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Aufstehen, zur Arbeit gehen, Schüler unterrichten, Berichte schreiben, Unterricht vorbereiten, nach Hause fahren, etwas zu Abend essen, etwas mit Jo unternehmen, warten bis sie schläft und aufs Dach gehen. Das ist mein Alltag und ich kann nicht sagen, dass er mich glücklich macht. Traurig allerdings auch nicht. Es ist weiterhin alles in diesem nichtssagendem Etwas. Dem unbenannten Nichts. Es ist so viel und so wenig. Oder irgendein anderer Mist, den sich Poeten und Philosophen jetzt ausdenken würden.

Mum zieht sich vollkommen von der Außenwelt zurück und das finde ich besser so. Da Luca nun ebenfalls aus der Villa ausgezogen ist, bleibt Fia allein zurück.

»Du könntest zurückkommen«, schlägt sie in meiner Mittagspause vor und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Unerlaubterweise habe ich sie ins Lehrerzimmer gelassen, doch außer uns beiden ist ohnehin niemand hier. Muss seltsam für sie sein, wieder an diesem Ort zu sitzen. In dieser Schule.

»Wohin?«, murmle ich mit vollem Mund und beiße erneut von der Pizza ab, die sie mitgebracht hat.

Sie verdreht die Augen, wie schon in unserer Jugend. Man könnte behaupten, dass sie mir mit den Jahren ans Herz gewachsen ist, aber die Wahrheit ist, dass ich ihr dankbar bin. Dankbar weil sie damals Jo an der bildlich gesprochenen Hand genommen hat und ihr half, als ich es nicht konnte. Ich bin eben kein Mädchen, ich kenne mich nicht mit Trends und Mode und dergleichen aus. Da Jos Verhältnis zu ihrer Zwillingsschwester nach wie vor schlecht ist, war ich froh, dass sie Fia an ihrer Seite hatte, um wieder zurück ins Leben zu kommen und Freunde zu finden, die nicht nachts auf Parkbänken sitzen.

»Nach Hause. Du und Jo, ihr wollt doch sicher einmal eine Familie gründen mit lauter kleinen süßen Babys haben. Dafür braucht ihr mehr Platz als die kleine Wohnung über dem Café euch bieten kann.«

Wieso nehmen alle Menschen in meiner Umgebung an, dass Jo und ich endgültig sind? Dass wir das ultimative Paar darstellen? Klar sind wir ein Dreamteam, aber das waren Ma und Mum doch auch.

»Und ich nehme dann die Café-Wohnung.«

Sie sagt es so beiläufig und desinteressiert, dass ich das Pizzastück sinken lasse. Für sie hat das MoonHour keine Bedeutung. Es ist nur eins der vielen Cafés einer kleinen Kette. Für mich ist es mein Zuhause.

»Ich mag die Wohnung«, beende ich unser Gespräch und stehe auf. »Und jetzt solltest du gehen.«

»Ach, Elias«, seufzt Fia und erhebt sich ebenfalls. Sie hält sich für die Schlauere von uns beiden, weil ihr Pädagogikstudium ihr einiges auf den Weg mitgegeben hat, das sie auf unsere Familie anwenden konnte. Sie glaubt, damit ist sie gewappnet gegen alles. Naiv.

»Ach Fia?«

Sie tätschelt meine Schulter als sie an mir vorbeiläuft. Ihre Haare, die sie seit Mas Tod fortwährend in dem dunklen Lila trägt, das Ma am Schönsten fand, fallen ihr in die Stirn. »Ich verstehe ja, wieso du Angst hast, aber lieber einige Jahre glücklich, als stets unglücklich. Das hast du auch mal so gesehen.«

Stimmt. Hatte ich. Bevor ich meine Mutter verloren habe. Und in Selbstmitleid ertrank.

»Wie kannst du damit umgehen?«

Sie lächelt. Bockmist, ich hätte sie das nicht fragen dürfen. »Ich stelle sicher, dass ich jeden Tag für etwas glücklich und dankbar bin. Und dann erinnere ich mich daran, dass ich euch noch habe. Dass ich noch lebendig bin und dass das eigentlich total cool ist. Du darfst nur nicht im Trott versinken. Das hätte Kassy nicht gewollt.«

Leichter gesagt als auch wirklich getan.

Everyday at midnight {I miss you}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt