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Der eigentliche Speisesaal ist nicht sonderlich groß, bietet aber Platz für ein Buffet, das mit einigen Fressalien bestückt ist. Ich rieche Kaffee und widerstehe dem Drang. Zuerst muss ich mit Elisa reden, die in der ersten Dreierreihe sitzt, neben sich Lucian. Sie baumelt mit ihren Füßen, die kaum den Fußboden berühren und sieht so unschuldig aus. Nicht wie das Genie, das all das hier organisiert hat. Was nur verständlich ist, da sie es auch nicht war.

Vielleicht überrascht es euch ja, aber Elisa ist und bleibt eine Zehnjährige. Sie kann nicht all das tun, was ich als Erwachsener schon kaum zustande gebracht hätte. Sie war nur der Schlüssel für einen Plan, den jemand anderes entworfen hat.

Na, kommt ihr drauf? Nein, auch nicht Lucian. Er ist der zweite Schlüssel.

Richtig. Ma ist der Drahtzieher dieser ganzen Sache. Erst habe ich es auch nicht verstanden und gezweifelt, ob meine Ideen nicht doch etwas zu abwegig sind. Aber alles passt zusammen. Wie, fragt ihr euch? Man, dieses Mal seid ihr aber ganz schön interaktiv. Was war nochmal diese vierte Wand? Nein, ich bleibe jetzt ernst und erzähle, was ich kombiniert habe. Wie Fias Sherlock Holmes.

Wie bereits gesagt, schien Ma zu ahnen, dass es ihr nicht gut geht. Ich muss noch mit ihren Ärzten sprechen, aber sie werden es mir wohl bestätigen. Und weil Ma ist, wie Ma ist, kam sie auf eine Idee. Eine Idee, die so abstrus und verrückt ist, dass sie funktioniert. Sie musste nur Lucian und Elisa zusammenführen, als Köder. Denn ihr Plan konnte nur funktionieren, wenn wir alle mitziehen. Und ein zehnjähriges Kind ist der perfekte Dreh- und Angelpunkt für unsere Familie. Also hinterließ sie eine detaillierte Anleitung für Lucian, der zusammen mit Elisa alles durchführte. Inwieweit sie informiert ist, weiß ich nicht, werde es aber herausfinden. Sobald Pennie sie losgelassen hat und nicht mehr weint.

  

»Deine Mutter ... Zarah ... hat mir geschrieben.«

Ich weiß, dass es ein Fehler ist, den Mann anzusehen, der sich nie für mich interessiert hat. 28 Jahre lang war er verschollen, unwichtig, nicht von Bedeutung. Aus welchem Grund sollte Ma ihn jetzt hierherrufen?

»Ich wollte Kontakt zu dir und habe dem Café geschrieben. Davon hat Penelope immer so viel erzählt, also dachte ich ...« Er fasst sich an den Nacken und ich versuche krampfhaft nicht nach Ähnlichkeiten zu suchen. Habe ich seine Nase? Sein Kinn? Zucken meine Augen auch so unruhig hin und her?

»Ich will Kontakt zu dir.«

»Nach 28 Jahren?«, frage ich zweifelnd und schüttle den Kopf. »Wieso?«

»Ich will einmal im Leben etwas richtig machen. Das hier war doch ein guter Anfang, oder?«

Schnaubend wende ich mich ab. Dafür, für dieses Gespräch, fehlt mir gerade die Kraft. Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt etwas noch viel Dümmeres tue, setze ich mich in die Reihe hinter Elisa. Was eine Kettenreaktion startet. Wie bei einem Gottesdienst versammeln sich auf einmal alle, setzen sich hin, hören auf zu reden und starren gebannt zu dem Schreibtisch, an dem sich kurz darauf eine Frau setzt, die das Klischee einer Sekretärin ist. Schwarzer Rock, weiße Bluse, Haare hochgebunden, Lesebrille.

»Sie erinnert mich an Britney Spears«, nuschelt Jo links von mir und ich unterdrücke ein Kichern. Das ist kein Ort für Kichern. Das ist ein Ort für die Verlesung eines Testaments, das sogleich vorgetragen wird. Na dann ... mal sehen.

Everyday at midnight {I miss you}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt