8.

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"Hallo", begrüßte er mich unbekümmert, doch ich konnte sein Grinsen nicht erwidern. Mein Gehirn arbeitete so langsam, als hätte jemand die Zahnrädchen mit zähflüssigem Honig beschmiert. "Dieser Platz ist besetzt", brachte ich schließlich hervor und richtete mich langsam auf.
"Ich weiß. Von mir." Mit lässig, vor der Brust verschränkten Armen, lehnte Ocean sich selbstgefällig zurück. Fassungslos starrte ich ihn an. "Nein, eigentlich nicht."
"Meine Gesellschaft ist sicher besser, als die deiner Tasche", gab er arroganterweise zurück, was mich unfreundlich die Augen zusammen kneifen ließ. "Das wage ich zu bezweifeln."
"Oho." Ocean zog amüsiert die Augenbrauen nach oben. "Warum so böse, Sky Cassidy?" Er erinnerte sich also wieder an meinen ganzen Namen? Wow, das überraschte mich wirklich, nachdem was ich über seinen Frauenverschleiß gehört hatte.
"Ich bin nicht böse!", giftete ich zurück, was Ocean ein tiefes Glucksen entlockte.
"Natürlich nicht."
"Wie geht es meinem Pulli?", wechselte ich abrupt das Thema, auch wenn ich eigentlich nicht vorgehabt hatte, mich weiter mit ihm zu unterhalten. Mein Mundwerk machte sich offenbar selbstständig.
"Gut, gut." Ocean gähnte und streckte die muskulösen Arme in die Luft, sodass ich das Tatoo an seinem Oberarm genauer erkennen konnte. Es waren drei senkrechte Balken nebeneinander, unter ihnen befand sich ein weiterer waagrechter Balken, über ihnen ein nicht ausgefüllter Kreis. Es erinnerte mich an ein altes indianisches Symbol. Vielleicht war es das auch, sofort brannte die Frage auf meiner Zunge.
"Das Gröbste habe ich schon ausgewaschen", erklärte er gerade, als er die Arme wieder sinken ließ, "der Rest geht sicher in der Waschmaschine raus."
"Na, wenn du das sagst." Mein Misstrauen war nicht zu überhören.
"Vertrau mir."
Natürlich waren seine Worte lediglich auf meinen Pullover bezogen und trotzdem stockte mir der Atem. "Warum sollte ich?"
Ruckartig beugte er sich nach vorne, sodass sein Gesicht blitzschnell nur noch ein paar Zentimeter von meinem entfernt war.
"Du hast gar keine andere Wahl."
Sein Atem traf mein Gesicht und augenblicklich reagierte mein Körper auf ihn. Ein Schauer überlief meinen Rücken und jedes noch so kleine Härchen an meinen Armen richtete sich auf. Ich konnte nur hoffen, dass das von Ocean unbemerkt blieb und schüttelte ärgerlich den Kopf. Es war nicht fair, dass er so etwas mit mir anstellte, er brachte jeden meiner Gedanken durcheinander, nur durch einzelne, kleine Worte.
Ich wich ein Stück zurück, in dem Bestreben kühl und beherrscht zu wirken. "Ein bisschen gestört bist du schon, oder?"
Er zuckte mit den Schultern. "Sind die Verrückten nicht die besten?"
Ich wollte gerade den Mund öffnen, um etwas Schnippisches zu erwidern, als jemand laut in die Hände klatschte.
"So, meine Damen und Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?"
Ich drehte mich nach vorne und verschränkte die Arme vor der bebenden Brust. Warum war ich so nervös? Konnte das etwa an Ocean liegen? Nein, ausgeschlossen. Wahrscheinlich hatte ich in der Freistunde lediglich zu viel Cola getrunken und litt jetzt an einem Überschuss an Koffein.
Unser Dozent war überraschend jung. Zu jung, für einen gewöhnlichen Professor. Er musste eine unglaubliche Karriere vorzuweisen haben, wenn er mit geschätzten 25 Jahren bereits hier unterrichten durfte. Zwar trug er einen ordentlichen, stylischen Bart, doch das jugendliche Glitzern in seinen Augen, war nicht zu übersehen, als er lässig die Hand hob und lächelte. Sein kompletter Unterarm, bis hinauf zu seinem aufgerollten Hemdsärmel, war mit schwarzen Mustern übersät. Unauffällig ließ ich den Blick durch den Raum schweifen und mein Verdacht bestätigte sich. Der Großteil der Teilnehmer waren Mädchen und sie glotzten völlig verzückt zwischen unserem Lehrer und OCEAN hin und her. Beide schienen die träumerischen Blicke gar nicht zu bemerken, vermutlich waren sie sie schon gewöhnt. Und obwohl sich jedes Mädchen offenbar die Finger nach Ocean leckte, saß er - und bei dieser Tatsache, begann etwas in meinem Inneren aufgeregt zu kribbeln - neben mir.

Mit vor Ärger gerunzelter Stirn, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Wieso interessierte mich das überhaupt? Oh ja, Ocean LaForge saß neben mir, na und? Deswegen musste mein Magen noch lange  nicht durchdrehen. Aber das tat er, was mich wütend die Hände zu Fäusten ballen ließ.
"Hi", begrüßte unser Dozent uns freundlich, "mein Name ist Patrick Bender, aber für euch einfach nur Pat." Aus den hinteren Reihen, ertönte ein leises Seufzen und jemand kicherte. Über Pats Gesicht huschte ein belustigtes Grinsen, bevor er fort fuhr. "Der Ein oder Andere, der sich mit Fotografie schon ein wenig auseinander gesetzt hat, oder sich ein bisschen auskennt, hat meinen Namen vielleicht schon ein paar Mal irgendwo gehört, ich bin in meiner Branche recht bekannt. Meine erste Kamera hielt ich mit 8 Jahren in den Händen, als ich 12 war, habe ich angefangen professionellere Fotos zu schießen, war in allen möglichen Kursen und Fortbildungen, bis ich schließlich mit siebzehn ein Praktikum bei Vanity fair ergatterte. Das öffnete mir dir die Tür ins Fotografiebuisness, bis ich zwei Jahre später meine erste eigene Ausstellung eröffnete und mich selbstständig machte. Inzwischen habe ich in ganz England Galerien, die Größte natürlich in London, eine in New York, eine in Brüssel und noch ein paar in Japan. Dabei kann man mein Fachgebiet nicht wirklich eingrenzen, höchstens auf den Satz: Fotografie ist Kunst. Und genau darum geht es in diesem Kurs, die Schönheit in ganz gewöhnlichen Dingen und Szenarien zu entdecken. Wozu gebrauchen wir normalerweise Fotoapparate? Genau, um Momente einzufangen und Erinnerung festzuhalten. Dabei dreht sich alles um besondere Augenblicke in unserem Leben: der siebzigste Geburtstag von Tante Polly, der Familienurlaub von 1983 an der Küste Spaniens, oder wie ein kleines Kind laufen lernt. Wir hingegen, wollen uns nicht nur für diese einfachen, großen Ereignisse interessieren, wir achten auf die kleinen Dinge. Wir analysieren, wir forschen und wir zaubern mit unseren Kameras aus gewöhnlichen Situationen, Kunst." Er strahlte begeistert in die Runde, während sich über uns ein beeindrucktes Schweigen gelegt hatte.
"Also los." Pat rieb sich geschäftig die Hände. "Als erstes, wir arbeiten in Teams. Teamwork ist etwas, dass euch bei eurer Arbeit als Fotograf, oder Fotografin, immer anlasten wird. Kein Foto wird gut, ohne die richtigen Menschen. Ich würde dazu vorschlagen ihr arbeitet mit eurem Sitznachbar zusammen. Ich glaube, dass wäre am einfachsten."
Oh shit. Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich wie von der Tarantel gestochen zu Ocean herum fuhr.
"Nein!", entfuhr es mir und prompt richteten sich sämtliche Blicke auf mich. Ocean grinste dreckig.
"I-ich...", stammelte ich und sah hilflos zu Pat. "Ich kann nicht m-mit ihm..."
"Gibt es ein Problem?", erkundigte Pat sich laut und ich wollte gerade heftig nicken, als Ocean den Kopf schüttelte und nach meiner Hand griff. "Überhaupt nicht. Sie freut sich nur und kann es gar nicht glauben, dass sie tatsächlich mit mir zusammen arbeiten darf." Er warf sich zufrieden in die Brust, als ich ihm fluchs meine Hand entzog und ihn entgeistert anstarrte. "Bitte was?!"
"Na, dann ist ja alles in Ordnung." Pat überging meinen erschrockenen Einwand und drehte sich zu seinem Pult um, während Ocean mir ein triumphierendes Grinsen schenkte.
"Das ist nicht dein Ernst, oder?" Ich war ein wenig überrascht, dass sich durch die aufkeimende Panik in mir, tatsächlich noch Worte ihren Weg zu meinem Mund erkämpften.
"Du solltest dich ein bisschen mehr freuen", flüsterte Ocean und lehnte sich ein Stückchen weiter zu mir herüber, damit ich ihn besser verstehen konnte. "Jede andere in diesem Raum, würde sich die Haare ausreißen, um mit dir tauschen zu können." Mir wurde schlecht. Wie konnte ein Mensch nur so selbstverliebt sein? Erneut wich ich vor ihm zurück und verschlang die Arme mit einander. "Dann los, such' dir eine aus und ich tausche liebend gern mit ihr."
Ein Schmunzeln verzog Oceans Lippen. "Vielleicht will ich aber keine andere."
Ich zögerte. Nicht lange, höchstens für den Bruchteil einer Sekunde, aber es war ein Bruchteil zu lange. Oceans Grinsen wurde breiter. Ich schnaubte hastig und kniff unbeeindruckt die Augen zusammen, doch er hatte es längst bemerkt. Ich wollte etwas sagen, irgendetwas, um mich aus deinem Schlamassel heraus zu manövrieren, doch wieder schnitt Pat mir das Wort ab.
"So, wir ziehen das Ganze wie einen Wettbewerb auf. Ihr wisst ja, Konkurrenz belebt das Geschäft, oder in unserem Fall, die Schönheit der Bilder. Um gleiche Bedingungen zu schaffen, erhält jedes Team von mir dieselbe Kamera. Zeit habt ihr bis zum Ende dieses Semesters. Wer mir dann die Mappe mit den schönsten und geschicktesten Bildern präsentiert, gewinnt in den Semesterferien eine Woche mit mir und meiner Arbeit. Das heißt, ich werde den zwei Gewinnern eine Woche lang, alles zeigen, was ich zu tun habe. Wir werden durch England reisen, ihr werdet unter Umständen ein paar Kontakte knüpfen können und natürlich werden wir Kunst offenbaren."
Sofort brach knisterndes Getuschel aus, doch Pat fiel es nicht schwer, dieses mit seiner tiefen Stimme zu übertönen. "Kommt nach vorne und holt euch die Kamera, eine pro Team!"
Ich saß am Fenster, Oceans Platz war näher am Gang, irgendwie hatte ich erwartet, er würde aufstehen. Doch er rührte sich nicht. Stattdessen warf er mir einen auffordernden Blick zu. "Na los!"
"Was?" Ich blinzelte verwirrt.
"Ja, hol' die Kamera?!"
Entgeistert sah ich ihm in die Augen, um herauszufinden, ob er vielleicht einen Witz machte. Aber sie waren einfach nur warm und blau und unergründlich wie immer.
"Wieso sollte ich?"
"Mach jetzt!", befahl Ocean und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust.
"Bei dir piept's wohl!", empörte ich mich, was ihm augenblicklich ein Lächeln entlockte.
"Wie redest du denn mit mir? Verstehst du das unter Teamwork? Mich herumzukommandieren?"
"Nein, das verstehe ich unter die Frau macht, was der Mann ihr sagt", erwiderte er, "also los jetzt." Oh Gott, auch noch ein Macho.
"Du meinst das wirklich ernst, oder? Verdammt, wie hat deine Mutter dich denn erzogen?"
Sein Gesichtsausdruck wechselte so schnell von genervt zu wutentbrannt, dass ich nicht mal die Zeit hatte, zusammenzuzucken. Ein Moment lang, dachte ich tatsächlich er würde mich schlagen, ich traute es ihm sofort zu, doch stattdessen schob er sein Gesicht nur so nah vor meines, dass sich beinah unsere Nasenspitzen berührten.
"Rede nie wieder über meine Mutter, hast du das verstanden?", zischte er und sein heißer, zorniger Atem traf meine Wange. Ich konnte nicht antworten, so nah war mir noch nie jemand gewesen, vor allem nicht in einem Moment, in dem ich so ängstlich und eingeschüchtert war, wie jetzt. Ocean war ein Krimineller und er bedrohte mich, hier, vor aller Augen, im Fotografiekurs.
Er packte meine Schultern und schüttelte mich leicht. "Ob du das verstanden hast?"
Ich beeilte mich zu nicken und ein gehauchtes "ja" verließ meinen Mund. Ocean ließ mich los und erhob sich.
"Gut", knurrte er im Davongehen.

Ich atmete ein paar Mal tief durch, bis Ocean zurück war und den Fotoapparat auf die Tischplatte legte.
"War gar nicht so schwer", lachte er, "hättest du auch geschafft."
Ich blickte weder zu ihm, noch zu der Kamera. Stattdessen drehte ich mich nach vorne, schlang die Arme um den Oberkörper und rutschte so weit wie möglich von ihm weg, bis ich fast auf dem Fensterbrett hockte.

-Ende von Kapitel 8.- Ohhh, was hat Ocean nur? War schon ein bisschen beängstigend, oder? Schreibt mir Eure Meinung gerne in die Kommentare und hinterlasst mir ein Sternchen!!

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt