Ein Stück Vergangenheit

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Richmond, 2016

Ich sah auf den Wecker. Fünf Uhr morgens. Wäre heute ein normaler Schultag gewesen, hätte ich mich jetzt noch einmal umgedreht und bis halb acht weitergeschlafen. Aber heute war kein normaler Tag, heute war mein Geburtstag. Mein sechzehnter.

Tage-, nein wochenlang hatte ich mir jetzt schon das Geschnatter in meiner Klasse anhören müssen. Da ich nicht die Einzige war, die im März Geburtstag hatte, war das nicht weiter wunderlich. Aber bitte, seit wann konnte man sich stundenlang ausmalen, wie toll (oder eben auch nicht) eine Party sein würde?! Ja, ja, sweet sixteen, schon klar. Endlich konnte ich offiziell in Filme ab sechzehn gehen und auch anderen Scheiß machen. Aber tat man das nicht eh schon davor?

Mich hatte dieses Gerede nur noch genervt, was vielleicht auch daran lag das ich dieses Jahr keine Party geben würde. Dafür war in den letzten Monaten einfach zu viel passiert. Ich hatte meine beste Freundin verloren und ohne sie wäre es nicht dasselbe, das wusste ich.

Sie ist keine Droge, du bist nicht abhängig von Emily!

Schon klar, aber ich hatte auch keine Lust auf die Fragen der anderen, wenn ich sie nicht einladen würde. Und auf Sandras. Und, ach egal. Ich hatte auch keine Lust auf eine so blöde Party. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich heute so früh wach geworden war. Und auch nicht die potentiellen Geschenke, die da draußen auf mich warten würden. Heute war Tag X. Der Tag, an dem ich endlich die Wahrheit herausfinden würde. Heute würde Chris mit mir zum Jugendamt geben.

Ich hatte Glück, heute war Freitag und das hieß, dass wir uns direkt nach der Schule auf den Weg machen konnten. Ich hatte in der Schule nicht umwerfend viele Geburtstagsglückwünsche bekommen, was mich aber auch nicht weiter gewundert hatte. Dieses Jahr war eben alles anders. Und sobald ich mich von Emily Waves entfernt hatte, war ich automatisch dreihundert Plätze tiefer in der Ranking-Liste gerutscht.

„Du hättest dir wirklich nicht frei nehmen müssen, Chris, es hätte auch gereicht, wenn wir heute Abend gefahren wären." Lüge. Er hatte mich durchschaut und warf mir einen dementsprechenden Blick über den Rückspiegel zu.

„Ich weiß doch, dass du hibbelig im Wohnzimmer gesessen wärst und Sandra nur genervt hättest. Das entlockte mir ein Lachen.

„Stimmt. Wie lange müssen wir noch fahren?" Wir standen mal wieder im Stau. In London kein Wunder.

„Also bei dem Tempo... ich schätze in einer halben Stunde." Noch ein Blick. „Beruhige dich, Lou. Was ist denn das Schlimmste, was wir dort finden könnten?"

„Nichts", antwortete ich mit leiser Stimme.

„Eben. Und selbst das verkraftest du. Ich kenne doch mein Mädchen." Awww, er war so süß. Ich grinste schwach.

„Danke, ich wüsste nicht wie ich das hier ohne dich machen würde."

Eine halbe nervenzehrende Stunde später kamen wir an dem geziegelten Gebäude mitten in London an. Gott sei Dank hatte es einen eigenen Parkplatz, sonst hätten wir echt ein Problem gehabt. Parklücken waren in London rar.

„Kommst du?" Ich atmete noch einmal tief durch und verließ dann das Auto.

Drinnen kam ich mir wie in einer richtigen Behörde vor. Überall liefen Anzugträger herum und selbst die Frauen trugen Bleistiftröcke und Schuhe mit Absatz. Wir erkundigten uns am Empfang und wurden einige Zimmer weiter verwiesen, vor dem Stühle standen. Wie beim Zahnarzt. Erst als Chris beruhigend meine Hand drückte, merkte ich, dass ich ziemlich stark zitterte.

„Alles wird gut." Dann erklangen Schritte von innen und eine vorbildlich gekleidete Dame steckte den Kopf zur Tür raus. „Kommen Sie rein." Sie begleitete uns zum Tisch, vor dem zwei Stühle standen. Wir setzten uns hin, sie sich auf die andere Seite, einen Computerbildschirm vor sich, der für uns uneinsichtlich war.

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