Manchmal ist das Schicksal eine widerwärtige Kreatur. Sei es das junge Mädchen, das seiner tödlichen Krankheit erliegt, im Herzen voller Verbitterung, sei es der Soldat, der auf der Suche nach Größe seiner Machtgier erliegt und letztendlich, in Geda...
1. Für einen kurzen Moment hatte Valeé mit dem Gedanken gespielt, Finnis umzubringen, aber dann hatte sie es doch nicht übers Herz gebracht das unschuldige naive Leben auszulöschen. Ihr Blick wanderte von dem bewusstlosen Jungen zu ihrer Ausbeute: ein stumpfes Kurzschwert, ein Apfel, die mysteriösen Eisschuhe und natürlich die Zellenschlüssel. Nachdem sie jedem dieser Gegenstände seinen rechtmäßigen Platz zugewiesen hatte, verließ sie die Zelle und sperrte pflichtbewusst hinter sich ab. Vorsichtig trat sie auf den See zu. In ihrem Kopf sah sie sich die ganze Zeit panisch im See ertrinken, dennoch setzte sie vorsichtig einen Fuß auf die Wasseroberfläche, die unter diesem sofort zu Eis erstarrte. Etwas mutiger bewegte sie sich weiter nach vorne. Das Eis bildete ihr eine stabile Brücke. Sie musste leise lachen in einem Anflug kindlichen Übermuts, dann rannte sie ohne noch einen weiteren Gedanken, an die anderen Zelleninsassen zu verschwenden über den See. Das Licht am anderen Seeufer, das sie aus ihrer Zelle schon gesehen hatte, stammte von zwei Fackeln am Eingang der Seehöhle. Jenseits erstreckte sich ein langer felsiger Höhlengang, der gespickt war mit blau leuchtenden Kristallen. Da sie keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie sich wenden sollte, entschied sie sich, dem Weg zu folgen, der nach oben führte. So tappte sie eine Weile durch das Dämmerlicht ohne einer Menschenseele zu begegnen. Nur ein einziges Mal musste sie sich an einem Eingang vorbeischleichen, dessen Inneres von einem einzelnen Piraten bewacht wurde, der überdies noch selig schlummerte. Aber sicher war sicher. Nach dem, was sie hatte erhaschen können, war es die Waffenkammer. Aber sie wollte es nicht riskieren den Wächter zu wecken, darum schlich sie weiter. Endlich konnte sie einen Schimmer Tageslicht ausmachen und gerade als sie endlich wieder frische Luft atmen wollte - drückte es ihr die Luft ab. Sie röchelte und taumelte leicht. Alles begann sich zu drehen. Oh nein. Wann hatte sie ihre Medizin das letzte Mal genommen? Sie hörte leise Stimmen näherkommen und presste sich panisch in einen Seitenweg, wo sie sich die Hände auf den Mund presste und versuchte gegen ihren Hustenreiz anzukämpfen. „Hat Käpt'n Even schon gesagt, was er mit den Gefangenen anstellen will?" - „Sklaven", brummte eine gelangweilte Stimme, „die Matrosen und der Kapitän zum Arbeiten und das Mädchen und der edel gekleidete Jüngling, naja wahrscheinlich für andere Dienste." Der Andere kicherte dreckig und ahmte ein sehr eindeutiges Geräusch nach. Valeé keuchte leise überrascht auf. Julian lebte?! Sie musste unbedingt zurückkehren! Langsam entfernten sich die Stimmen immer weiter und Valeé schnappte nach Luft, begann laut zu husten und übergab sich schließlich in ihre Ecke. Dann stand sie unsicher auf und wischte sich den Mund ab. So gut es ging versuchte sie die Blutsprenkel auf dem Boden zu ignorieren, die sie bei einem weiteren Hustenanfall hinterließ. Sie trat wieder in den Hauptgang und warf dem Tageslicht einen letzten zweifelnden Blick zu, dann drehte sie sich um und schleppte sich zurück zu den Zellen.
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2. Diese Insel glich in keinster Weise der verfallenen Insel, die Salazar kennengelernt hatte. Sein Verdacht, dass er sich in einer Zeit befand, in der die Insel noch floriert hatte, bestätigte sich immer mehr, als er die befestigte Straße zum Hafen hinab nahm, auf der er zwischendurch einigen Männern mit warenbeladenen Karren begegnete, die er und die ihn freundlich grüßten. Dann endlich konnte er die ersten Schiffe im Ozean ausmachen. Der Hafen bestand aus einem langgestreckten Pier mit Platz für sechs bis acht Schiffe und einigen Lagerhallen und Verwaltungsgebäuden. Überall eilten emsig Arbeiter umher, verluden Waren, vertäuten Schiffe oder überprüften Frachtlisten. Dementsprechend deplatziert wirkte auch das kleine Mädchen in den schmutzigen Klamotten mit der sonnengebräunten Haut auf Salazar, das am Rand des Piers stand und die Arbeit zu beobachten schien. Vorsichtig kam er auf sie zu. „Entschuldigung?" Das Mädchen reagierte nicht. Er versuchte es nochmal: „Entschuldigung, Mädchen?" Überrascht wandte es den Kopf und sah ihn dann mit einer schwer zu deutenden Gefühlsmischung in den Augen an. „Tut mir Leid dich zu stören, aber ich bin neu hier und suche einen gewissen Johann. Könntest du mir vielleicht sagen, wo er sich befindet?" Die Kleine streckte den Finger aus und zeigte auf den letzten Ankerplatz der Westseite. Dort stand ein Mann in eine Liste vertieft an der Gangway eines Schiffes. Dankbar nickte er ihr zu und reichte ihr zur Belohnung einen Apfel. Vorsichtig und mit erstaunlich kalten Händen nahm sie ihn an und betrachtete ihn mit großen Augen. Er lächelte ihr nochmal zu, dann drehte er sich um und stapfte auf Johann zu. Als er sich noch einmal umdrehte war das Mädchen verschwunden. Der Sohn des Leuchtturmwärters sah erstaunt auf, als Salazar Even ihn ansprach, freute sich aber umso mehr über das Essenspaket, dass er ihm überreichte. Nachdem er ihm erklärt hatte, was im Leuchtturm passiert war, nickte er nachdenklich: „Verstehe. Also bist du mein neuer Kamerad." Er lachte. „Nun denn Salazar, lass uns mal sehen, ob der Hafenaufseher etwas Arbeit für dich hat. Hier entlang" Er folgte Johann in ein auffällig prachtvolles Gebäude, das sich als Büro des Aufsehers herausstellte. „Du brauchst also einen Job?", meinte dieser, als Johann ihn vorgestellt hatte. „Dann bist du hier richtig", meinte er bevor Salazar etwas erwidern konnte, mit prüfendem Blick auf seine Muskeln, „warst du mal Matrose? Schau dir diese Arme an, Johann." Salazar zuckte nur ratlos mit den Schultern: „Ich weiß es leider nicht. Kann mich nicht erinnern." - „Macht ja auch nichts. Du bist eingestellt. Solche Leute wie dich kann ich hier immer gebrauchen. Hilf einfach Johann bei seiner Arbeit. Er wird dir alles zeigen." Der Aufseher hatte Recht gehabt. Es war, als wäre Salazar für diese Art von Arbeit wie geschaffen. Der Arbeitstag verging wie im Flug und er kam kaum einmal ins Schwitzen, was ihm anerkennende Blicke seines neuen Freundes einbrachte. Am Abend, als die Sonne den Horizont berührte war nicht nur er zufrieden mit sich, sondern auch sein neuer Vorgesetzter. Mit einem Schulterklopfen händigte er ihnen ihren Lohn für den Tag aus und entließ sie in den Feierabend. Fröhlich plaudernd gingen die zwei zum Leuchtturm zurück und als Salazar so nach dem Abendessen erschöpft in sein Bett sank, dachte er zufrieden bei sich, dass er wohl seinen Platz gefunden hatte.