Die sterbenden Helden
Auf dunklem Schlachtfeld saßen
Drei Helden todtenbleich,
Ihr Blut floß auf den Rasen,
Sie wollten sterben gleich.
-Wilhelm Genth
1. Der letzte Akt begann. Wir waren am Ziel unserer Reise angekommen. Ich, Kol Kentos, der Held und meine treuen Gefährten, bereit, den letzten Kampf auszufechten. Auf dem großen Burgplatz war keine Menschenseele zu sehen. Das schwarze Eingangsportal stand weit offen. „Wie seltsam", murmelte ich, „fast als würden wir erwartet." – „Unsinn", entgegnete Dars, „woher sollte man von uns wissen." Ich nickte bedächtig, dann schlichen wir vorsichtig auf das Tor zu. Der Eingang führte uns in eine dunkle Halle. Mehrere Gänge und Räume zweigten von hier aus ab. Ebenso schien eine riesige Wendeltreppe scheinbar endlos in die Höhe zu führen. Doch mein Kompass führte mich an keinen dieser Orte. Er führte mich in die Tiefe. Stickige dicke Luft schlug mir entgegen, als ich die alten Stufen in den Schlosskeller hinabstieg. Sie führten mich in einen langen Steingang. Rechts und links zweigten immer wieder einzelne Wege ab, die sich kanalisationsartig in die Dunkelheit fortsetzten und manchmal in hohe Gewölbe führten. Die Atmosphäre war drückend, von der Decke tropfte Wasser, Ratten quietschten. Wir folgten dem unterirdischen Kellerlabyrinth durch verwirrende und irrationale Wege, um Ecken und Abzweigungen, durch Torbögen und Lagerräume, bis wir schließlich in einem weitaus älter aussehenden Gang ankamen. Der Boden war mit schwarzem Obsidian gepflastert, die Wände mit Runen verziert. Der Weg wurde immer breiter, fast wie eine Straße und fiel sanft bergab. Unvermittelt kamen wir in einer Art Vorhalle an. Die Wände waren mit Fackeln gespickt, die flackerndes Licht über das gewaltige Portal warfen, das von hier aus weiterführte. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Mein Schwert schnellte aus seiner Scheide. Der erste Mensch, seit wir diese Festung betreten hatten. Die Gestalt trat ins Licht und stellte sich uns in den Weg. Es war ein Mann. Seine braunen Haare durchsetzt von einigen grauen Strähnen fielen über seine angespitzten Ohren. Eine prächtige schwarz-goldene Rüstung schützte seinen breiten Körper, ein blutroter Umhang fiel hinter ihm zu Boden. Sein ganzes Auftreten strahlte Autorität aus. „Es tut mir wirklich leid, euch noch so kurz vor dem Ziel aufzuhalten, aber ich fürchte, ich darf euch hier nicht durchlassen." Ich zog die Augenbrauen zusammen. Natürlich war ein Haken an der Sache. „Geht zur Seite. Ich kümmere mich um ihn." Yggs trat vor. Überrascht drehte ich den Kopf. „Was?" Der riesige Mann lächelte mir zu: „Keine Sorge. Ich schaff das schon. Ihr müsst weitergehen. Das ist deine Bestimmung, das, wofür wir so weit gekommen sind!" Frustriert seufzte ich auf: „Wie du willst. Und, Yggs... wehe, du lässt dich töten!" Er grinste: „Dasselbe kann ich auch sagen." Wir liefen weiter auf das Tor zu. Der Mann machte Anstalten uns aufzuhalten, doch Yggs versperrte ihm den Weg: „Dein Gegner steht hier!" Metall traf auf Metall, als wir die schweren Türflügel aufstemmten und hindurchtraten. Mit einem lauten Knall fielen sie hinter uns ins Schloss, dann herrschte Stille. Wir befanden uns in einer großen dunklen Halle. Spärliche Fackeln erleuchteten die Szenerie und gaben den Blick frei auf einen Steinaltar mit einem schwarzen runden Stein. Im Hintergrund leuchtete eine Runentür. „Ist das das Juwel der Hoffnung?" fragte Dars. „Das ist der alte Tempel der Hoffnung", murmelte Jorn leise, „Er hat seine Festung einfach um ihn herumgebaut. Erstaunlich..." Ich zuckte leicht mit den Schultern: „Mag sein. Das Juwel ist jedoch an seinem Platz. Das ist nicht der Ort, an dem wir sein sollen. Unser Ziel liegt hinter dieser Tür..." Ich durchquerte die Halle und legte meine Hand auf einen der Türflügel. Die Rune strahlte auf und begann leicht zu pulsieren. „Binden...", flüsterte Jorn nachdenklich, „und noch dazu eine äußerst mächtige Rune. Vermutlich Engelsmagie. Erinnert mich an den Tempel der Weisheit..." Der Kompass drehte sich wie verrückt, dann zeigte er ganz still auf die Rune vor uns. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich hob den Kompass in die Luft und drückte ihn dann auf die verzauberte Tür. Die zehn Engelsrunen auf dem Gehäuse strahlten auf, als die Magie durch das Metall floss und die Rune mit einem lauten Klirren splitterte. Bunte Partikel regneten auf uns herab, dann schwangen die Türflügel auf. Grellweißes Licht strahlte uns entgegen. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, konnte ich eine schneeweiße Gefängniszelle ausmachen. In ihr, auf einer Pritsche, saß ein weißhaariger Mann mit stechenden silbernen Augen. Der Mann aus meinem Traum.
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Die Schicksalsinsel
FantasiaManchmal ist das Schicksal eine widerwärtige Kreatur. Sei es das junge Mädchen, das seiner tödlichen Krankheit erliegt, im Herzen voller Verbitterung, sei es der Soldat, der auf der Suche nach Größe seiner Machtgier erliegt und letztendlich, in Geda...