17.

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Ich sagte erst etwas, als wir die Küche verlassen hatten und im Wohnzimmer standen. Obwohl mir Kelly nicht gerade sympathisch war, war ich wiedermal viel zu nett, als ich Ocean einen gut gemeinten Ratschlag erteilte. "Vielleicht solltest du mit Kelly reden", schlug ich vor, wofür er mir nur einen irritierten Blick zuwarf.
"Wozu?"
"Naja, es ist nie nett einem Mädchen zu sagen, man hätte sie übersehen."
Ocean drehte den Kopf wieder nach vorne, ganz so, als wollte er mir ausweichen. "Ist doch egal", antwortete er schulterzuckend, "die kriegt sich schon wieder ein." Das klang aber nicht sonderlich liebevoll.
"Nach dir." Er machte eine ausladende Handbewegung die Treppe nach oben und ich hielt ihn tatsächlich für einen Gentleman, allerdings nur für wenige Sekunden.
"An diesen Anblick könnte ich mich gewöhnen." Um zu erkennen was er meinte, drehte ich mich zu ihm um und bemerkte, dass sein Blick geradewegs auf mein, nicht besonders üppiges, Hinterteil gerichtet war.
"Ocean!", kreischte ich entsetzt und schob instinktiv die Hände über meine Jeans, was ihn nur belustigt die Mundwinkel verziehen ließ. "Ich weiß noch sehr gut wo die Haustür ist", warnte ich ihn ernst, was ihn abwehrend die Hände heben ließ. "Okay, okay", lenkte er ein, "ich werde nicht hinsehen."
Natürlich sah er doch hin, aber ich tat, als würde ich es nicht bemerken. Offiziell hatte er weder Marcia, noch Kelly als seine feste Freundin vorgestellt, also wer konnte es mir verdenken, dass es mir schmeichelte, wenn Ocean mir auf den Hintern starrte? Er gab mir auf eine verdrehte Art und Weise das Gefühl, schön und interessant zu sein.

Als ich auf dem Treppenabsatz angekommen war, schob Ocean sich an mir vorbei und bedeutete mir mit einer Handbewegung stehen zu bleiben, während er vorsichtig die weiße Tür öffnete und einen kurzen Blick hineinwarf.
"Gott sei Dank, sie sind nicht hier." Er zog die Tür erleichtert weiter auf und nur wenige Sekunden später, betrat ich das Zimmer von Ocean LaForge.

"Du meinst Andrew und Violet, oder?" Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und jetzt war ich wirklich beeindruckt. Es war noch größer als ich erwartet hatte und überraschend ordentlich. Sein Bett in der Ecke, war mit schwarzem Bettzeug bezogen und stand direkt neben einem großen Fenster. Gegenüber dem Bett ragte ein großer schwarz-weißer Schrank mit zwei Türen und einem Spiegel in der Mitte auf, daneben war ein kleines Regal aus schwarzem Metall platziert. In ihm befanden sich neben einer kleinen Zimmerpflanze, Bücher. Ihre Rücken waren mit zahlreichen Knicken versehen, er ging nicht gerade sorgfältig mit ihnen um, aber immerhin hatte er sie gelesen. Allein diese Tatsache reichte aus, um mir einen Schwall von Zuneigung durch den Körper zu jagen. Konnte jemand, der all diese Bücher gelesen hatte, tatsächlich so schlimm sein?

Neben seinem Bett stand ein ebenfalls schwarz-weißer Nachttisch mit einer Lampe darauf, wie sie sich auch im Wohnzimmer befanden. Da lag auch ein ähnlicher grauer Fransenteppich, der den Raum in zwei Teile spaltete. Auf der anderen Seite befand sich ein noch viel größeres Fenster, das sich vom Fußboden bis zur Decke erstreckte und den Blick auf die wogenden, bunten Bäume des Waldes freigab. Es sah aus wie ein Gemälde.

Direkt davor waren ein schwarzes Sofa und ein gläserner Kaffeetisch errichtet, an der anderen Seite der Wand hing ein breiter Flachbildfernseher. Der größte Blickfang, neben den Fenstern, war jedoch eine Collage aus Dutzenden schwarz-weißen Fotos. Ich konnte nicht erkennen was darauf abgebildet war, aber Ocean schien wirklich eine Schwäche für Fotografie zu haben.

"Ja." Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und beobachtete mich aufmerksam. Fast hatte es den Anschein, als wäre ihm unbehaglich zu Mute, wie ich hier mitten in seinem Zimmer stand und versuchte alles auf einmal in mich aufzusaugen. "Die beiden sind zur Zeit so voller Glück und Seligkeit, dass es kaum auszuhalten ist."
Ich wandte mich von ihm ab und schritt langsam auf die Collage an der Wand zu, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. "Dann sind sie also nicht immer so?"
"So was? Besessen?"
Ich konnte förmlich hören wie Ocean grinste, doch die Bilder nahmen mich in diesem Augenblick zu  sehr gefangen, als dass ich etwas hätte erwidern können. Ich stand inzwischen dicht vor der Wand, sodass ich erkennen konnte, was darauf abgebildet war: Er. Ocean tanzte auf jedem der Fotos. Blickte man von einem zum nächsten, hätte man tatsächlich glauben können, er würde sich bewegen. Sie ähnelten seinem Profilbild auf Facebook, aber in dieser Vielfalt waren sie noch viel unglaublicher. Zumal nicht nur er zusehen war. Je mehr Bilder ich betrachtete, desto mehr andere Personen erkannte ich auch. Sie waren alle vorhin unten in der Küche gewesen: Michael, Remsey, Kelly, Marcia, Violet und Andrew, obwohl ich zugeben musste, dass die Bilder von Ocean mich am meisten in ihren Bann zogen. Michael war zwar auch nicht schlecht gebaut und er war so blass, dass sich sein Oberkörper gegen den dunklen Hintergrund noch deutlicher abhob, aber vielleicht lag es daran, dass ich Ocean länger kannte, das ich ihn, zumindest auf den Fotos, für wesentlich attraktiver befand. So attraktiv, dass ich gedankenverloren die Hand hob und mit den Fingern über die glatte Oberfläche der Fotos strich.

"Nein eher im Gegenteil." Bei dem Klang seiner Stimme, ließ ich den Arm eilig sinken und drehte mich zu ihm um, in der Hoffnung nicht allzu ertappt drein zu blicken. "Eigentlich sind sie sehr zurückhaltend und schüchtern, vor allem Violet. Aber wie sagt man so schön: Stille Gewässer sind tief." Er grinste verschmitzt und ich nickte langsam. "Die Liebe verändert die Menschen."

Jetzt zog er eine Augenbraue hoch und ich biss mir auf die Unterlippe, solche poetischen Sprüche sollte ich in Zukunft wohl besser für mich behalten. "Klingt als würdest du dich auskennen..." Oh nein, bitte nicht schon wieder dieses Thema. Das Gespräch heute Mittag mit Jordan und Cosma hatte mir bei Weitem schon gereicht. Betont lässig zuckte ich deswegen mit den Achseln. "Vielleicht."
Sein Grinsen verblasste ein wenig und sofort kam mir der Gedanke, es könnte ihn vielleicht stören zu denken, ich könnte keine unbefleckte Jungfrau mehr sein, obwohl das in unserem Alter ja eigentlich kaum mehr der Normalität entsprach.
"Dann hast du also einen Freund?" Seine Frage klang belanglos, obgleich sie mein Blut in Wallung geraten ließ. Wieso interessierte ihn das verdammt nochmal? Was war mit seiner Marcia oder mit seiner Kelly oder den 100 anderen Weibern, die scharf auf ihn waren?
"Nein", antwortete ich nachdrücklich und aus irgendeinem Grund schien er zu verstehen, dass ich nicht länger darüber reden wollte, denn er ging auf  die Couch zu und ließ sich darauf sinken. Dann klopfte er mit der freien Hand auf den Platz neben sich. "Lass uns ein Spiel spielen."
"Was?" Verdutzt sah ich ihn an.
"Wir stellen uns abwechselnd gegenseitig Fragen", erklärte er und seine blauen Augen funkelten. "Der erste, der eine Frage nicht beantworten will, hat verloren."
Ich runzelte die Stirn. "Das klingt nach einem ziemlich bescheuerten Spiel."
In gespielter Verzweiflung legte Ocean den Kopf in den Nacken. "Komm schon, Sky. Sei doch einmal nicht so ernst."
"Ich bin nicht ernst!", gab ich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich muss nur bald nach Hause. Ich habe meiner Mum nicht Bescheid gesagt, dass ich noch irgendwo hingehe."
Er seufzte. "Sky Cassidy, die perfekte Tochter. Du bist eindeutig viel zu brav, fast schon spießig." Entgeistert schnappte ich nach Luft, als er mir provozierend zuzwinkerte. "Entschuldige bitte, dass ich ungern auch nur eine Minute länger als nötig, bei einem Kerl verbringe, der mich ununterbrochen beleidigt. Außerdem bin ich einzig und allein deswegen hier, weil ich die Kamera abholen wollte."
Oceans Blick suchte den Meinen und nur ein paar Sekundenbruchteile später bohrten sich seine blauen Augen so intensiv in meine, dass mein Magen sich zusammen krampfte und meine Knie ganz weich wurden.
"Wenn du gehen wolltest, wärst du schon längst weg." Seine sanfte Stimme hatte genau den selben Effekt, wie die von Michael vorhin in der Küche: sie ließ meine Gedanken zu einem zähen, süßen Brei zerfließen, der mich alles um mich herum vergessen ließ.
"Aber gut", fuhr er fort und entließ mich mit einem Augenaufschlag aus der Gefangenschaft seiner Augen, "Es tut mir sehr Leid. Das mit dem spießig stimmt nicht ganz, du bist eher langweilig."

Das reichte mir. Schäumend vor Wut ließ ich meinen Blick erneut durch das Zimmer schweifen, doch Ocean erkannte was ich vorhatte, bevor ich das Objekt meiner Begierde entdeckt hatte. Mit einer schnellen, fließenden Bewegung fuhr er herum und griff nach der schwarzen Tasche, die auf dem kleinen Wohnzimmertisch neben dem Sofa gelegen hatte. Triumphierend schwenkte er die Kamera hin und her, während ich zornig die Zähne aufeinander biss.
"Ocean...", zischte ich drohend, doch er grinste nur. "Ein Deal, Süße. Spiel mit mir. Gewinnst du, überlasse ich dir die Kamera und du kannst gehen. Gewinne ich, triffst du dich mit mir und wir machen diese Fotos gemeinsam." Mein Herz setzte für ein paar Schläge aus. Das war Erpressung! Wie konnte er es wagen?
"Das ist nicht dein Ernst."
Er überging meinen Einwand, doch das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, stattdessen wurde sein Blick flehentlich. "Komm schon, Sky. Hör auf in mir den bösen Jungen zu sehen, wenigstens für ein paar Minuten. Ich schwöre dir, ich werde dich nicht in Verlegenheit bringen. Zumindest nicht sofort." Etwas in seinem Ton ließ mich inne halten, es klang wirklich so, als wäre es ihm wichtig und irgendetwas erregte in mir ein seltsames Gefühl, das so gar nicht in die Situation passte: Mitleid.
"Wieso?"
"Wieso was?"
"Wieso willst du unbedingt dieses dämliche Spiel mit mir spielen?"
Oceans Blich wurde weicher. "Weil ich dich kennen lernen will."
Ich verkniff mir ein weiteres 'wieso' und ließ mich stattdessen ohne weiter darüber nachzudenken auf die Couch fallen. "Na schön, ich fange an."
Sofort war der treue Hundeblick verschwunden und Ocean straffte die Schultern. Da ich sicher nicht diejenige von uns beiden war, die aufgab und auch er ziemlich entschlossen wirkte, streifte ich meine Tasche von der Schulter und zog die Knie an die Brust. Das würde dauern.

-Ende von Kapitel 17.- Tja, mal sehen, ob Ocean Sky wirklich nicht in Verlegenheit bringen wird. Vielleicht kommen ja ein paar spannende Dinge ans Licht... Vielen Dank für's Lesen und ich würde mich sehr über Sternchen und Kommentare freuen. <3

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt