Kapitel 27 - Maereth Hen

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Wenn die Hoffnung stirbt bleibt der Hass.

1. Maereth und Siras standen schweigend in der düsteren Halle. Es gab zwei Orte in der Schattenzitadelle von Kreiolan, die niemand betreten durfte. Heute sollten es drei werden. Die Halle jedoch, in der sie sich standen, einst Wahrzeichen der Stadt, jetzt umgeben von dunklen Festungsmauern, war einer dieser zwei Orte. Bevor der Heilige Ritter den Engel der Hoffnung getötet hatte, war dieser Ort der Tempel der Hoffnung selbst gewesen. Die ehemals weißen Wände, waren mittlerweile schwarz und verfallen. Magische Fackeln warfen ein geisterhaftes Licht auf den alten Boden des Heiligtums auf dessen Trümmern die dunkle Festung des Tyrannen errichtet worden war. Außer den zwei Männern, die völlig ruhig in der Mitte des Raums standen, befanden sich noch vier weitere Menschen im Raum, alle handverlesene Krieger aus der Leibgarde des Heiligen Ritters. Sie standen starr und um sich nicht zu bewegen, auf ihre Speere gestützt um einen Marmoraltar auf dem eine einzelne faustgroße pechschwarze Kugel lag. Dieses Juwel ließ ihr Herr mit beinahe paranoiden Zügen rund um die Uhr schwer bewachen. Nur die die Auserwähltesten hatten überhaupt Zugang zu diesem Ort. Das ihr Meister selbst nach unten in die alten Gewölbe kam, noch dazu mit seiner rechten Hand, passierte selten und machte die Männer ein wenig unruhig. Seine Präsenz ließ jeden gestandenen Mann frösteln. Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis zum ersten Mal Bewegung in den Raum kam. Schritte wurden immer lauter, bis schließlich das große Portal an der Frontseite der Halle aufgestoßen wurde. Ein breit gebauter Mann mit braunen Haaren, leicht spitzen Ohren und einer prächtigen Rüstung mit langem blutroten Umhang betrat schnellen Schrittes den Raum, verbeugte sich und salutierte: „Mylord!" Siras hob den Blick und sah ihn mit einem fast schon milden Blick an: „General Arno, sind sie da?" Der treuste Anhänger des Heiligen Ritters nickte: „Wie ihr es vorausgesagt hattet. Meine Soldaten haben sie nicht angegriffen und passieren lassen, wie befohlen. Sie befinden sich in der Festung. Was sind eure Befehle?" Der Heilige Ritter lächelte wehmütig: „Endlich, der Tag der Entscheidung. Arno, lass sie passieren. Dies ist etwas, das nur wir erledigen können. Die Wächter sollen den Tempel verlassen. Ich dulde kein Eingreifen, aber lasst sie nicht fliehen, sollten sie diesen Ort verlassen." Der ehemalige Straßenjunge salutierte: „Zu Befehl, Mylord. Soldaten, abtreten!" Die vier Wächter des schwarzen Juwels salutierten ebenfalls und folgten dem General, der mit wehendem Umhang aus dem Heiligtum schritt. Wieder senkte sich Stille über den Ort. Der Engel und sein heiliges Kind warteten weiter, dann erklangen die schicksalhaften Schritte. Zwei Gestalten näherten sich. Merrys Hand zuckte zum Knauf seines Schwertes. Er war da. An der Seite seines Engels schritt Jerec Tomari in den Tempel der Hoffnung, sein ausdrucksloser Blick auf Maereth. Er konnte sich noch gut an seinen enttäuschten und verachtungsvollen Blick bei ihrem letzten Aufeinandertreffen im Kloster erinnern. Er hatte ihn für immer verloren. Dieser Tag sollte es besiegeln. Er würde die letzten Fäden seiner Vergangenheit durchtrennen. Der Mann neben Jerec trat mit gefasster Miene vor Siras. Er war vollkommen in weiß gekleidet, sogar seine schulterlangen Haare waren weiß. An seinem Gürtel hingen ein silbernes Langschwert und eine seltsame Uhr, deren Zeiger sich unaufhörlich drehten. Als er den Kopf hob trafen seine durchdringenden silbernen Augen auf Siras' goldene. „Siras, kleiner Bruder oder sollte ich dich mittlerweile lieber Heiliger Ritter nennen." Der Goldäugige Engel erwiderte den Blick standhaft: „Argyrion, Herr der Zeit, der letzte Engel. Hier geht es zu Ende." – „Selbst dein eigenes Heiligtum willst du noch beschmutzen?", fragte der Silberäugige leise. „Dies ist nicht mehr mein Heiligtum. Dies ist die Erinnerung an einen Toten." – „Einen Toten, an den sich dein General wohl noch mit großer Ehrfurcht zu erinnern scheint, nicht wahr? Und dein heiliges Kind..." Sein Blick wanderte zu Merry, der zu Boden sah. „Genug!", knurrte Siras, „Es ist Zeit diese Farce zu beenden!" Argyrion nickte traurig: „Wie du meinst. Jerec, wirst du...?" Sein heiliges Kind nickte entschlossen: „Ich habe mich entschieden, so wie er. Es gibt kein zurück." Der Engel seufzte: „Es tut mir leid." – „Genug, habe ich gesagt!" Siras sprang vor und hieb mit seinem Schwert nach dem Engel. Jerecs Klinge stoppte ihn im Schlag, als er seinen Meister beschützte: „Das lasse ich nicht zu!" Doch nun war er Merrys Angriff völlig ausgeliefert. Der Grünäugige stieß vor, doch der Engel der Zeit hob leicht seinen Zeigefinger. Merrys Schwert schien immer langsamer zu werden. Überrascht riss er die Augen auf, dann riss in ein Luftstoß aus der Hand des Engels von den Füßen und ließ ihn in eine Wand krachen. Jerec folgte ihm kampfbereit, während sich die Engel umkreisten. Ihr erbitterter Kampf rückte in Merrys Hintergrund, als seine Augen auf Jerecs trafen. Sein alter Geliebter stach zu, mit erbarmungslosem Feuer in den Augen. Ein verzweifelter Schrei bahnte sich seinen Weg aus Merrys Kehle, als er beiseitetrat und seinerseits zuschlug. Die zwei jungen Männer umkreisten sich, vertieft in ihren Übungsschwertkampf auf einer Klippe im Sonnenuntergang. Ihre Schwerter trafen aufeinander. Funken sprühten. Der blondhaarige Junge lachte, als sein Partner einen Schwertschlag parierte, jedoch einige Schritte zurückweichen musste. Verzweifelte Tränen rannen über Merrys Wangen. Er wollte das nicht tun. Seine Hiebe trieben Jerec rückwärts in den hinteren Bereich der Halle. Er schien ihm im Schwertkampf überlegen zu sein, allerdings war sein Freund ein vortrefflicher Heiler. So ergänzten sie sich perfekt. Immer mehr Streiche trafen Jerec, deren Wunden sich jedoch fast im selben Moment wieder schlossen. Jerec biss angestrengt die Zähne aufeinander. Er heilte sich ohne seine Hände zu benutzen. Seine Entschlossenheit trieb ihn voran. Sie glichen einem eingespielten Tanzpaar. Jeder Schritt war choreographiert, jede Bewegung ein flüssiger Tanz. Sie waren aufeinander abgestimmt. Sie kannten sich gegenseitig in- und auswendig. Der grausame Tanz setzte sich fort. Blut malte bizarre Muster auf den Boden, als Maereths Schwert das Band zwischen ihnen immer weiter durchtrennte. Jeder Hieb durchtrennte einen Faden. Dieses Stück war bereits vorbei, bevor es begonnen hatte. Sie hatten es schon hunderte Male geprobt. Sie spielten ihre Rollen perfekt. Nun wurde es aufgeführt. Jerecs Schwert flog durch die Luft und landete dumpf im Gras. Maereths Schwertspitze zeigte direkt auf Jerecs Hals. „Ich habe gewonnen!" Ein lauter Schrei erklang im Theater, als der Protagonist den genau einstudierten letzten Schlag ausführte. Mit einem Misston zerbrach das Schwert seines Gegners. Die Hälften trafen klirrend auf den Steinboden. Maereths Schwertspitze zeigte direkt auf Jerecs Hals. „Es ist vorbei!" Mit einem gewinnenden Lächeln ließ er die die Klinge sinken und wartete auf ein Lob aus dem Mund seines Freundes. Mit Tränen in den Augen hob er die Klinge und wartete auf die letzten Worte seines Feindes. „Ich bin stolz auf dich. Ich habe nicht mehr die geringste Chance." – „Ich habe versagt. Ich hatte nicht die geringste Chance." Der Besiegte lachte bitter: „Nun, Merry, kannst du es beenden? Kannst du mich töten? Die letzte Person, mit der dich noch etwas verbindet. Kannst du deine Verwandlung zum Mörder endgültig abschließen?!" Merrys Hände zitterten, seine Schwertklinge vibrierte gefährlich, Tränen rannen über seine Wangen. „Sieh mich nicht so an! Hass mich, verachte mich wieder, aber sieh mich nicht mit diesem bedauernden Blick an, als wäre ich gar nicht schuld! Als könnte ich gar nichts dafür! Als hättest du an mir versagt!", schrie er. „Aber ich habe versagt", flüsterte Jerec, „Ich habe an dir versagt. Du bist mein größter Misserfolg, mein größter Fehler..." – „SEI STILL!" Maereths Klinge schnitt durch die Luft, bevor sie Jerecs letzten Satz abschnitt. Das heilige Kind der Zeit weitete kurz seine Augen, als die Klinge seine Brust traf, dann kippte es mit einem seltsam resignierten Lächeln nach hinten und schlug dumpf auf dem Boden auf. Seine Augen blickten ins Leere, ein Blutrinnsal rann wie eine Träne aus seinem Mundwinkel über seine Wange. Zitternd brach Merry über dem Toten zusammen, umarmte ihn schluchzend und presste ihn an sich. Es war vorbei.

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