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Wir hatten das rostige Gartentor passiert, was mir ein geräuschvolles Quietschen mitteilte und nun sahen uns alle, die dort vor der Haustür standen. Wenn ich vorher auch nicht sonderlich viel Aufsehen auf mich gezogen hatte, so mussten jetzt alle ihre Blicke auf mich richten, denn jeder wollte wissen, wer das Mädchen über Oceans nackter Schulter war.

"Bitte Ocean", zischte ich leise, damit die anderen nichts von unserer Unterhaltung mitbekamen, "ich will wirklich nach Hause."
"Halt die Klappe, Süße, und hör auf, dir Sorgen zu machen. Du musst nicht zwischen den ganzen besoffenen, notgeilen Arschlöchern mit dem Hintern wackeln, wenn du nicht willst. Eigentlich möchte ich dir nur etwas zeigen."
"Könntest du wohl damit aufhören, mich 'Süße' zu nennen?", wisperte ich energisch und hob vorsichtig den Kopf, nur um in lauter gaffende Gesichter zu blicken. "Oder wenigstens leiser sprechen? Immerhin sind wir Freunde, schon vergessen?"
"Das könnte ich niemals vergessen, Süße", säuselte Ocean und schob seine Hand vorwitzig meinen Oberschenkel nach oben, bis knapp unterhalb meiner Pobacke. Hilfe. Mehr fiel mir dazu nicht ein. Rutschten seine Finger noch ein kleines bisschen weiter nach innen, wären sie direkt zwischen meinen Beinen und würden mich berühren. Das war das reinste Vorspiel und absolutes Gift für meine Nerven. Ob ihm das wohl klar war?

"So kriegst du also deine Mädchen ins Bett, Ocean!", johlte da jemand und während Ocean nur lässig nickte, riss ich den Kopf und die Hände nach oben. "Es ist nicht so wie es aussieht!", teilte ich den Umstehenden lauthals mit, doch das ließ sie nur belustigt auflachen. Ich wollte im Boden versinken und Ocean geradewegs in die Hölle schicken.
"Könntest du etwas schneller gehen, bitte?", fauchte ich in Oceans Richtung. Es war hoffnungslos, runter lassen würde er mich ohnehin nicht und wo auch immer er mit mir hin wollte, ich hoffte, wir würden sein Ziel bald erreichen.
"Du kannst es wohl kaum erwarten", zog Ocean mich auf, als wir die Stufen zur Haustür erklommen.
"Ja, ich kann es kaum erwarten von dir runterzukommen", schoss ich spitz zurück und ich spürte wie Ocean an meiner Hüfte den Kopf bewegte. "Das habe ich auch noch nie gehört."

Ich verdrehte die Augen, gerade als Ocean den stickigen Flur betrat. Die Musik war jetzt so laut, dass wir unser Gespräch unmöglich weiterführen konnten, auch wenn es nicht so laut war, wie vor kurzem, als ich aus dem Haus gerannt war. Gab es vielleicht auf der Terrasse noch eine Aufführung? So wie das hier klang, war nämlich niemand hier. Das wäre ein unglaubliche Fügung des Schicksals aber nein, natürlich hatte ich kein Glück. Der Flur war immer noch gerammelt voll, nur waren alle beim Anblick des hablnackten Oceans verstummt und starrten ihn mit großen Augen an. Und mich. Das Mädchen mit dem puterroten Kopf, dass er wie einen Sack Mehl mit sich herum trug. Toll. So hatte ich mir den Abend vorgestellt.

"Oh Gott", murmelte ich und ließ peinlich berührt den Kopf wieder sinken. Das hier war sozialer Selbstmord. Oder eher Mord, immerhin war Ocean Schuld an der ganzen Sache. Morgen, wäre ich niemand anders, als ein weiteres Mädchen aus Oceans Harem.

Ich spürte wie Oceans Hand an meinem Oberschenkel auf und ab zu streichen begann, vermutlich wollte er mich dadurch beruhigen, aber genau das Gegenteil war der Fall. Er jagte Stromstöße durch meinen Körper, die mein Herz erst zum Aussetzen und dann zum Rasen brachten.

"Gerade noch rechtzeitig!", rief Ocean über das Donnern und Dröhnen der Musik hinweg, sodass sicher nicht nur ich, sondern auch alle anderen im Umkreis von zehn Metern, ihn verstehen konnten. "Fast wäre die Kleine mir entwischt."
Ich glaubte wirklich mich verhört zu haben, aber das Gelächter, das Ocean für seinen dämlichen Spruch erntete, überzeugte mich vom Gegenteil. Was sollte diese Show? Hatte er nicht gesagt, ich sei anders für ihn, wir wären Freunde und er wollte mich nie wieder verletzten? Jetzt diese Demütigung und wir standen wieder am Anfang. Er war ein Mistkerl, ein gottverdammter...
"Und jetzt Platz da! Meine beste Freundin und ich haben eine Nacht voller intimer Gespräche vor uns."
Augenblicklich war wieder Ruhe. Es war, als könnte niemand so wirklich glauben, was Ocean gerade gesagt hatte, ich am allerwenigsten. Ohne zu zögern, hatte er mich vor versammelter Mannschaft als seine Freundin geoutet und zwar nicht als irgendeine Freundin, sondern seine beste Freundin. Das war ja schnell gegangen. Ich weiß, ich hätte immer noch jedes Recht gehabt, Ocean wegen seines unmöglichen Verhaltens böse zu sein, aber meine Wut hatte sich mit seinen Worten in Luft aufgelöst. Er hatte mich gefriendzoned, um für alle klar zu stellen, dass ich eben nicht so ein Mädchen für ihn war und das berührte mich, obgleich es mich verunsicherte. Oceans Verhalten stellte mich immer wieder vor Rätsel. Er war so launenhaft. Seine Impulse kontrollierten ihn und er handelte, bevor er sich jemandem mitteilte. Wie viele Missverständnisse zwischen uns hätten sich bereits vermeiden lassen, wenn Ocean nur einmal den Mund aufgemacht und mit mir gesprochen hätte, bevor er irgendetwas getan hatte?

The Story of Ocean and SkyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt