Kapitel 5 - Fischarzt

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Für Ari

Weißt du was ein heiliges Kind auszeichnet Maereth? – Siras? – Ihr seid nicht nur der Freund und Begleiter der Engel, ihr seid auch gesegnet mit ihren Gaben. Mit genug Übung wirst du ähnliche Fähigkeiten entwickeln, wie ich. Aber, was viel wichtiger ist, ein heiliges Kind ist ein Heiler. So wie es stets für seinen Engel sorgt, so sorgt es auch für jeden Menschen. Euch ist die Gabe gegeben, eine jede Krankheit zu heilen. – Kann ich das auch, Herr? Kann ich das jetzt? – Mit ein wenig Geduld.

1. Der Fisch bewegte sich nicht. Kein Zucken, kein Winden, kein Garnichts. Stumm und tot lag er da. Maereth seufzte frustriert, ließ sich nach hinten fallen und stützte sich mit den Händen am Boden ab. Seit zwei Monaten war er in dem abgelegenen Kloster auf der kleinen Insel. Obwohl er wieder weg vom Festland war, erinnerte sie ihn kein bisschen an seine Heimat. Wo auf Kentos noch Palmen, Strand und grüne Wälder gewesen waren, waren hier steile Klippen, weite Blumenwiesen und kein einziger Baum in Sicht. Hier mitten auf der höchsten Klippe, umgeben von Blumen stand das Kloster der Schwesternschaft der Engel. Diese stummen geheimnisvollen Frauen waren äußerst heilkundig und schienen fast allwissend. Sie sahen sich als Priesterinnen der Engel an und es schien Maereth tatsächlich als wären sie mit den Engeln gekommen und würden erst wieder mit ihnen verschwinden. Doch aus dem Heiligtum der Weltenhüter war, ob seiner Bewohner, sehr schnell eine Art Krankenhaus und Kurort geworden. Wer auch immer nicht weiter wusste mit seiner Krankheit oder schon aufgegeben worden war, kam aus aller Welt hierher und würde oftmals wieder gesund zurückkehren. Den unheilbar kranken gewährte man einen angenehmen Tod, sie lagen hinter dem Kloster im Blumenmeer begraben. Dies alles machte das Kloster zu einer Art Sammelstelle für heilige Kinder. Die Begleiter der Engel wurden hier aufgenommen, ausgebildet und waren jederzeit als Bewohner willkommen. So war dieses Kloster die Heimat der heiligen Kinder geworden, wenn sie ihre sterblichen Familien überlebt hatten. Und so kam es, dass Maereth nun im Klostergarten, umgeben von Säulen im Schneidersitz vor einem toten Fisch auf einem kleinen Podest saß und versuchte, ihm wieder ein Lebenszeichen zu entlocken. Denn was ihm mit Menschen definitiv verwehrt war, sollte mit kleineren Tieren und Pflanzen kein Problem darstellen, hatten ihm die Schwestern gesagt. Und trotzdem, irgendwie wollten sich seine Heilkräfte nicht weiter zeigen. Am Tag seiner Ankunft hatte er unbewusst die erfrorenen Blumen zum Blühen gebracht. Einen Monat später hatte er es geschafft, dass die Eintagsfliege, die ihn stets beim Meditieren gestört hatte, ihr zehntes Lebensalter feierte. Doch jetzt, jetzt saß er seit einem Monat vor solch einem dämlichen Fisch und nichts wollte sich bewegen. Der junge Mann seufzte noch frustrierter. „Immer noch keinen Erfolg?" Eine leise Stimme erklang an seinem Ohr. Vor lauter Schreck zuckte Maereth zusammen und schlug mit Hand hart gegen die scharfe Kante des Altarsteins. „Au, verdammt!", fluchte er laut, hielt sich die Hand und drehte den Kopf Richtung Stimme. Zwei hellbraune Augen blickten ihn leicht besorgt, leicht belustigt an, legten den Kopf schief und gingen dann auf die Knie. „Was sollte das denn?!" – Er kicherte: „Ich wollte dir einen kleinen Schrecken einjagen." Er sah an Merry herab. „Gib die Hand her, Merry, du blutest!" Ohne ein Widerwort abzuwarten nahm er sanft seine Hand, während dieser nur entgeistert auf den Schnitt in seiner Hand starrte, der sich langsam wieder schloss. Zufrieden wischte er das Blut weg und verkündete: „Wie neu!" – „Wie machst du das nur so einfach? Egal wie oft und lange ich hier sitze und meine Hände auf diesen Fisch drücke, er will einfach nicht leben!" – „Vergiss den blöden Fisch! Irgendwann kommt das wie von selbst. Du hast eine kleine Ewigkeit Zeit um es zu lernen und ich habe halt schon ein paar Jahre mehr Zeit gehabt." Er verstand es ja, aber trotzdem verärgerte es ihn. Resigniert lies Maereth sich nach hinten sinken, lehnte sich an die Brust seines Motivators und schloss die Augen.

Er war Jerec Tomari am ersten Tag seines Aufenthalts begegnet

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Er war Jerec Tomari am ersten Tag seines Aufenthalts begegnet. Er hatte dagestanden, seine Ankunft beobachtet und geklatscht, als er die Blumen hatte blühen lassen. Maereth selbst hatte es gar nicht bemerkt, war erst weitergegangen, hatte sich dann verwirrt umgesehen und direkt in das verschmitzte Lächeln des heiligen Kindes geblickt. Von da an hatten sie sehr viel Zeit miteinander verbracht und waren sehr enge Freunde geworden. Eine Art von „sehr eng", die ihn regelmäßig, wenn er daran dachte, rot werden ließ. Ihm selbst war es am Anfang sehr peinlich gewesen, aber der Socius des Engels der Zeit war bereits lange genug am Leben, um zum Schluss gekommen zu sein, dass man, wenn man unendlich Zeit hatte auch tun sollte, was einen glücklich macht. Was kümmern dich die „Moralvorstellungen" eines normalen Menschenlebens, wenn du gar kein normaler Mensch bist? Trotzdem hätte Merry im Boden versinken können, nicht dass es ihn abgestoßen hätte, im Gegenteil. Jerec hatte nur gelacht und ihn als süß bezeichnet. Und so hatten sie dann ihre Tage auf dem Trainingsplatz verbracht, wo Jerec ihm das Schwertkämpfen und Bogenschießen zeigte und in den Nächten erschöpft vom Tag auf den Blumenwiesen gelegen und in den Sternenhimmel geschaut, während Jerec ihm Geschichten erzählte, bis Merry müde wurde. Meistens handelten sie voller Schwärmerei von seinem Engel Argyrion, der die Zeit beherrschte. Aber auch Mythen über andere Engel - auch Siras, seinen Meister - die Entstehung der Welt oder die Wirkung der Kräfte der heiligen Kinder. So hatte Maereth gelernt, dass nur das Kind der Gesundheit wirklich im herkömmlichen Verständnis heilte. Jerec zum Beispiel machte viel eher einfach die Verletzung rückgängig und er selbst zog seine Heilkraft wohl aus den positiven Gefühlen der Menschen, vor allem der Hoffnung auf Besserung. Und während er so, an Jerec gekuschelt, am Einschlafen war, kam Merry der Gedanke, dass sein Fisch wohl der pessimistischste Fisch der Welt sein musste. In dieser Nacht hatte Maereth einen wunderschönen Traum gehabt. Er war wieder einmal verzweifelnd vor seinem Fisch gesessen und langsam resigniert, als Jerec, so wie jeden Abend neben ihm auftauchte und ihn ermutigte. Frustriert hatte er seinen Kopf in den Händen vergraben, da hatte Jerec seine Hand an seine Wange gelegt und ihn geküsst. Am nächsten Morgen war er lächelnd aufgewacht und war sich bewusst gewesen, dass sein Traum bereits Realität war.

In diesen Gedanken war Maereth versunken, als er sich an die Brust der Person schmiegte, die er von einem echten Engel nicht mehr zu unterscheiden wusste

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In diesen Gedanken war Maereth versunken, als er sich an die Brust der Person schmiegte, die er von einem echten Engel nicht mehr zu unterscheiden wusste. „Merry..." – Er schreckte zusammen. Hatte er dämlich gegrinst? Oder sogar gesabbert? Hoffentlich nicht. „Merry, schau mal...", flüsterte Jerec mit erstaunter Stimme. Verwirrt öffnete Merry die Augen und starrte verblüfft auf das Schauspiel, das sich ihm bot. Der Fisch lag so tot auf dem Altar, wie immer, aber um sie herum schien es, als wären alle Pflanzen der Insel in die Höhe geschossen. Durch die brüchigen Bodenplatten des Atriums sprossen bunte Blumen, Efeu rankte sich die Wände und Säulen hoch und um den Torbogen wand sich ein Rosenkranz. Jerec blickte nach oben und murmelte spöttisch: „Misteln? Wie billig." Merry war jedoch viel zu verblüfft, um rot zu werden. Ausgiebig betrachtete er die blühende Natur. „Positive Gefühle...", flüsterte Jerec stolz und liebevoll in sein Ohr und strich ihm übers Haar. „I-ich glaube jetzt versteh ich's", murmelte Merry. Jerec lachte leise und sprang dann unvermittelt auf: „Komm mit!" Er hielt ihm die Hand hin. Ohne zu zögern ergriff er sie, warf noch einen Blick über die Schulter und ließ sich dann bereitwillig in Richtung einer bequemeren Unterlage ziehen. Die Nacht sollte eine wunderschöne werden. Und während Merrys Gedanken einzig seinem Freund galten, bis er sich schließlich müde und erschöpft an ihn kuschelte, zog draußen im Garten ein Fisch seine Kreise durch den Teich.

 Und während Merrys Gedanken einzig seinem Freund galten, bis er sich schließlich müde und erschöpft an ihn kuschelte, zog draußen im Garten ein Fisch seine Kreise durch den Teich

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