Nein!
Sie war weg.
Nein, nein, nein, nein, nein!
Ein seltsam panisches Gefühl machte sich in mir breit, als ich sie in ihrem schmutzigen Pick-up davon fahren sah. Ein Gefühl, das ich erst ein einziges Mal empfunden hatte. Mein Magen krampfte sich vor Angst und Anspannung zusammen. Konnte es etwa sein, dass ich dieses Mädchen gern hatte? Ich dachte daran zurück, wie ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, mit hochrotem Kopf und diesem grässlichen blauen Pullover in der Medizinvorlesungen. Ich hatte sie gesehen und gewusst, dass ich sie haben musste. Dass ich sie brauchte. Doch hatte es sich nicht ein klein wenig anders angefühlt, als sonst? Ich hatte mich nicht weiter darum gekümmert. Emotionen und Empfindungen hatten in meinem Leben keinen sonderlich hohen Stellenwert, bis zu dem Zeitpunkt, heute in der Mittagspause, als sie sich geweigert hatte, mit zu mir zu fahren. Sie war schlau und ihre Freunde hatten sie sicherlich vor mir gewarnt, doch ich hatte mich tatsächlich geschämt. Sie hatte Recht, sie hätte sich von mir nicht dazu überzeugen lassen sollen, mit mir mit zu kommen. Es war ja nicht nur, wie ich über sie geredet hatte, allein meine Gedanken waren abstoßend gewesen. Sie hatte begonnen mir ein stückweit zu vertrauen und dieses Vertrauen hatte ich mit Füßen getreten, nur weil ich vor meinen Freunden cool hatte dastehen wollen. Ich hatte gefragt, wie man einen blauen Pullover am Besten reinigt, dann hatte Remsey angefangen von Sky zu erzählen und was hatte ich sagen sollen? Dass meine Gedanken sich in den letzten Tagen fast ausschließlich um sie gedreht hatten, wie um einen verdammten Magneten? Dass etwas in meinem Inneren sich bei jedem Blick, den sie mir zuwarf regte, von dem ich gedacht hatte, es würde längst nicht mehr existieren? Nein, so jemand war ich nicht. Ich brauchte das Ansehen und den Respekt meiner Freunde, keine guten Ratschläge von Marcia oder abfällige Bemerkungen von Kelly und Michael. Obwohl das jetzt wohl sowieso folgen würde, nachdem ich Sky nachgelaufen war, wie ein verliebter Schuljunge. Und alles, das mich zu diesen Einsichten gebracht hatte, war Skys Blick gewesen. Ihr verletzter, gedemütigter, enttäuschter Blick, der mir die Eingeweide eingefroren hatte. Ich hatte sie verloren, bevor mir überhaupt klar geworden war, was ich vor mir gehabt hatte und das alles durch ein paar unüberlegte Worte, über einem Teller Chilli con Carne. Ich hatte mir keine Gedanken über all die seltsamen Gefühle gemacht, hatte mich strikt abgelenkt, doch jetzt sah ich es so klar vor mir, wie ein zusammen gesetztes Puzzle. Ich mochte Sky. Ich mochte sie sehr.Und wer war Schuld daran, dass sie verschwunden war? Nein, nicht ich. Von mir hätte sie das alles nie erfahren. Es war Michael.
Meine Hände ballten sich augenblicklich zu Fäusten, so wütend wurde ich. Der Zorn brodelte so heiß in mir auf, dass mein Gehrin versagte und ich wie ferngesteuert durch den Regen zum Haus zurück stapfte. Michael, dieser Bastard, würde das bekommen, was er verdiente, dafür würde ich sorgen.Als ich die Haustür aufstieß, sah ich Michael im Flur an der Wand lehnen. Seine Wange war gerötet und glänzte wie eine widerliche Speckschwarte und aus seinem rechten Nasenloch lief Blut über seine Lippen und sein Kinn. Er sah schon jetzt recht zugerichtete aus, jedoch lange noch nicht genug für das was er getan hatte. Zu allem Überfluss kniete auch noch Kelly neben ihm und tupfte ihm mit einem Lappen vorsichtig das Blut vom Kinn. Es sah ganz so aus, als wäre er das arme, unschuldige Opfer und vermutlich dachte Kelly das tatsächlich, denn sie hob den Kopf, als ich herein kam und warf mir einen bösen, vorwurfsvollen Blick zu.
"Geht's noch, Ocean?", fauchte sie aufgeschreckt, doch ich achtete nicht auf ihr Gezeter, als ich mit großen Schritten die Distanz zwischen Michael und mir überbrückte. Ich sah die Angst in seinen Augen aufflackern, allerdings verschaffte mir das nur grimmige Genugtuung. Er hatte allen Grund Angst vor mir zu haben.
Kelly sprang auf und baute sich schützend vor Michael auf, doch ich hatte weder Zeit noch Lust mich mit ihr auseinanderzusetzen und so schob ich sie mit einem Arm locker zur Seite, bevor ich neben Michael in die Hocke ging.
"Willst du mir etwas sagen?", fragte ich an Michael gewandt und zwang mich ruhig zu klingen. Er sollte nicht sehen wie sehr mich die Sache aufwühlte, noch nicht. "Dich vielleicht entschuldigen?"
Michaels Lippen verzogen sich zu einem verrückten, provozierenden Grinsen. "Ich denke ja nicht einmal daran."
Meine Faust traf seine, ohnehin schon gerötete Wange, noch bevor er blinzeln konnte und die Haut über seinen Wangenknochen platzte auf. Sein Kopf wurde durch die Wucht meines Schlags gegen die Wand geschleudert, doch bevor er sich wehren konnte, krallte ich die Finger in den Kragen seines blutbesprizten Hemdes. Langsam drehte er seinen Kopf wieder in meine Richtung, doch wieder lächelte er diabolisch. "Dann hatte ich also Recht."
"Womit?", knurrte ich und das Lächeln der widerwärtigen, verräterischen Ratte wurde noch breiter. "Du magst sie."
Ich holte erneut aus, diesmal zielte ich direkt auf seinen Mund. "Du hast keine Ahnung wen ich mag und wen nicht, du wiederwärtiger Drecksack!"
"Fühlt sich scheiße an, oder? Den Menschen entrissen zu bekommen, der einem wirklich etwas bedeutet", krächzte Michael und sein ganzer Mund füllte sich mit Blut. Mein Schlag hatte offenbar gesessen, doch trotz der Schmerzen, die er haben musste, ließ er es sich nicht nehmen mir immer mehr Wörter ins Gesicht zu spucken. "Erinnerst du dich? Genau das selbe hast du auch mit mir gemacht."
Ich begriff augenblicklich worauf er hinaus wollte und schlagartig wich sämtliches Blut aus meinem Gesicht. Deswegen also verabscheute er mich. Wegen dieser Geschichte, die schon so weit zurück lag, obgleich ich mich an jedes Detail erinnerte, als wäre es gestern gewesen. Doch Michael war darin nur eine winzige Nebenfigur gewesen, er kannte gerade Mal einen Bruchteil der Wahrheit. Und mehr durfte er auch nicht erfahren. Niemand durfte das.Mein Griff um sein Hemd lockerte sich, doch Michael machte dennoch keine Anstalten sich aufzurichten. Wir waren beide viel zu sehr in die Vergangenheit versunken, als das wir uns gerade um die Gegenwart hätten kümmern können.
"Du hast keine Ahnung", flüsterte ich, zu mehr war ich nicht mehr im Stande. "Und du kannst das niemals mit heute vergleichen."
"Ist mir egal!" Michaels Stimme war wesentlich lauter als meine und Tränen der Wut und sicher auch des nie vergangenen Schmerzes, traten ihm in die Augen. "Ich habe bemerkt, wie du Sky angesehen hast. Du kannst zwar immer noch nicht auch nur ansatzweise verstehen, was du mir damals angetan hast, aber ich wollte, dass du wenigstens einen kleinen Teil meines Schmerzes am eigenen Leib erfährst. Das war erst der Anfang meiner Rache, aber ich schwöre dir, du verdammter Wixer, du wirst genauso bluten wie ich."
"Ich habe sie auch gemocht, hörst du?" Ich hatte meine Stimme wieder gefunden und der heiße Zorn ließ mich gegen ihn ankämpfen. Er hatte nicht den leisesten Schimmer und tat trotzdem so, als wäre er das Opfer von damals. Er hatte ja keine Ahnung wie glimpflich er davon gekommen war. Er war der letzte, der das Recht hatte sauer auf mich zu sein.
"Und ich habe sie dir nie entrissen, sie hat sich für mich entschieden!"
"Du hast ihr etwas vorgespielt!" Kleine Blutströpfchen aus seinem Mund, sprühten auf mein Gesicht. "So wie du immer allen etwas vorspielst. Wann warst du das letzte Mal ehrlich, Ocean? Kannst du dich überhaupt noch daran erinnern?" Er hielt kurz inne, während er mir einen verächtlichen Blick zuwarf. "Ja, vielleicht hast du sie wirklich gemocht. Aber ich habe sie geliebt und das wusstest du ganz genau."
"Verdammt, ich habe dabei doch nicht an dich gedacht!" Er brachte mich immer mehr in Rage.
"Nein", erwiderte Michael und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. "Du hast an dich gedacht. So wie du immer nur an dich denkst!"
Ich dachte immer nur an mich? Dieser Kerl warf mit wüsten Behauptungen um sich, dabei kannte er mich so wenig. Viel zu wenig, um sich solch ein Urteil über mich zu erlauben.
"Weißt du", fuhr er fort, "ich hatte mich ja langsam damit abgefunden, dass sie auf dich hereingefallen ist. Vielleicht, dachte ich, vielleicht mag er sie ja wirklich. Ich wollte immer nur, dass sie glücklich ist. Am Besten glücklich mit mir, aber ihr Herz hing eben an dir. Nur als du sie dann wie Dreck behandelt hast und ich sie fast jeden Tag weinen gesehen habe, da habe ich angefangen dich zu hassen. Du hattest sie nicht verdient, keinen einzigen Moment mit ihr, und diese Sky verdienst du eben so wenig, einfach weil glücklich sein nichts ist, das dir vergönnt sein soll."Ich schwieg während mir langsam und ohne das ich es hätte verhindern können, die Schuldgefühle den Rücken empor krochen. Eigentlich war es doch so: Würde Michael die absolute Wahrheit kennen, hätte er mir nicht so lange Gnade erwiesen. Dann wäre ich schon längst nicht mehr am Leben und vielleicht wäre es besser so.
"Du weißt gar nichts über all das", zischte ich, "du weißt nicht, wie oft ich mir wünsche ich könnte es ungeschehen machen und wie sehr ich jeden meiner Fehler von damals bereue. Ich kann sie nicht mal mehr ansehen, ihre Augen sind so voller Hass. Ich tue so, als würde es mich völlig kalt lassen, ich spiele das Arschloch und ich spiele es gern. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, Michael, ich genauso wie du. Und du kannst mich dafür hassen, dass ich so ein widerwärtiger Mensch bin, aber wenn das der einzige Weg wäre zu überleben, dann würdest du mit Sicherheit genauso handeln wie ich. Und in Zukunft:" Drohend wich ich näher an ihn heran, "Wirst du deine Finger von Sky lassen. Du wirst sie nicht berühren, du wirst nicht mit ihr reden, oder sie auch nur ansehen. Sie ist tabu für dich, hast du das verstanden? Sie ist die Letzte, die in die ganze Sache mit hineingezogen werden sollte."
Ich richtete mich auf und wandte mich von ihm ab. Jeder Schritt zur Treppe war eine Qual. Es fühlte sich an, als hätte jemand bleierne Gewichte an meinen Füßen befestigt. Hilfesuchend streckte ich die Hand nach dem Geländer aus und wollte gerade auf die erste Stufe steigen, als Michael noch etwas sagte und jedes seiner Worte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. "Du solltest sie nicht vor mir beschützen, Ocean. Sondern vor dir selbst."
-Ende von Kapitel 22.- Das klingt ja nach einer Menge Geheimnisse... Was denkt Ihr von Michael und Ocean nach Allem was passiert ist? War Ocean Attacke gerechtfertigt, oder findet Ihr, er sollte den Fehler lieber bei sich selbst suchen? Danke für's Lesen und nicht vergessen zu voten!!! <33
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The Story of Ocean and Sky
Teen Fiction"Aber du würdest mich gerne kennen." Himmel, war dieser Kerl eingebildet. "Davon träumst du", spottete ich und klopfte mir innerlich vor Stolz auf die Schulter. Sein Lächeln war jedoch nicht die Reaktion, die ich darauf erwartete hatte. "Ja, viellei...