19.

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Wir starrten uns eine Weile lang an, bis mit einem Mal dicke Tropfen an das große Fenster neben uns klatschten. Als ich den Kopf drehte, sah ich in höchstens fünfzehn Metern Entfernung, die roten, grünen und gelben Blätter der Bäume hin und her schwanken, wie die Wellen eines unruhigen, bunten Ozeans. Jetzt war es soweit, der Schwellenpunkt war überbrückt und der Sturm kam.

"Ich liebe das", durchbrach ich plötzlich die Stille und blickte immer noch hinaus in den grauen Himmel. "Der Punkt kurz vor einem Gewitter. Der Punkt, an dem alles noch gut ist, aber der Wind schon das Unheil mit sich herantreibt. Wie die Bäume sich unter den Böhen so weit zur Seite neigen, dass man meinen könnte, die Welt bräche auseinander. Der Moment bis zu den ersten Tropfen." Donner grollte in der Ferne, was mich auf wundersame Weise, wie eine Verrückte zum Lächeln brachte. "Der Moment, bis zum ersten Blitz. Der Moment, bis zum ersten Donnerschlag."
"Wow."
Ich riss den Blick von der stürmenden Welt los und grinste Ocean entschuldigend zu. Er musste mich für gestört halten. Aber was machte das schon? Immerhin war er mit Sicherheit genauso gestört.
Doch er sagte nur: " Du bist echt goldrichtig im Literaturstudium."

Wir lachten beide ein wenig vor uns hin, bis Ocean fragte: "Dann ist der Herbst deine Lieblingsjahreszeit? Wenn es am meisten stürmt?"
Ich nickte heftig. "Absolut. Ich meine, jede Jahreszeit hat ihre Vor- und Nachteile, aber der Herbst ist magisch. Die Blätter färben sich in wunderschöne Farben, die Früchte werden reif, jeder Sonnenstrahl wird goldener, das Tageslicht kostbarer und der Wind stärker. Außerdem ist im Herbst Halloween, Thanksgiving und mein Geburtstag."
"Du hast Geburtstag?" Ocean sah fast ein wenig erschrocken aus. "Wann?"
Ich schüttelte grinsend den Kopf. "Ich bin dran. Was ist deine Lieblingsjahreszeit?"
"Keine Ahnung, ich bin mit jeder ganz zufrieden", erwiderte Ocean kurz angebunden, "aber bitte sag' mir jetzt wann du Geburtstag hast."
"Am 29. November." Ich warf ihm einen irritierten Blick zu, doch er wirkte erleichtert. "Wieso?", bohrte ich nach, "stimmt etwas nicht?"
"Nein, aber es gibt nichts Schlimmeres als den Geburtstag eines Mädchens zu vergessen. Das ist ein echter Abturn, glaub mir." Er zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte auf dem Bildschirm herum. "Ah Tiffany und Ronda haben auch am 29. November Geburtstag."
Augenblicklich sank meine gute Laune und ich spürte ein erneutes Stechen in der Brust. "Wer sind denn Tiffany und Ronda?"
"Ich glaube, Tiffany war so eine Blonde und Ronda eine Dunkelhaarige", riet Ocean, ohne von dem Display seines Handys aufzusehen.
"Du glaubst?!"
"Ja, ich habe ewig nichts mehr mit den Beiden zu tun gehabt. Vielleicht sollte ich ihnen mal wieder schreiben." Er sprach wohl nicht mehr mit mir, sondern überlegte laut vor sich hin.
Ich wandte mich von ihm ab, schwang die Beine von der Couch und verschränkte die Arme vor der Brust. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich wieder daran erinnerte, dass ich noch neben ihm saß. Eine Ewigkeit, in der ich mich am liebsten auf seinen Schoß gesetzt und das verdammte Handy gegen die Wand geschmissen hätte.

"Was?", erkundigte er sich schließlich, als ob er nichts getan hätte.
"Nichts", erwiderte ich spitz, "ich würde nur gerne gehen, bevor Tiffany und Ronda hier herein geschneit kommen."
Ich hörte das Grinsen in seiner Stimme, als er sanft brummte: "Bist du etwa eifersüchtig? Schon wieder?"
"ICH?! Schon wieder eifersüchtig? Also nein, wirklich nicht. Ist mir doch egal, mit wem du dich abgibst."
"So hört sich das aber nicht an." Er grinste immer noch, provozierend und herausfordernd. Er wollte unbedingt, dass ich es sagte. Er wollte hören, dass er mich interessierte, dass er mir, aus irgendeinem Grund, nicht egal war und dass ich ihn mochte. Aber diesen Gefallen würde ich ihm nicht tun. Auch wenn alles davon der Wahrheit entsprach.

"So ist es aber!" Ich klang zickig, richtig zickig. Jetzt wurde wohl auch Ocean wütend, denn das Grinsen verschwand und genau wie ich verkreuzte er die Arme.

"Was sollte das mit Michael?"

Wir hatten kurz geschwiegen und dass er jetzt so plötzlich das Thema wechselte, während meine Gedanken immer noch um Tiffany und Ronda kreisten, verwirrte mich etwas.
"Wie bitte?"
"Du weißt wovon ich rede." Er klang so kalt, dass mir schlagartig alle Haare zu Berge standen und ich fröstelte. "Nein?"
"Das in der Küche. Du hast mit Michael geflirtet." Für einen Moment war ich wie erstarrt, als ob seine plötzliche Kälte mein Blut gefrieren lassen würde, doch dann wärmte mich mein Zorn von Innen heraus. Andere konnte er so vielleicht einschüchtern, jedoch nicht mich.
"Spinnst du?", schrie ich und funkelte ihn böse an. "Wenn, dann hat Michael mit mir geflirtet, aber das ist sowieso totaler Schwachsinn. Wir haben uns nur kennen gelernt."
"Kennen gelernt?" Ocean spuckte mir die Wörter entgegen, als wären sie giftig. "Du bist bei jedem seiner Worte förmlich dahin geschmolzen!"
"Das musst du gerade sagen! Du hörst auf Marcia als wärst du ihr Hündchen! Das ist schäbig, Ocean. Wenn du mit ihr zusammen bist, dann lass mich endlich in Ruhe!"
Für ein paar Sekunden blinzelte Ocean verwirrt, dann zuckte ein kleines Lachen um seine Mundwinkel, was mich nur noch zorniger machte. Wie konnte er jetzt nur lachen, in dieser Situation?
"D-Du denkst Marcia und ich wären ein Paar?"
"Natürlich! Und scheinbar magst du sie wirklich sehr, denn sie ist wohl die einzige, die dir etwas sagen kann."
"Ich mag sie wirklich", begann Ocean und das Stechen in meiner Brust wurde noch stärker. Ich hatte also Recht gehabt, sie waren tatsächlich zusammen. "Aber ich liebe mein Leben zu sehr, um mich von einer Person derart einengen lassen und mit ihr eine Beziehung einzugehen. Vor allem nicht mit Marcia."
Ich runzelte die Stirn. "Nicht?"
"Sky, sie ist meine Schwester."
Der Augenblick, in dem er amüsiert grinste, war der, in dem ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. "W-Wie jetzt Schwester?", stammelte ich, "so wie alle hier in deine 'Geschwister' sind?"
Ocean schüttelte den Kopf. "Nein, sie ist meine echte große Schwester. Marcia LaForge."
Oh mein Gott.
"I-Ich muss gehen", stotterte ich und griff nach meiner Tasche. "Sofort."
"Das heißt, du gibst auf?" Oceans Augen glitzerten, doch diesmal durchkreuzte ich seine Pläne, in dem meine Hand nach vorne schnellte und die Kamera ergriff, die er achtlos zwischen uns auf das Sofapolster gelegt hatte. "Nein, ich gehe. Und ich denke, es steht unentschieden."

Ich hätte unsere Auseinandersetzung sicherlich bald vergessen und über meine Blamage hinwegkommen können, wäre ich nicht, gerade als ich auf dem Weg zu Haustür war und diese auch schon fast erreicht hatte, in Michael hinein gelaufen. Denn es war der kleine Moment, nicht mal eine Minute, in dem ich gegen ihn prallte und er mich in ein Gespräch verwickelte, der die Lawine ins Rollen brachte. Wie ich bereits sagte, auch die kleinste Entscheidung , selbst wenn man nicht mal groß über sie nachdenkt, kann alles verändern.

-Ende von Kapitel 19.- Haha, Sky hat schon ein paar seltsame Eigenheiten. Und jetzt kommt Michael ins Spiel... Seid ihr gespannt wie es weiter geht? Dann schnell das nächste Kapitel lesen, aber vorher gerne noch ein Sternchen oder Kommentar da lassen! :***

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt