Wenn die Hoffnung nicht wär,
so lebt ich nicht mehr,
denn die Hoffnung allein
kann lindern die Pein.
Und wie ging es denn hin,
und wie ging es denn her,
wenn die Hoffnung nicht wär!
Wenn Sturm und auch Wind
den Schiffsmann greift an,
und so denkt er dabei,
dass die Hoffnung noch sei.
Und wie ging es denn hin,
und wie ging es denn her,
wenn die Hoffnung nicht wär!
Volksweise
1. Sie hatten ein Boot gebaut. In ihrem letzten verzweifelten Versuch, von der Insel zu verschwinden, hatten sie ein Boot gebaut. Zugegebenermaßen; weit waren sie damit nicht gekommen, aber dennoch hatte ihnen dieser erneute Rückschlag ironischerweise einen neuen Hoffnungsschimmer gegeben. Als die Männer und Valeé es nämlich resigniert aufgegeben hatten, gegen die Wellen anzukämpfen, hatten sie im Schatten der großen Insel eine weitere Kleinere erkannt. Eine Insel, die womöglich eine Rettungsmöglichkeit bot, wenn es auch noch so unwahrscheinlich war, da selbst Finnis keine Ahnung hatte, was es auf diesem kleinen Fleck Erde zu finden gab. Dennoch brach die Gruppe am nächsten Tag mit einem Mann weniger – Kapitän Westwind war zur Bewachung des Lagers zurückgeblieben – zur geheimnisvollen Nachbarinsel auf. Sie hatten viel dort erwartet; ein altes Piratenversteck, eine Siedlung oder auch einfach nur gähnende Leere. Ganz sicher aber hatte Valeé nicht mit einer Horde Eingeborener gerechnet, die nach 20 Minuten Dschungelerkundung mit erhobenen Speeren vor ihnen stehen würden. „So viel zu dem Argument, wie kann es denn noch schlimmer werden", dachte sie bei sich, als sie in ein Lager aus Strohhütten geführt wurden und dort – natürlich nicht ohne bewaffnete Leibgarde – angewiesen, zu warten. Nach einiger Zeit, in der sich gefühlt das ganze Eingeborenendorf samt Kindern um sie versammelt hatte und sie zu einer Art skurrilem Zoo geworden waren, tauchte ein alter weißhaariger Mann mit buntem Federkopfschmuck und Knochenketten um den Hals auf. In der Hand trug er einen knorrigen Eichenstab, mit dem er jetzt auf sie deutete: „Ndinu ndani!" Fragend blickte Valeé Julian an, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. „Ich glaube wir stecken ziemlich tief in der Scheiße, Mylady." Sie schnaubte: „Tatsächlich? Wie sollen wir denn bitte einem Haufen Ureinwohner auf einer verlassenen Insel deutlich machen, dass wir friedlich sind und Hilfe brauchen?" – „Du könntest es mit malen versuchen", meinte der Heiler. „Das ist überhaupt nicht witzi- hey, Finnis, lass das gefälligst!" Der Schiffsjunge stieß sie aufgeregt mit dem Ellenbogen an und nickte in eine Richtung hinter dem verrückten Indianerhäuptling. „Was soll denn... oh." Vor ihnen auf einer Art Altarstein lag, gebettet in Palmblätter und geschmückt mit Blumen, ein kugelförmiger runder Stein, der sanft leuchtete. Jedes Mal, wenn sie glaubte, dass sie aufgeben konnte, warf ihr das Schicksal einen winzigen Happen Hoffnung vor die Füße. „Das ist doch nicht etwa?! Julian, was glaubst du macht der Ureinwohnerhäuptling, wenn wir ihm seinen heiligen Stein klauen?" Der Heiler verschluckte sich vor Überraschung: „Das, ist die mit Abstand dämlichste Idee, die ich je in meinem ganzen Leben gehört habe!" – „Und vielleicht unsere einzige Chance." – „Himmel, Valeé, die bringen uns um. Benutz doch deinen Verstand. Wir müssen mit ihnen kommunizieren." – „Leute?" Der Schiffsjunge unterbrach vorsichtig das Streitgespräch der Beiden. „Auch wenn ich im Zweifelsfall gleich ausgelacht werde, aber hat der alte Verrückte vor dem Leuchtturm nicht irgendetwas davon geschwafelt, dass er mit den Ureinwohnern reden kann? Dass sie seinen heiligen Stein haben oder so? Vielleicht könnte er uns ja helfen..." Einen Augenblick sahen ihn vier Leute an, als hätte er den Verstand verloren, dann meinte Valeé: „Das ist perfekt. Genauso machen wir's." Gard schüttelte den Kopf: „Wir sind verrückt. Wir versuchen einem Haufen Ureinwohner mittels eines verrückten Dolmetschers, von dem wir nichtmal wissen, ob er überhaupt die Wahrheit sagt, ihren heiligen Stein zu klauen." Valeé hustete. Der Häuptling schlug seinen Stab in den staubigen Boden: „Mukufuna chiyani kuno?!" Er schien ungehalten zu werden. Valeé hustete nochmal. Besorgt wanderte Julians Blick zu seinem Schützling. Doch ein Haufen Wilder hatte seine Speere auf sie gerichtet. Kaum auszumalen, was sie tun würden, wenn er anfangen würde, in ihren Augen Hexenwerk zu verrichten. Der Anführer drehte seinen Kopf zu einem seiner Krieger: „Iwo sakumvetsa ife." Der Mann nickte und zuckte mit den Schultern, dann trat der Ältere vor und begann sich in Zeichensprache zu unterhalten. Er zeigte auf sich, dann auf die Gruppe. Dann trat er zu seinem Krieger und gab ihm die Hand. Valeé hatte ihre Augen zusammengepresst und atmete flach, als müsste sie sich gleich übergeben. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Julian wurde nervös. Der Indianer schien eine Antwort von ihm zu erwarten. Immerhin sah er ihm geduldig fest in die Augen. Ob er ihn wegen seiner roten Robe für den „Häuptling" hielt? Vorsichtig stand Julian auf, die leeren Hände immer fest erhoben, zeigte auf sich, dann auf Maven und schüttelte ihm übertrieben wohlwollend die Hand. Daraufhin zeigte er wieder auf sich, jetzt jedoch auf den Häuptling und streckte ihm die Hand hin. Der Alte zeigte ein vorsichtiges zahnloses Lächeln und ergriff zögerlich die Hand, dann nickte er: „Abwenzi!" Die Ureinwohner senkten jubelnd ihre Waffen, die Kinder rannten an Julian heran und zupften an seiner bunten Robe und Valeé brach zusammen.
DU LIEST GERADE
Die Schicksalsinsel
FantasyManchmal ist das Schicksal eine widerwärtige Kreatur. Sei es das junge Mädchen, das seiner tödlichen Krankheit erliegt, im Herzen voller Verbitterung, sei es der Soldat, der auf der Suche nach Größe seiner Machtgier erliegt und letztendlich, in Geda...