35.

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Ocean musste erkannt haben, wie erschrocken ich war, denn er griff nach meinen Händen. Augenblicklich vollführten die Schmetterlinge in meinem Magen einen wahren Freudentanz. "Die Dummheit war die Sache mit Kelly, nicht... das. Zumindest sehe ich das so." Er warf mir einen fragenden Blick zu. "Wie ist es bei dir?"
Da war sie wieder, die Entscheidung. Direkt vor mir und ihr nicht zu entkommen. "Ähm", quietschte ich, "ich weiß nicht, ich... bin überfordert."
"Überfordert?" Ocean schien mich wohl nicht ganz zu verstehen, aber ihn jetzt über meine fehlenden Erfahrungen aufzuklären, erschien mir als der denkbar ungünstigste Zeitpunkt.
"Ja, also, es ist so", druckste ich herum und mein Körper verkrampfte sich zusehends. "Wir kennen uns erst seit fünf Tagen und eigentlich habe ich dich die ganze Zeit für ein Arschloch gehalten. Jetzt bin ich mir einfach noch nicht ganz sicher, ob ich dich leiden kann oder nicht, und ob ich dir vertrauen kann."
"Nun ja, also dabei kann ich dir helfen." Ocean grinste verschmitzt. "Du magst mich auf jeden Fall, das haben wir ja gerade herausgefunden und du kannst mir auch vertrauen. Gib' mir eine Chance und ich beweise es dir." Er blinzelte und da war er, der treue Hundeblick. Als ob das noch nicht genug wäre, fing er auch noch an, seinen Zeigefinger langsam über mein linkes Handgelenk wandern zu lassen, was zur Folge hatte, dass sich jedes noch so kleinen Härchen an meinen Armen aufstellte und der Strudel in meinem Kopf erneut Fahrt aufnahm.
"Aber ich habe Angst!", rief ich aus und entriss ihm meine Hände. "Ich habe Angst davor, dich zu mögen und ich habe Angst davor, Zeit mit dir zu verbringen."
"Aber warum?", fragte Ocean in der gleichen Lautstärke, in der ich ihm geantwortet hatte.
"Weil ich nicht verletzt werden will!"
Es platzte aus mir heraus, ohne dass ich es verhindern konnte. Mit einem Schlag hatte Ocean alles. Ich hatte ihm mein Herz gerade auf dem Präsentierteller serviert, denn jetzt wusste er, dass ich ihn mochte. Mehr mochte, als es normal gewesen wäre und ich wusste es auch. Wäre es anders, hätte er doch nie die Macht mich zu verletzen. Aber Himmel, das ließ meine Angst nicht weniger werden, ganz im Gegenteil. Ich starrte Ocean an und leise brachte ich hervor: "Ich habe Angst vor meinen Gefühlen. Und ich habe Angst vor dir."

Vermutlich hatte Ocean nicht die leiseste Ahnung, was er dazu sagen sollte, denn er sagte überhaupt nichts. Ich nahm ihm das jedoch nicht übel. Wahrscheinlich wäre jeder Junge nach so einem ehrlichen Gefühlsausbruch vor den Kopf gestoßen und er musste auch gar nichts sagen. Ich redete umso mehr.
"Weißt du was? Vergiss es. Vergiss einfach alles, was ich gerade gesagt habe. Ich bin müde und nichts davon ist auch nur annähernd ernst zu nehmen. Es ist nur so, dass wir uns eben nicht richtig kennen. Ohne die ganzen Gerüchte, weiß ich quasi nichts über dich und deswegen kann ich das alles so schlecht einschätzen, verstehst du? Ich w-"
Weiter kam ich nicht, denn Ocean hielt mir wenig galant und mitten im Satz, den Mund zu. "Hör auf zu reden. Erstens, werde ich nichts davon vergessen, denn du warst ja nur ehrlich und ich habe gefragt. Zweitens, ich werde dich niemals wieder verletzen, zumindest habe ich das nicht vor. Aber ich verstehe was du meinst, wir kennen uns wirklich noch nicht sonderlich gut und wahrscheinlich war das etwas zu überstürzt. Also, ich schätze, alles was du brauchst ist Zeit. Um dir klar zu werden was für ein verdammt toller Kerl ich bin."
Ich warf den Kopf in den Nacken und stöhnte gequält auf. "Oh Gott. Bleib so eingebildet und das wird nie was. Das ist nämlich ein ganz gewaltiger Abturn."
"Ach ja?" Ocean zog herausfordernd die Augenbrauen hoch. "Das glaube ich dir nicht. Es ist vielmehr so, dass du total darauf abfährst."
"Ugh, ganz sicher nicht, du Idiot."
Ich schüttelte mich vor gespieltem Ekel, aber dummerweise, musste ich dabei grinsen. Oceans Augen funkelten, als er mein Lächeln erwiderte, aber er sagte nichts mehr. Ich wusste, er wollte wieder zu unserem ursprünglichen Thema zurück und so unangenehm mir das auch war, es sah ganz so aus, als hätte mir Ocean so eben einen Ausweg eröffnet.
"Also, Zeit?" Unsicher blickte ich hinab auf meine Hände und hoffte inständig, ihn nicht falsch verstanden zu haben. Denn ja, alles was ich brauchte war Zeit. Zeit ihn kennenzulernen und Zeit mir darüber klar zu werden, ob ich mich traute, ihm eine Chance zu geben.
"Ja, Zeit", antwortete er und mir fiel ein gewaltiger Stein vom Herz. "Zeit, in der wir, keine Ahnung, vielleicht Freunde sind? Von mir aus auch Freunde mit gewissen Vorzügen, falls es dir irgendwann mal schwer fallen sollte, deine Finger bei dir zu behalten."
"Um MEINE Finger musst du dir überhaupt gar keine Gedanken machen, die habe ich bestens unter Kontrolle", bemerkte ich spitz und warf Ocean einen mehrdeutigen Blick zu, der ihm wieder mal sein schiefes Grinsen entlockte. "Ist das eine Anspielung?"
"Dreimal darfst du raten." Ich lächelte. "Freunde hört sich gut an."

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt