Manchmal ist das Schicksal eine widerwärtige Kreatur. Sei es das junge Mädchen, das seiner tödlichen Krankheit erliegt, im Herzen voller Verbitterung, sei es der Soldat, der auf der Suche nach Größe seiner Machtgier erliegt und letztendlich, in Geda...
1. Salazar Even hörte Vogelzwitschern. Sanftes Sonnenlicht streifte seine Augenlieder und wärmte sein Gesicht. Einen Moment verharrte er in dieser Idylle, dann ordnete er die wirren Eindrücke in seinem Kopf. „Der Stein, das Licht. Bin ich in Ohnmacht gefallen?", dachte er. Vorsichtig, um von den grellen Sonnenstrahlen nicht geblendet zu werden öffnete er die Augen - und staunte nicht schlecht. Entweder hatten während seiner Bewusstlosigkeit übermenschlich schnelle Arbeiter den Leuchtturm renoviert, oder der Leuchtturm war gar nicht so verfallen, wie in seinen Erinnerungen. Kein Moos, keine Spinnweben, jede Bodenplatte an ihrem Platz, nicht gesplittert, nicht rissig. Selbst das Leuchtfeuer war intakt. Träumte er? Zum Fenster schien warmes Licht herein und malte Muster auf den Boden. Misstrauisch trat Salazar ans Fenster. In der Ferne konnte er Rauchsäulen am Himmel sehen, jenseits der Bäume erstreckten sich die Dächer einer Stadt. In der entgegengesetzten Richtung glitzerte der türkise Ozean. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Wo war er? Oder besser gesagt: wann? Er beschloss den Weg zu gehen, den er gestern gekommen war, aber war er ihn überhaupt gestern gekommen? Und wo war der Leuchtstein? In seinen Taschen war er nicht. Er sah sich im Raum um - nichts, kein Stein. Immer noch kopfschüttelnd stieg er die Treppe hinab, nicht ohne zu bemerken, in welch makellosen Zustand die Stufen waren - und rannte frontal in einen älteren Mann mit einem Gehstock, der gerade die Treppe hinaufgestiegen kam. Einen quälend langen Moment starrten sich beide einfach nur an, während das Gesicht des Mannes ein Wechselspiel der Gefühle durchlief -Überraschung, Verwirrung, Angst, Wut - dann begann der Alte laut zu schreien und holte mit dem Gehstock aus: „Einbrecher! Was machst du in meinem Haus?! Verschwinde von hier! ..." Leicht überfordert wich Salazar dem Gehstock aus, machte einen Satz rückwärts und versuchte so gut es ging, den panischen alten Mann zu übertönen: „E-entschuldigung, ich..." - „Einbrecher!" - „HALLO! Ich bin kein Einbrecher, OK?!" Einen Moment starrte ihn der Mann perplex an, dann entschloss er sich, den Gehstock zurück auf den Boden zu stellen. „Was zur Hölle hast du in meinem Haus verloren, Junge?" Salazar überlegte kurz. Die Wahrheit war so absurd, er würde sie ihm wohl kaum glauben, darum antwortete er: „Verzeih mir Herr, es ist bloß so, nun ja, ich habe kein Geld, um mir einen Unterschlupf für die Nacht zu leisten und es war kalt... Ich bitte aufrichtigst um Entschuldigung!" - „Verstehe, so ist das." Die Züge des Mannes, bei dem es sich offensichtlich um den Leuchtturmwärter handelte, wurden etwas weicher. „Weißt du, du hättest auch einfach fragen können. Wir sind keine Unmenschen. Nun, komm mit runter Junge, ich will dir einen Vorschlag machen." Er winkte mit der Hand, drehte sich wieder um und stapfte die Treppenstufen herunter. Zögernd folgte Salazar. Die Treppe führte ihn in ein geräumiges Wohnzimmer. Ein dicker Teppich lag auf dem Boden, darauf bequeme Sessel und ein kleiner Holztisch. Eine Ecke war abgetrennt, dahinter zwei Betten. Ein weiterer Raum schien dem Bisschen hinter dem offenen Türspalt nach zu urteilen ein Schlafzimmer zu sein. Ansonsten führte eine Holztreppe weiter runter ins Erdgeschoss. Salazar hörte ein leises Schnurren. Auf dem Kaminsims lag ein dicker roter Kater in der Sonne und schlief. „Also, Junge", ertönte die Stimme des Wärters, der in einem großen Kleiderschrank herumzuwühlen schien, „eigentlich könnte ich dich rausschmeißen, weil du im Leuchtturm nichts zu suchen hast, aber ich bin ein netter Mensch und ich habe Mitleid mit dir. Wenn du mir einen kleinen Gefallen tust, dann helfe ich dir." Er stutzte überrascht: „Einen Gefallen?" - „Weißt du", erklärte sein unerwarteter Helfer, „mein Sohn arbeitet am Hafen, Schiffe be- und entladen. Seit einiger Zeit klagt er immer so über die Menge an Arbeit, die er bewältigen soll. Du musst wissen unsere Insel hier, Kentos, ist zurzeit mächtig im Aufschwung. Es kommen immer mehr Schiffe bei uns vorbei. Naja auf jeden Fall, wenn du meinem Sohn ein bisschen unter die Arme greifen könntest, dürftest du bleiben." Der alte Mann stockte erwartungsvoll. „B-Bleiben", stammelte Salazar überrascht, „du meinst h-hier?!" - „Du willst wohl nicht, was?", murmelte sein Gegenüber leicht enttäuscht, „naja was soll's. Man kann dich ja nicht zwingen..." - „Nein nein!", unterbrach er ihn, „Im Gegenteil. Ich wäre dir überaus dankbar, Herr." Der Leuchtturmwärter nickte zustimmend: „Fein, fein! Also, du musst sicher Hunger haben. Die Küche ist unten. Aber, halt nein, komm erst hier her! Die gehören zwar meinem Sohn, aber sie sollten ganz gut passen, so kannst du doch nicht rausgehen." Der Alte drückte ihm ein weißes Leinenhemd und eine braune Baumwollhose in die Hand und zeigte auf die Abtrennung. „So, Junge, zieh dich erstmal um. Was schaust du denn so komisch? Ich guck dir schon nichts weg. So zerrissen kannst du dich ja nicht blicken lassen. Ich könnte nicht entscheiden, wer schon länger an der Natur draußen gelitten hat. Du oder dein verrostetes Schwert?" Er lachte, während Salazar mit rotem Kopf das Schwert aus der Höhle betrachtete, das an seinem Gürtel hing. Der einzige Beweis, dass das alles real gewesen war. Gedankenverloren verschwand er hinter der Abtrennung und begann sich umzuziehen. „Wirf die alten Klamotten einfach weg", rief der Alte aus dem Wohnzimmer, „die sind eh hinüber! Apropos, ich habe noch gar nicht gefragt. Wie heißt du eigentlich?" - „Salazar! Salazar Even!" Er trat hinter der Abtrennung hervor; der alte Mann nickte zufrieden: „Also gut, Salazar, dann komm mal mit. Wollen wir doch sehen, ob sich noch was Essbares für dich findet. Er folgte ihm ins Erdgeschoss in eine gemütliche Küche mit Steinofen und einem großen Holztisch. Zögerlich setzte er sich auf einen Stuhl, während der Alte Äpfel, Brot und Käse auf eine Platte lud. „So. Hau rein!", kicherte der Wärter vergnügt und begann wieder in der Küche zu werkeln. Beim Essen beobachtete Salazar ihn. Er hatte ein wettergegerbtes, faltiges Gesicht und dunkle Augen. Das Haar war vom Alter schon grau geworden, aber die Lachfalten und das fröhliche Funkeln in den Augen zeugten noch von einer lebensfrohen Persönlichkeit. Er schien eine weitere Mahlzeit vorzubereiten. Eine Weile war nur das Klappern von Küchenutensilien und Salazars Kauen zu hören, gelegentlich strich er sich seine schulterlangen braunen Haare aus dem Gesicht, dann meinte der Alte: „Wenn du gleich zum Hafen gehst, kannst du meinem Sohn dann das von mir geben?" Er legte ein geschnürtes Essenspaket auf den Tisch. „Frag einfach nach Johann. Dann wirst du ihn schon finden." Salazar schluckte den letzten Bissen Käsebrot, dann stand er auf und nahm das Bündel: „Wie komme ich zum Hafen?" - „Hast du die Stadt gesehen? Wenn du rausgehst rechts. Der Hafen ist in Gegenrichtung, von hier aus immer der Straße nach, nach links, bis du am Meer bist", kam die Antwort. „Dann werde ich jetzt aufbrechen. Vielen Dank für alles, Herr!" Der alte Mann lächelte und winkte: „Nichts zu danken. Grüß meinen Sohn von mir." Salazar nickte, öffnete die Tür und trat hinaus in die fremde Welt.
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2. Jerecs Schwert flog durch die Luft und landete dumpf im Gras. Maereths Schwertspitze zeigte direkt auf Jerecs Hals. „Ich habe gewonnen!" Mit einem gewinnenden Lächeln ließ er die Klinge sinken und wartete auf ein Lob aus dem Mund seines Freundes. „Ich bin stolz auf dich. Ich habe nicht mehr die geringste Chance." Mittlerweile war er seit fast einen Jahr im Kloster und er hatte sich gemacht. Auch wenn mit dem Heilen bisweilen noch so seine Probleme hatte und Jerec ihm überlegen war, so hatte dieser mittlerweile im Schwertkampf nicht mehr die geringste Chance gegen seinen ehemaligen Schüler. So ergänzten sie sich auf ihre eigene Weise perfekt und glichen ihre Schwächen aus, dachte Merry manchmal bei sich. Konzentriert schloss er die Schramme an seinem Ellenbogen, was ihm positiverweise auch fehlerfrei gelang, sodass er nicht bemerkte wie der Größere sich an ihn herangeschlichen hatte und ihn jetzt fest in den Klammergriff nahm. „Huch? Hilfe, Jerec!", protestierte der Kleinere, bis beide umfielen und im Gras landeten. Jerec kicherte. „Jerc!", brummte Merry leise. Eine liebevolle „Beleidigung", die ihm irgendwann mal eingefallen war und sich aus Jerecs Namen und dem Wort Dummkopf zusammensetzte. Jerec schmunzelte und küsste ihn dann, wogegen sich der Jüngere zuerst noch halbherzig wehrte, sich aber dann dicht an ihn schmiegte und den Kuss erwiderte. Es hätte so schön sein können, hätte sie da nicht der Bote gestört, der keuchend vor ihnen zum Stehen kam. „Heilige Kinder?", rief er außer Atem. „Was ist denn so Dringendes los?", murrte Jerec unwillig. „Erbringe Eilmeldung aus Esperia. Der Engel der Stärke und der Engel der Weisheit sind in einen Streit geraten, naja eher schon ein Gefecht." - „Ein Gefecht?!" Jerec sprang fassungslos auf: „Willst du mir erzählen, zwei Engel kämpfen miteinander?" - „Genau das, Herr, anscheinend sind sie in einen Disput geraten darüber, ob die Weisheit oder die Stärke wichtiger für die Menschen ist. Auf jeden Fall hat der menschliche Schiedsrichter, den sie dafür zu Rate gezogen haben die Weisheit gewählt und jetzt zürnt der Engel der Stärke dem Engel der Weisheit und hat ihn herausgefordert." Jerec wurde blass. „Was bedeutet das alles?", fragte Merry. „Ich kann es mir schon fast denken", flüsterte Jerec erstickt. Der Bote fuhr fort: „Die Eisriesen haben den Yun den Krieg erklärt." - „Natürlich, die starken Eishünen folgen dem Engel der Stärke, wohingegen die Yun schon immer auf ihre Klugheit setzen", murmelte Jerec, „Das ist übel. Ein Krieg, noch dazu zwischen zwei Engeln. Es haben sich nie Engel bekämpft. Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Vielen Dank für deine Nachricht. Du kannst gehen." Der Bote nickte und entfernte sich erschöpft. „Heißt das denn nicht auch, dass sich zwei heilige Kinder bekämpfen müssen?", fragte Merry leise. Jerec nickte nur bitter. „Was machen wir denn jetzt?" - „Was wir am besten können. Wir werden uns nicht einmischen. Das ist nicht unser Krieg. Aber wir können den Verletzten helfen. Das ist unsere Pflicht. Wir werden jedem helfen der unsere Hilfe braucht. Selbst verfeindete Soldaten werden das Wort eines heiligen Kindes achten", entgegnete Jerec, „Das ist alles überhaupt nicht gut. Ich bin froh, dass du bei mir bist. Ich glaube allein wäre ich ein wenig überfordert mit allem. Ich werde dich dort brauchen." Merry umarmte ihn beruhigend: „Keine Sorge, es wird schon alles gut werden. Ich unterstütze dich immer. Ich liebe dich!" So umarmten sich die zwei Gestalten im Mondschein tröstend und küssten sich sehnsüchtig und unsicher über die Zukunft, während auf dem Kontinent die Schmiedehämmer bereits auf neue Klingen schlugen.
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