Als ich zu Hause ankam, fühlte ich mich wie gerädert. Noch nie hatte mich eine Autofahrt derart angestrengt. Die ganze Zeit hatte ich krampfhaft versucht die Tränen weg zu blinzeln, sodass meine Augen jetzt schmerzhaft brannten. Mein Hals fühlte sich an wie zugeschwollen, ich bekam kaum noch Luft und wiedermal juckten meine Klamotten feucht auf meiner Haut.
"Da bist du ja, Sky", rief meine Mutter fröhlich und streckte den Kopf aus der Küche. "Wo warst du denn so lange?"
"In der Bibliothek", murmelte ich undeutlich und wurde nicht mal rot bei dieser Lüge. Ich wusste meine Mutter würde mich niemals für etwas verurteilen, erst recht nicht dafür, dass ich an das Gute in einem Menschen geglaubt hatte, zumal ich ja vorsichtig gewesen war. Nur eben nicht vorsichtig genug. Doch egal wie sehr ich mich auch nach einer Umarmung oder einer warmen, süßen Tasse Kakao sehnte, ich konnte jetzt unmöglich über alles reden.
Ich entschied mich also dafür, so schnell wie möglich zu duschen und mich anschließend in meinem Bett zu verkriechen. Gerade als ich meine Schultasche und den Fotoapparat, wegen dem überhaupt erst all das geschehen war und den ich jetzt nicht mal mehr ansehen mochte, auf mein Zimmer brachte, sah ich mehrere Nachrichten auf dem Bildschirm meines Laptops aufblitzen. Eine böse Vorahnung beschlich mich und tatsächlich, als ich die blinkenden Felder anklickte, öffnete sich Facebook und Remseys Chatfenster erschien. Ich wusste sofort, dass wieder nicht er es gewesen war, der mich hier mit Nachrichten bombardiert hatte.
Remsey: Sky, bist du gut angekommen?
Remsey: Bitte antworte mir.
Remsey: Sky, bitte. Ich kann dir alles erklären.
Remsey: Wo bist du?
Remsey: Schreib mir irgendetwas, ich will nur wissen, ob es dir gut geht.
Remsey: Ich mache mir Sorgen, Sky.
Remsey: SKY
Remsey: SKY
Remsey: SKY
Remsey: Verdammt, wenn du mir nicht antwortest, setzte ich mich jetzt sofort auf mein Motorrad und fahre zu dir nach Hause, um mich zu überzeugen, dass es dir gut geht.
Remsey: Willst du das, Sky?
Mein Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich. Wieso tat er das? Wollte er mich auf den Arm nehmen? Machte er sich über mich lustig? Aber wie grauenvoll war es, den Finger immer wieder auf meine ohnehin schon schmerzende Wunde zu legen? Oder meinte er es am Ende etwa ernst? Machte er sich vielleicht tatsächlich Sorgen um mich? Aber wieso sollte er? Er hatte doch schließlich selbst gesagt, dass ich ihn eigentlich einen feuchten Dreck interessierte. Der Gedanke daran versetzte mir erneut einen tiefen Stich. Nein, ich würde Ocean nicht antworten. Sollte er doch warten bis er schwarz wurde, mich würde er nicht noch einmal so verarschen. Andererseits... er hatte die letzte Nachricht vor zwei Minuten gesendet, was wenn er schon zur Garage unterwegs war und sich auf dem Weg zu mir den Hals brach? Ich wusste selbst am Besten was alles passieren konnte. Mein Magen krampfte sich in einer Welle von Panik zusammen, dann, bevor ich ich den Gedanken überhaupt zu Ende spinnen konnte, hatte ich ihm schon eine Nachricht geschickt.
Sky: Spiel dich bloß nicht so auf.
Remsey: Gott sei Dank, kam prompt seine Antwort, dir geht es gut. Bitte lass uns reden. Ich kann dir das erklären.
Sky: Nein danke, kein Bedarf. Wie kam er nur auf die Idee, ich würde mit ihm sprechen wollen? Er hatte mich in die Flucht geschlagen, jetzt sollte er sich auch von mir fern halten.
Remsey: Ich kann verstehen, dass du sauer bist...
Ach was, wirklich?!
Remsey: Und wenn du dich jetzt nicht mit mir unterhalten willst, dann eben morgen in der Uni.
Jedes seiner Worte machte mich wütend. Wieso ließ er es nicht einfach gut sein? Was war so lustig daran, auf meinen Gefühlen herumzutrampeln?
Sky: Raffst du es nicht?, fuhr ich ihn an, ich will nicht mit dir reden. Nie, niemals. Ich könnte dir ja nicht mal ein einziges Wort glauben, denn vielleicht gehört das ja alles zu deiner abartigen Masche mich doch noch ins Bett zu bekommen. Du widerst mich an Ocean, wirklich.
Meine Hände zitterten vor Zorn, als ich auf 'Senden' drückte, doch zum ersten Mal taten mir meine harten Sätze nicht Leid. Es war nur die Wahrheit und er hatte verdient sie zu lesen. Es folgten ein paar Versuche von ihm etwas zu schreiben, doch es kam nie bei mir an. Vermutlich löschte er es immer wieder. Schließlich war die einzige schwache Nachricht, die ich zu lesen bekam:
Remsey: Komm wenigstens morgen zu meiner Party.
Meine Erwiderung war schneller getippt, als ich blinzeln konnte.
Sky: Damit du mich abfüllen und in dein Bett schleifen kannst? Vergiss es.
Ich loggte mich aus Facebook aus und als ich meinen Laptop zuklappte, begannen salzige Tränen in meinen Augen zu brennen. Selbst wenn er noch etwas schrieb, konnte ich seine Antwort nicht lesen, doch es war vermutlich besser so. Ocean hatte mich mit seinen Worten vor seinen Freunden derart herabgewürdigt, als wäre ich ein ekliger, kleiner Käfer, den er mit dem Absatz seines Stiefels ohne weiteres auf dem Boden zerquetschen konnte. Bebend holte ich Luft und begann zu schluchzen. Das Duschen war vergessen, ich wollte nur noch aus den kalten Klamotten raus, mich in meinem Bett verkriechen, alles dunkel machen und heulen. Ich hatte keine Erfahrungen mit Jungs, aber eins stand fest: Ich hatte mehr für Ocean empfunden als ich hatte zugeben wollen, ich war noch nie einem Jungen so nahe gewesen und doch war es, ohne um den heißen Brei herumzudrehen, ein Griff ins Klo gewesen. Jetzt hatte ich wenigstens eine Erfahrung: Niemals auf Jungs wie Ocean hereinzufallen. Er hatte mich mit Sicherheit für mein ganzes Leben geprägt, in Zukunft würde ich vorsichtiger sein. Ich würde mich mehr denn je auf meinen ursprünglichen Plan fixieren, nämlich mir einen ordentlichen Mann zu suchen. Vielleicht einen intelligenten Physikstudenten, oder einen Jurastudenten mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, vielleicht sogar einen Theologiestudenten. Dann würde ich die Frau eines Diakons werden und würde mit meinen fünf Kindern im Pfarrhaus wohnen. Sie würden Gerda, Louis, Frédéric, Emma und John heißen und jedes Jahr im Sommer würde ich Marmelade einkochen, im September Apfelkuchen backen und nach der Geburt meines Jüngsten, John, würden mein Mann und ich uns nie wieder nackt sehen. Er würde jeden Sonntag in die Kirche gehen, um bei der Predigt zu helfen und ich als treue Ehefrau würde ihn jedes Mal begleiten. Doch plötzlich erschien mir nichts daran mehr schön. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht so ein graues, trostloses, langweiliges Leben, in dem mein Mann und ich neben einander her lebten und langsam für den anderen unsichtbar wurden. Ich wollte Aufregung und Abenteuer, Spaß und Liebe und dieses unvergleichliche Kribbeln im Bauch, bis ich alt und runzelig war.
Entsetzt begann ich noch heftiger nach Luft zu schnappen. Ocean hatte in der kurzen Zeit mein Gehirn völlig verdreht, ich konnte nicht mehr klar denken. Was war mit der Sicherheit und dem Frieden, den ich immer gewollt hatte? Plötzlich wollte ich etwas ganz anderes, etwas das ich unmöglich haben konnte. Etwas, das doch gar nicht zu mir passte und das unerreichbar war. Ich wollte schmutzige Anspielungen, die mich erröten ließen, doch ich war Ocean nicht wichtig. Kerle wie Ocean würden sich niemals für Mädchen wie mich interessieren, weil sie unfähig waren Gefühle zu zeigen, vielleicht hatten sie auch keine. Also egal nach was mein Herz sich sehnte, von jetzt an, würde ich auf die Vernunft hören, komme was da wolle.
-Ende von Kapitel 25.- Sky ist wirklich ganz schön sauer... Würdet Ihr an ihrer Stelle zu der Party gehen, oder hättet Ihr die selben Bedenken? Und trotz allem ist Ocean ganz schön süß, findet ihr nicht? Vielen Dank für's Lesen und hinterlasst mir ein Sternchen! Das ist wirklich das Beste Feedback für mich. <33
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The Story of Ocean and Sky
Teen Fiction"Aber du würdest mich gerne kennen." Himmel, war dieser Kerl eingebildet. "Davon träumst du", spottete ich und klopfte mir innerlich vor Stolz auf die Schulter. Sein Lächeln war jedoch nicht die Reaktion, die ich darauf erwartete hatte. "Ja, viellei...