● 31 - Oder das Ende einer Ära

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Es war einmal ein Junge, der bekam eine richtig große Sache geschenkt und er wusste viele Wochen lang nicht, was er damit tun sollte. Eigentlich wusste er viele Monate nicht, was genau er tun sollte. Aus diesem Grund ließ er das Leben einfach weiter an sich vorbeiplätschern, bis eine Entscheidung unausweichlich war.

Dieser Junge bin ich. Und die Entscheidung bezog sich auf meine Einstellung zu den MoonHour Cafés.

Es ist jetzt Frühling. Ma ist in wenigen Wochen ein Jahr tot und allmählich kann ich das sagen, ohne dass mir die Brust spannt. Wie meine Therapeutin es gesagt hatte, kamen die Phasen bei mir verspätet an. Ich hatte die Resignation eine ganze Weile drauf, vermischte sie mit dem Unglauben, bis ich endlich zur Wut kam. Das war die Zeit nach der Testamentseröffnung, als ich das Hotel in Schutt und Asche legen wollte. Als wir alle unsere Briefe erhielten, ließ ich meine Familie zurück und fuhr zu meiner Wiese, meiner Bank, die dort nicht mehr steht. Auch das Feld ist nicht mehr dort, stattdessen ist es bebaut worden, um eine Autobahn zu bilden. Natürlich wusste ich das, weil Jo und ich eine Petition dagegen gestartet hatten.

Jedenfalls war ich ziemlich lange dort, bis Jo mich abholte, damit wir gemeinsam heimfahren konnten. Von da an ging alles bergauf. Stück für Stück, Woche für Woche. Wie das im Leben so ist. Man bemerkt die großen Veränderungen erst, wenn all die kleinen Veränderungen Früchte tragen.

Und diese kleinen Veränderungen waren mitunter gar nicht so klein. Zuallererst hatte ich tatsächlich Kontakt zu meinem biologischen Vater, nur um zu merken, was ein Arschloch er ist, sodass ich ihn aus meinem Leben verbannte. Ich kam 28 Jahre lang ohne ihn aus, dann würde ich das jetzt auch schaffen.

Ich kündigte mein Referendariat und legte mein Studium auf Eis. Dafür reisten Jo und ich einen Monat lang mit Rucksäcken durch Europa, wie Mum und auch Tante Pennie es mal gemacht hatten. Und glaubt mir, das macht euch an Erfahrungen reicher.

Fia räumte die Villa nicht. Stattdessen holte sie sich einen Arbeitskollegen dazu und eröffnete mit Mums Erlaubnis dort ein freies Kinderheim. Nicht nur Ma wäre auf sie stolz gewesen, ich bin es auch. Wer hätte je gedacht, dass aus dem Schmink-Junkie mal eine Sozialarbeiterin wird? Ich sicher nicht.

Was in den Briefen der anderen stand, habe ich nie erfahren. Ich habe auch nie nachgefragt. Es gibt Dinge, die möchte ich gar nicht wissen und es gibt Dinge, die sind privat. Diese Briefe passen in beide Kategorien.

»Nein, die weißen Sessel kommen in die Eingangshalle!«

Alles muss man selber machen. Wirklich alles.

Achso, ja. Die größte Veränderung ist wohl mit mir geschehen. Das Hotel am Rande der Stadt steht kurz vor der Neueröffnung. Das MoonInn - ich weiß, sehr kreativer Name. Das ist allerdings Jo's Schuld, nicht meine - eröffnet in einer Woche und ich muss noch einiges tun.

Die Entscheidung es zu eröffnen, kam mir an Weihnachten, als ich das MoonHour abschloss. Damals half ich aus, weil ... ich hatte ohnehin nichts zu tun. Und mir macht es nach wie vor Spaß. Und da kam mir, was mir noch mehr Spaß machen würde. Ich sprach mit Lucian und ernannte ihn kurz nach Neujahr tatsächlich als Partner der MoonInc. Witzig, wie alles meinen Nachnamen trägt. Wir wollen erst einmal nicht weiter expandieren, zumal Lucian jetzt alle Hände voll zu tun hat. Er ist nämlich damit beschäftigt, alle Cafés zu besuchen. Und Elisa begleitet ihn gerade, weil Osterferien sind.

Ich für meinen Teil habe mich jetzt dem Hotelgewerbe verschrieben. Besuche Kurse, um das Hotelwesen zu verstehen und habe mir einen fähigen Mitarbeiter gesucht, der mir zur Seite steht. Aber nicht nur das. Wir haben auch eine offene Küche, mit einem Backworkshop. Der geleitet wird von Pennie. Ich wusste schon immer, dass sie Mas Talent in der Küche teilt, auch wenn ihr die Liebe dazu fehlte. Jetzt jedoch steht sie gerne stundenlang in der Küche und bringt auch Jo das Backen bei. Sie kreieren neue Sachen oder kochen Sachen aus Mas Rezeptbuch nach. So oder so ehren sie meine Ma und das rührt mich.

Luca half mir das Gebäude neu zu gestalten und zu erbauen. Wir bekamen nämlich einen Ostflügel. 12 Zimmer sind selbst für ein winziges Hotel zu wenig. Eigentlich bekamen wir sogar zwei Gebäude dazu. Ein kleines Haus und einen Anbau ans Hotel. Dort wohnt Pennie mit Elisa, während Jo und ich in das kleine Haus eingezogen sind. Erst einmal. Denke ich. Eigentlich weiß ich es nicht, denn bisher vermisse ich das MoonHour noch nicht so sehr. Nicht wenn ich hier alle Hände voll zu tun habe, um das Business zum Laufen zu bringen. Und ehrlich: Das hier ist jetzt auch mein Zuhause. Es trägt immerhin meinen Namen im Titel, das will schon was heißen.

Mum lebt recht zurückgezogen und hat sich einen Welpen angeschafft. Ihn zu trainieren verlangt ihr einiges ab, doch es beschäftigt sie.

Alles in allem ist mein Leben gerade sehr chaotisch. Aber wann ist es das einmal nicht gewesen? Ich möchte es auch gar nicht mehr anders, denn genau so gefällt es mir.

    

»Elias, wirst du etwa melancholisch?«, ist Noras erster Kommentar, als sie sich mit ihrer Kugel zu mir ins Büro schleppt und sich auf meinem Stuhl niederlässt. Ich habe jetzt echt ein Büro, das ist wirklich cool, nicht?

Ach so. Und ja. Nora ist schwanger. Überraschung!

»Hm?«

»Die Möbel erkenne ich doch wieder. Das sind welche aus dem MoonHour

»Es sind Nachmachungen«, korrigiere ich sie und schaue nicht von meinen Listen auf. Es sind nur noch sechs Tage bis zur offiziellen Eröffnung und ich muss noch einiges vorbereiten. Die Zeitungen muss ich auch zurückrufen und ...

»Du weißt hoffentlich, dass sie sehr stolz auf dich wäre.«

Jetzt schaue ich doch auf. Geht gar nicht anders. Ich muss lächeln und beschließe, meine beste Freundin auf einen Milchshake einzuladen. Die Küche ist immerhin schon einsatzbereit und Jo müsste gerade dort sein. Dann können die beiden werdenden Mütter sich mal wieder austauschen.

Ja, richtig. Auch Jo ist schwanger. Noch nicht so weit wie Nora, aber doch schon deutlich erkennbar. Es wird ein Mädchen, das wissen wir schon. Ich sage es immer wieder: Ich bin von Frauen umzingelt.

Sobald die Kleine da ist, werden wir heiraten. Eine Herbsthochzeit, wie Jo es sich schon immer gewünscht hat.

»Uh, sieh mal, Pennie, wir bekommen Industriespione.«

Ich grinse Jo aus der Ferne an und nähere mich der silbernen Show-Theke, die mitten in der Vor-Küche steht. Hier werden künftig Cupcakes gebacken, mit allen Leuten, die sich dafür anmelden. Ich denke, das hätte Ma gefallen. Sie hat sich oft mehr Zeit gewünscht, um Workshops anzubieten.

»Wie geht's denn meinen Mädchen?«, frage ich und kämpfe mich durch die herumstehenden Kartons auf Jo's Seite, wo Tante Pennie direkt Platz für mich macht.

»Sie liegt mir heute unangenehm auf der Blase, aber sonst hervorragend.« Jo will mich küssen, aber ich drehe den Kopf weg. Stattdessen beuge ich mich zu ihrem noch recht flachen Bauch hinunter und lege meinen Mund ganz nah dran.

Schwachsinnig, ich weiß. Aber ich darf das, ich bin werdender Vater. Die müssen sich so benehmen, um schon einmal zu üben, bis ihre Kinder da sind.

»Na, Kleines? Ärgerst du heute deine Mutter? Das ist nicht nett von dir.«

»Kleines?«, kichert Jo. Ich höre die Vibrationen fest an meinem Ohr. »Ich dachte, wir hatten uns auf einen Namen geeinigt.«

Haben wir auch.

Ohne mein Gesicht von ihrem Bauch zu nehmen, sehe ich Tante Pennie an. Ich hatte eigentlich vor, ihr den Namen unserer kleinen Prinzessin privat zu sagen, nicht so. Aber andererseits ... Wieso nicht genau jetzt und hier?

»Kassandra Moon. Es sollte immer eine in unserer Familie geben, meinst du nicht?«

Everyday at midnight {I miss you}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt