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Das ehemalige Zimmer meiner Mütter sieht noch immer so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Weder Fia noch Luca haben je etwas daran verändert, auch wenn unsere Mütter vor einem Jahr ausgezogen sind, um näher in der Stadt zu sein.

Zwei der Wände sind in einem Fliederton gestrichen, die restlichen zwei in einem dunklen Beerenton. Ma liebte schon immer die Farbe Lila, weswegen auch die Bettwäsche des riesigen Bettes lila ist. Das ganze Zimmer ist sehr Kassy-lastig, was es schwer macht, sich hier aufzuhalten. Bilder von ihr und Mum stehen herum, Rezeptbücher und Notizzettel, als würde sie jeden Augenblick vorbei kommen.

»Hat sie ihr Zimmer nie geleert?«, fragt Nora leise und wagt es sich als Einzige, zu sprechen.

Luca schüttelt den Kopf. »Sie hat uns gebeten, es so zu lassen.«

»Aber wieso? Das ist ... makaber. Auch ohne ... dass sie ... ihr wisst schon. Wenn ich ausziehe, räume ich mein Zimmer aus.«

»Sie ist ja nie wirklich ausgezogen«, berichtet Fia mit einem kleinen Lächeln und streicht sich ihre Haare hinters Ohr. Ich lege meinen Arm um ihre Hüfte und sie schmiegt sich automatisch an mich. Auch mich überragt sie, aber das kümmert mich nicht. »Sie kam alle zwei, drei Tage vorbei. Ich glaube, sie konnte dieses Haus nicht loslassen, auch wenn das nie ihr wahres Zuhause war.«

»Oder ihre zwei Schützlinge«, pflichtet Jo ihr bei und streicht andächtig über einige Bücher.

All das sind nur Spekulationen, doch ich ahne, was der richtige Grund ist. Ma war schon immer nicht auf Materielles aus. Aber sie wusste, wie viel dieses Haus Mum bedeutet. Und dass Mum es deshalb niemals ganz aufgeben würde. Aus diesem Grund ließ sie dieses Zimmer bewohnt. Damit immer, wenn sie mal hier waren, ein Stück Heimat vor Ort war.

      

»Skye, ein Ort kann kein Zuhause sein.«
»Das sagst du. Ausgerechnet du?«
Ich sollte nicht lauschen. Es gehörte sich nicht. Aber ich war unfreiwillig in diese Lage geraten, als sie in die Küche kamen, wenn ich mir gerade Kekse stehlen wollte.
»Das Café ist ...«
»Deine Heimat.« Mum lachte. »Und dieses Haus ist meine.«
»Das Café ist nicht mein Zuhause, Skye. Ein Haus kann das nicht sein.«
»Wenn du jetzt sagst 'Du bist es' muss ich mich leider auf dir übergeben. Und das wäre schade, denn du hast heute mal un-bemehlte Kleidung an.«

   

Ich bin es, der den nächsten Hinweis findet. Am Fenster hängt der Umschlag, der den anderen gleicht und gleichzeitig schwerer ist. Was kein Wunder ist, denn als ich ihn in die Hand nehme, höre ich es klappern.

Erwartungsvoll schauen Luca, Fia, Jo und Nora mir über die Schulter, ducken sich, als ich den Umschlag öffne. Als würden sie gleich eine Bombe erwarten. Nun, so abwegig ist das nicht, wenn man Elisas Einfallsreichtum bedenkt.

»Das ist alles?«, bricht Luca die Stille und klingt zweifelnd. »Das kann nicht alles sein.«

»Ist es aber.« Zum Beweis schüttle ich den Briefumschlag aus, aber außer dem Schlüssel ist nichts darin. Es ist ein alter Schlüssel, aus Messing oder Bronze oder so etwas. Angelaufen ist er auch schon. Das wirklich Interessante ist jedoch das Schild, das daran befestigt ist.

»Summer Hotels« »285«

»Ihr Hochzeitstag«, murmle ich und streiche über die eingestanzten Buchstaben. »Der 28. 05. ist ihr Hochzeitstag.«

     

In Windeseile beschließen wir zu dem Hotel zu fahren, das keinem von uns bekannt vorkommt. Und auch Google Maps hat Probleme, uns eine Fahrroute zu ermitteln. Am Rande der Stadt, schon fast außerhalb, liegt das kleine Hotel mit zwölf Zimmern. Was die hoch angesetzte Zimmernummer nur noch skurriler macht.

Vergessen ist meine Pflicht, verdrängt ist meine Arbeit. Allmählich macht mir dieses Abenteuer auch Spaß.

Everyday at midnight {I miss you}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt