"Sky!", hörte ich Remsey schon aus einigen Metern Entfernung schreien und wie ein übergewichtiger Amerikaner nach einem Teller Pommes, streckte er gierig die Hände nach mir aus. Ich versuchte noch ihm auszuweichen, doch er war, trotz seines offensichtlich alkoholisierten Zustands, schneller als ich, packte mich an den Schultern und zerrte mich an seine Seite. Er warf seiner blonden Freundin, die zwischen seinen Knien thronte, ein aufgekratztes Grinsen zu, während sie mich mit einem Blick bedachte, der eindeutig kalte Mordlust wieder spiegelte.
"Laurel", stellte Remsey uns vor, "das ist Sky. Sky, Laurel."
"Hi", krächzte ich und rang mir ein Lächeln ab, doch Laurel drehte demonstrativ den Kopf in die andere Richtung und presste die Lippen aufeinander. Remsey zuckte nur mit den Schultern, dann schenkte er mir ein strahlendes Grinsen. "Also Sky, was machst du hier? Ocean hat mir erzählt, dass du nicht vorhättest zu kommen."
"Das hatte ich auch nicht", gab ich wahrheitsgemäß zu und ignorierte seine andere Frage. "Sag mal, kannst du mir vielleicht sagen, wo das Bade..." Weiter kam ich nicht, denn Remsey zog mich mit einem kräftigen Ruck noch näher an sich, sodass meine Wange gegen seine stieß, die vor Schweiß ganz feucht und klebrig war. Ich gab mir größte Mühe nicht das Gesicht zu verziehen, aber als Remseys Finger sich auch noch schmerzhaft in meinen Haaren verfingen, konnte ich mir ein leises Aufkeuchen nicht verkneifen. Es ging jedoch in den brüllenden Klängen der Musik unter, wie ein Kieselstein im Wasser.
"Ach", schrie Remsey mir ins Ohr, ohne etwas von meinen Schmerzen zu bemerken. "Es ist mir eigentlich auch egal, warum du hier bist. Fakt ist, du bist da. Das wird Ocean sicher freuen."
"Ocean wird es nicht erfahren!", rief ich alarmiert, obgleich mein Blut bei Remseys suchendem Blick in Wallung geriet. "Ich bin nur hier, um ein paar Freunde abzuholen."
Remsey seufzte schwer und setzte einen bekümmerten Blick auf. "Ich weiß, was du über ihn denkst. Was alle über ihn denken. Und eigentlich hättest du mit deinen Bedenken durchaus Recht, aber bei dir ist es irgendwie etwas anderes. Er hat mich gestern wie ein Irrer aus dem Zimmer getrommelt, nur damit wir bei strömendem Regen in die Stadt fahren und so einen bescheuerten Pulli besorgen. Das hätte er für keines der ganzen anderen Mädchen gemacht. Er wäre nicht mal auf die Idee gekommen, da bin ich mir sicher. Aber du bist anders." Mein Herzschlag verdoppelte sich schlagartig, jedoch nur bis ich mich zwang den Kopf zu schütteln. "Du bist Oceans bester Freund. Du würdest doch alles sagen, nur um ihm dabei zu helfen, mit jemandem zu... schnackseln."
Remsey zog die Augenbrauen hoch. "Ich muss mich verhört haben, oder sagtest du gerade tatsächlich schnackseln?!"
Prompt schoss mir die Röte ins Gesicht und ich dankte Gott dafür, dass das Licht schummerig genug war, damit Remsey es nicht bemerkte. "Nein, natürlich nicht. Aber du weißt wovon ich rede."
Remsey reckte das Kinn nach vorne und fuhr sich mit der Hand über den dunklen Bartschatten an seinem Hals, der so wenig zu ihm passte, wie zu einem Dreijährigen.
"Ja, das stimmt wohl, aber ich lüge wirklich nicht, wenn ich sage, dass Ocean sich noch nie so um ein Mädchen bemüht hat, wie um dich. Außer..." Er verstummte schlagartig und setzte einen bedröppelten Blick auf, der mich sofort misstrauisch machte. Außer wer? Um wen hatte Ocean sich noch bemüht? Gab es etwa ein anderes Mädchen? Beziehungsweise, hatte es ein anderes Mädchen gegeben?
"Naja, jedenfalls steht Ocean eigentlich nicht auf diese Eroberungsmasche. Warum auch? Normalerweise kommen die Mädchen ohne Aufforderung zu ihm. Nur an dir, scheint ihm irgendetwas ganz besonders gut zu gefallen."
Ich nickte. "Ja, meine zickige Art. Er will mir helfen zu entspannen, das habe ich schon gehört."
Remsey seufzte schwer und warf mir einen merkwürdigen Blick zu. "Du bist wirklich nicht leicht zu überzeugen."
Gleichgültigkeit heuchelnd und lange nicht so sicher wie ich vorgab, zuckte ich mit den Achseln. "Ich merke eben, wenn mir jemand Blödsinn auftischt."
"Ich bin betrunken, Sky." Remsey versuchte sich mit einem treuherzigen Gesichtsausdruck zu verteidigen. "Zwar nicht so betrunken, dass ich nicht mehr gerade aus laufen kann, aber betrunken genug, um die Wahrheit zu sagen."
"Aha", quittierte ich seine Worte trocken, "ich glaube dir trotzdem nicht."
Er legte den Kopf schief und bedachte mich erneut mit diesem merkwürdigen Blick, so als käme ich von einem anderen Stern und er wäre sich nicht ganz sicher, wie er mit mir umgehen sollte. "Du warst noch nie betrunken, oder?"
"Wieso sollte ich noch nie betrunken gewesen sein?"
"Ich weiß nicht, du wirkst nicht wie ein Mädchen, das jedes Wochenende feiern geht."
Ertappt senkte ich den Blick. "Nein, das mache ich auch nicht. Aber trotzdem habe ich so meine Erfahrungen mit Alkohol." Um genau zu sein, war das Wort Erfahrungen übertrieben. Ich hatte genau einmal Alkohol getrunken und zwar bei einem unserer Liebeskummer-film-abende im Internat. Ein Mädchen, Rita, hatte für ihre, am Boden zerstörte beste Freundin Helena, zwei Flaschen Himbeerlikör besorgt. Woher, war mir schleierhaft, denn wir waren damals erst 15 Jahre alt gewesen. Nach drei Gläsern quasselten wir solchen Unfug, dass wir uns beinahe durch den Raum kugelten vor Lachen, bis Schwester Klara, deren Zimmer unserem Schlafsaal am nächsten war, die Tür aufgerissen und uns zur Oberschwester Margret geschickt hatte. Als wir in ihrer Kammer standen, hatte sich bereits alles um mich herum zu drehen begonnen und nach dem wir zwei Monate Ausgangsperre aufgebrummt bekommen hatten, hatte ich mich in mein Bett geflüchtet und war wie ein Stein eingeschlafen. Trotzdem hatte ich am nächsten Morgen den Kater meines Lebens gehabt und um zehn Uhr bei einer Mathearbeit, die ich nebenbei bemerkt, vollkommen verhauen hatte, hatte ich mir geschworen, nie wieder Alkohol zu trinken. Hier war ich nun, mit fast 19 und hatte gerade mal einen einzigen Vorfall mit Alkohol vorzuweisen.
Es dauerte nicht mal drei Sekunden, bis Remsey mich durchschaute. "Pah, lüg doch nicht. Wüsstest du, was Alkohol mit den Menschen anstellt, würdest du mir glauben. Aber Gott-sei-Dank, bin ich so nett und erteile dir ein wenig Nachhilfe in Sachen richtiger Umgang mit Alkohol. Ein Bier für die Jungfrau hier drüben bitte!"
Bevor ich überhaupt begriff wie mir geschah, oder dass Remsey mich gerade in aller Öffentlichkeit eine Jungfrau genannt hatte, drückte mir schon irgendjemand einen roten Plastikbecher in die Hand und Resmsey prostete mir zu. "Auf dein erstes Mal!", rief er und nahm einen so großen Schluck, dass ihm die Flüssigkeit über die Lippen lief und auf seine schwarze Sweatshirtjacke tropfte. Ich hingegen nippte nur an der goldbraunen Flüssigkeit, doch schon das reichte aus, um mir einen Schauer den Rücken hinunter zu jagen. Himmel, war das bitter. Da war ja sogar der Himbeerlikör noch besser gewesen. Ich gab mir große Mühe mir nicht anmerken zu lassen, wie angewidert ich war und wollte den Becher gerade auf der Tischplatte abstellen und mich nochmals nach dem Badezimmer erkundigen, als plötzlich die Blondine Laurel zwischen Remseys Beinen aufsprang und ihn am Arm packte.
-Ende von Kapitel 30.- und vielen Dank für über 200 Votes! Das ist das beste Feedback für mich und es freut mich sehr, dass es euch allen anscheinend so gut gefällt.
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The Story of Ocean and Sky
Novela Juvenil"Aber du würdest mich gerne kennen." Himmel, war dieser Kerl eingebildet. "Davon träumst du", spottete ich und klopfte mir innerlich vor Stolz auf die Schulter. Sein Lächeln war jedoch nicht die Reaktion, die ich darauf erwartete hatte. "Ja, viellei...