● 4

1.3K 207 158
                                    

[A/N: Sagt mal - Was würdet ihr von einem Everyday-Roman halten? Einem richtigen Roman, in richtiger Länge, mit mehr Skye und Kassy?
Und jetzt - Sterben wir gemeinsam. Denn eine von Elias Müttern ist tot. Und ihr werdet jetzt erfahren, welche.]

  
Das ist jetzt acht Tage her. Diese Tage waren gefüllt mit Terminen und Arbeit und dem Durchforsten ihrer Unterlagen, um herauszufinden, wie sie ihr Begräbnis haben wollte. Denn das ist die traurige Wahrheit: Wir haben nie darüber gesprochen. Sie war nicht so alt und nie wollten wir über den Tod reden. Doch das sollte man. Bevor es zu spät ist.

Ich kaufe ein Grab, einen Sarg, Blumen, wähle einen Stein aus, wähle Lieder aus, besorge einen freien Pfarrer, der spricht. Ich kontaktiere ihre Mitarbeiter, Freunde, die restlichen Mitglieder unserer Familie. Ich organisiere einen Totenschmaus nach der Trauerfeier und der privaten Beerdigung. Ich mache all das, ohne wirklich darüber zu reden, was passiert ist.

Man sagt, die Trauerbewältigung hat mehrere Phasen. Schock und Verleumdung, Wut und aufkommende Gefühle, echte Trauer und als letztes die Akzeptanz. Mir kommt es oft so vor, als erlebe ich all diese Phasen zeitgleich. Auf einmal. Ich frage mich, wo der Junge hin ist, der aus jedem Ereignis eine Bilanz ziehen konnte und etwas lernte. Vermutlich ist er mit ihr gestorben und liegt in diesem schwarzen Sarg, der ihrer nicht gerecht wird.

Nichts wird ihr gerecht.


»Kassy war meine engste Vertraute, meine beste Freundin, meine liebste Partnerin und sie war meine Frau.«

Mum dort stehen zu sehen, macht es schlimmer. Bisher dachte ich, dass ich stark bin. Dass ich das schaffe. Ich bin Elias, ich bin das männliche Oberhaupt unserer Familie, ich muss stark sein, denn wenn ich es nicht bin, wer soll es dann machen? Wer soll alles regeln und organisieren und helfen? Wer tröstet sonst, wer schafft Unterkünfte für anreisende Freunde, wer sollte all das erledigen?

Aber ihr zuzuhören ... Es ... tut so weh.

»Wir haben uns vor knapp 30 Jahren kennengelernt, als wir beide noch jung waren und glaubten, die Welt dreht sich nur um uns. Nun, zumindest dachte ich das.«

Einige Leute lachen. Als wäre dieser Ort der richtige dafür.

»Kassy war selbstloser als ich. Sie war immer bereit zu helfen, wollte immer aktiv sein, niemals ruhen. Sie hielt unsere Familie zusammen und beschützte alle, die dazu gehörten, wie eine Löwenmutter. Nichts kam ihr in den Weg, wenn sie sich in etwas festgebissen hatte. Sie schaffte es, unseren Sohn Elias großzuziehen und dabei bin ich diejenige mit sozialem Hintergrund.

Sie akzeptierte meine Arbeit, meine Lebensweisen und am Wichtigsten: Sie half mir, wenn ich traurig war. Ich verlor meinen Bruder, als ich sie kennenlernte. Und später meinen Vater. Und obwohl Kassy selbst genug erlebt hatte, schaffte sie es immer, mich aus diesem Loch herauszuholen. Sie half mir, wie sie vielen geholfen hat. Und –«

Sie bricht ab. Ich sehe das Zittern ihrer Hände, die Tränenspuren auf ihren Wangen. Sie sah noch nie so alt aus. So erschöpft. So müde.

Jo ergreift meine Hand und ich sehe sie an. Konzentriere mich auf ihre blonden Haarsträhnen und ihr Muttermal auf der Wange und die Brille, die sie seit Neustem tragen muss und die mich in diesem Moment viel zu sehr an Ma erinnert und ich bekomme keine Luft und ich ...

»Ich weiß nicht, wer mir jetzt helfen soll, wieder weiter zu machen. Denn seit sie fehlt, ist da ein großes Loch, das nicht gefüllt werden kann.«

... kann nicht ...

»Doch heute ehren wir Kassy für den Menschen, der sie war. Wir gedenken ihrer und hoffen, dass wir sie eines Tages wiedersehen.«

... will nicht ...

Ich werde aus meiner plötzlichen Panikattacke gerissen, als Jo mich küsst. Das klingt vermutlich sehr kitschig und romantisch, aber sie weiß besser als jeder andere, dass eine solche Aktion einen kleinen Schockzustand im Hirn auslösen kann. Es lenkt zumindest ab, sodass ich wieder richtig atmen kann und genug Kraft habe, aufzustehen. Und zu gehen.

»Können wir nichts tun?«
»Elias, gib deiner Mutter Zeit.«
»Ma, sie braucht uns. Wir müssen für sie da sein!«
Ma nahm mich in den Arm und schüttelte den Kopf. »Jeder trauert auf seine eigene Art. Skyes Art ist es, sich für einen Tag zu verkriechen und dann wieder rauszukommen. Das musst du akzeptieren. Nicht jeder Mensch leidet gleich. Manche tun es leise, manche tun es laut. «

Everyday at midnight {I miss you}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt