste. Obwohl er Alles gab, um die Welt vom Gegenteil zu überzeugen.

Als hätte ich die ganze Zeit über unter Strom gestanden, sprang ich augenblicklich auf, als Pat die Stunde beendete. Diese ganze Grübelei über Ocean hatte nichts weiter gebracht, als mich aufzuregen und mich zu verwirren. Ich wollte nur noch hier weg. Vielleicht in mein Zimmer, zu meinen Brüdern, mich in einer anderen Welt und den Problemen imaginärer Personen vergraben, Hauptsache mein Herz beruhigte sich und meine Gedanken hörten auf, wie ein Wirbelstrum durch meinen Kopf zu fegen. Hastig warf ich mir den dünnen Lederriemen meiner Tasche über die Schulter, quetschte mich an Ocenas Stuhl vorbei und durchquerte mit großen Schritten den Raum. Ich hatte die Tür gerade passiert und machte mich auf den Weg durch den, nur wenig belebtenFlur, als er meinen Namen rief.

"Sky! Sky warte!"
Ich zuckte zusammen. Meine Beine wurden weicher, als ob sie den Dienst versagen wollten, aber ich zwang sie dazu, weiter zu gehen. Ich würde den Teufel tun, und auch nur auf ein Wort hören, dass diesen falschen, dreckigen, und leider viel zu perfekten Mund verließ.
"SKY!"
Ich spürte wie mir langsam das Blut ins Gesicht stieg und eilig senkte ich den Kopf, sodass mir meine Haare auf die Wangen fielen. Er sollte aufhören meinen Namen zu brüllen. Ich spürte bereits, wie sich die verächtlichen und neugierigen Blicke, der andern Studentinnen in meine Haut bohrten. Was wollte er nur von mir? Wieso konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Ich wollte gerade um eine Ecke biegen und wäre dann schon fast bei den Treppen gewesen, die nach unten zu der großen Tür führten, als sich eine kräftige Hand um mein Handgelenk schloss. Zischend sog ich die Luft zwischen den Zähnen ein, als Oceans Stimme dicht hinter mir ertönte und sich sein Griff ein wenig lockerte, so dass seine Fingerkuppen über meine zart prickelnde Haut strichen.
"Bitte warte."
Es war kein Befehl mehr. Es war eine Bitte. Langsam, zögerlich, drehte ich mich zu ihm um. Sofort fanden seine blauen Augen meine. Er lachte nicht. Er grinste nicht. Er stand nur da, seine Finger immer noch auf meinem Arm und musterte mich ruhig, als würde er jede Zelle meines Gesichts studieren, bis ich ärgerlich die Stirn runzelte und mich aus seinem Griff befreite.
"Was?"
"Du hast mich gehört, oder?"
Natürlich, er war ja nicht zu überhören gewesen. Als Antwort kniff ich lediglich die Augen zusammen.
"Warum bist du nicht stehen geblieben?", fragte Ocean weiter.
Kühl verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Rate mal."
Eine steile Falte entstand zwischen seinen Augenbrauen. Wusste er es etwa wirklich nicht?
"Ich kann Befehle nicht ausstehen", half ich ihm auf die Sprünge. "Vor allem nicht, wenn sie von so einem Macho wie dir kommen." Erschrocken riss ich die Augen auf. Das hatte ich nicht ernsthaft gesagt, oder? So kannte ich mich gar nicht. Auch Ocean schien überrascht. "Macho", echote er und blickte mich verdutzt an. "Bisher hatte noch nie ein Mädchen Probleme damit, etwas zu tun, das ich vorgeschlagen habe."
Vorgeschlagen, so nannte er das also. Ich sagte ja, schlechte Erziehung.
Desinteresse heuchelnd, zuckte ich mit den Achseln. "Tja, dann bin ich eben die Erste. Brauchst du irgendetwas?"
Augenblicklich huschte ein Grinsen über sein Gesicht. "Dich in meinem Bett wäre nicht schlecht."
Das war jetzt nicht dein Ernst, oder? Wieso gab ich ihm überhaupt eine Chance? Ohne etwas zu entgegnen, drehte ich mich um und marschierte weiter in Richtung Treppe.
"Okay, okay." Ocean seufzte und zu meiner eigenen Frustration hielten meine Beine mitten in der Bewegung inne. "Ich wollte dich vorhin nicht so anschreien. Und ich will nicht, dass du irgendetwas davon falsch verstehst."
Ich wandte mich wieder ihm zu und warf ihm einen forschenden, misstrauischen Blick zu. "Soll das... so etwas wie eine Entschuldigung sein?"
"Nein." Er presste grimmig die Lippen aufeinander. "Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es nicht so gemeint war." Natürlich. Wieso sollte Ocean sich auch bei mir entschuldigen?
"Schön", meinte ich patzig, "dann weiß ich jetzt also, dass es nicht böse gemeint ist, wenn du ausrastest. Das beruhigt mich zwar nicht wirklich, aber wenn das dann alles war..."
"Süße, das war doch kein Ausrasten", verbesserte er mich belustigt. "Wenn ich ausraste, sieht das ganz anders aus, glaub mir."
"Dann ist das sicher etwas, dass ich nicht erleben möchte", mutmaßte ich und Ocean schüttelte grinsend den Kopf. "Absolut nicht." Ich konnte es nicht verhindern, für einen Augenblick verzogen sich meine Lippen zu einem Lächeln. Wie wir hier standen, mitten auf dem Flur und über die gewalttätigen Attacken eines Kriminellen sprachen, als würden wir uns über Gänseblümchen austauschen.
"Du stimmst mir also zu, dass ich mich von dir fernhalten sollte?"
Jetzt nickte er. "Auf jeden Fall."
Für ein paar Augenblicke lächelten wir uns einfach nur an, als wären wir zwei ganz normale Jugendliche, ohne diese ganzen Gründe, die zwischen uns standen und ohne die zornige Stimme in meinem Kopf, die kurz davor war, völlig auszurasten. Wir lächelten wie in einer kitschigen Highschoolromanze, als wäre das hier noch nicht das echte Leben, sondern wir befänden uns immer noch in der Probephase. Wäre dem wirklich so gewesen, hätte ich seine nächste Frage vielleicht mit 'ja' beantwortet.
"Wir sollten uns mal treffen. Wegen der Fotos."
Klar, fragte er nicht direkt, aber die Art wie er mich ansah und dabei unsicher die Hände in den Hosentaschen vergrub, sagte mir genug. So hatte ich Ocean noch nie erlebt, so... echt. Als würde er sich wirklich gerne mit mir treffen wollen und hätte Angst davor, dass ich mit 'nein' antworten könnte. Aber es war so dumm zu denken, es könnte ihm tatsächlich etwas ausmachen, wenn ich ihm absagte. Ocean könnte jede haben, er würde sicher bessere Gesellschaft finden als mich. Und sollte er es doch weiter versuchen, würde er sich an mir vergeblich die Zähne ausbeißen.
Ich gluckste, dann drehte ich mich um und stand schon mit einem Fuß auf der Treppe. "Ganz sicher nicht."

-Ende von Kapitel 9.- Und was meint ihr? Wird Ocean so schnell aufgeben, oder entwickelt sich vielleicht doch eine kitschige Highschool bzw. Uniromanze?Und by the way: vielen, vielen Dank, für fast 130 Reads. Macht mich unglaublich stolz und glücklich, und ich hoffe Ihr bleibt alle weiter hin gespannt, wie es weiter geht...

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt