36. - Mauerrisse

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~ Schönheit liegt im Auge des Betrachters. ~

Ich konnte nicht sagen, was das zwischen uns war. Schließlich sah ich Decess gerade erst zum dritten Mal und trotzdem war da eine Anziehungskraft, die mir erst jetzt auffiel. Er seufzte schwer und rieb sich über sein Gesicht.

"Denk bitte noch nicht zu viel darüber nach. Dafür haben wir nach dem Krieg noch genug Zeit." Was sollte das denn heißen? "Denk einfach nicht drüber nach. Ich erkläre dir das später einmal mit Nighe zusammen. Du solltest dich übrigens mehr auf deine Gedankenmauer konzentrieren. Die ist ziemlich rissig." Geistig könnte ich mich ohrfeigen. Wie konnte ich das nur vergessen?

Schnell dachte ich an eine dicke, massive, undurchdringliche Mauer. Nochmal würde mir das nicht passieren.

"Wollen wir dann zurück?", erkundete ich mich erschöpft. So langsam spürte ich die Erschöpfung an mir zerren. Viel geschlafen hatte ich ja nicht.

"Da unten hin? Also wenn du das wirklich willst, bring ich dich runter. Aber erwarte nicht, dass ich dann auch bei dir bleibe." Im ersten Moment verstand ich wirklich nicht, was er meinte, doch dann fiel der Groschen. Lachend schlug ich ihm gegen den muskulösen Oberarm.

"Ich meinte in die Hölle", klärte ich ihn auf und hob tadelnd den Zeigefinger. "Dass du das nicht weißt, enttäuscht mich aber."

"Nach Hause? Klar doch! Gut festhalten, Mylady!" Er überhörte meine letzte Bemerkung und tat ganz auf Gentleman. Übermütig hielt ich mich an ihm fest und vergaß diesmal nicht die Augen zu schließen. "Sie können die Augen jetzt öffnen. Wir sind wohlbehalten an unserem Ziel angekommen. Darf ich Sie in ihrer kleinen aber feinen Wohnung herumführen?", führte er sein Verhalten fort.

Kritisch blickte ich mich um. "Das nennt man hier Wohnung? Das sind kaum mehr als zwei Zimmer, da werde ich wohl allein zurechtfinden. Sie sind entlassen."

"Entlassen, Madam? Das höre ich aber nicht gern."

"Hach, köstlich. Ich meine für den Moment werden Sie nicht gebraucht." Er brach in schallendes Gelächter aus und ich stieg mit ein.

"Köstlich?", japste er und erneut quoll eine Lachsalve aus seinem Mund hervor.

"Ja keine Ahnung. Ich dachte man spricht so, wenn man reich und verzogen ist." Unsicher kratzte ich mich am Kopf. Im Grunde genommen ging ich da mit sehr viel Vorurteilen dran. Schließlich hatte ich noch nicht wirklich mit einer sehr wohlhabenden Person gesprochen.

"Verzogen? Mila, du machst mich fertig", sagte er plötzlich wieder etwas ernster.

"Ich mache dich fertig?", hakte ich verwirrt nach und im selben Moment fiel mir auch schon ein, was er damit meinte. Da war mein vorlautes Mundwerk mal wieder schneller gewesen. "Schon gut, hab's kapiert." Der Höllenprinz lächelte nachsichtig. "Was machen wir jetzt eigentlich?"

"Wir machen gar nichts. Du bleibst schön hier und ich muss mit meinem Vater sprechen." Beleidigt blickte ich zu ihm empor. Seit wann stand er so nah vor mir?

"Anders gesagt; ihr wollt mich hier einsperren."

"Wie kommst du auf 'wir'? Ich hab dich nicht in der Mehrzahl gesprochen." An seinem Blick sah ich genau, dass er wusste, was ich meinte. Ich starrte ihm unerbittlich in die Augen, bis er seufzend nachgab. "Nighe will dich auch hier drin sehen."

"Dazu muss er aber erstmal herkommen", sagte ich trocken. "Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Wenn ich schon nicht im Krieg helfen darf, will ich wenigstens im Schloss rumlaufen können!" Meine Finger begannen zu knistern und zu prickeln. Ein magischer Schlag schoss aus ihnen hervor und ließ mir die Haare zu Berge stehen. Die Lampe neben dem Bett explodierte.

"Upsi." Decess warf mir erst einen verwunderten, dann einen Dein-Ernst Blick zu. Abwehrend warf ich die Hände in die Luft. Was konnte ich denn dafür, wenn ich meine Kräfte nicht unter Kontrolle hatte? Die ich nebenbei bemerkt auch erst heute morgen erhalten habe.

"Planänderung. Du kommst mit mir." Zufrieden grinste ich, bis mir Rice Tatsache das Lächeln aus dem Gesicht wischte.

"Mit zum Teufel?" Entgeistert entfernte ich mich von Decess. "Also ich glaube, entspannte Streifzüge durchs Schloss würden mir besser bekommen." Sein Lächeln ließ mich schaudern.

"Du bleibst hier nicht allein. Also kommst du mit mir. Nighe ist noch nicht in diesem _Landsitz_ meines Vaters eingetroffen."

"Landsitz hört sich ja noch vielversprechender an! So ein bisschen an der frischen Luft spazieren gehen ist gesund." Jetzt nahm sein Lächeln etwas raubtierhaftes an. Er fixierte mich wie seine Beute.

"Du kommst mit mir. Keine weitere Diskussion. Es ist nur zu der Sicherheit aller, nachdem das da passiert ist." Er fuchtelte mit der Hand in die Richtung, in der vor ein paar Minuten noch eine unscheinbare Lampe gestanden hatte. Ergeben nickte ich und stieß einen Seufzer aus. "Im Schrank ist Kleidung. Such dir was schickes raus." Damit ging er zur Tür hinaus.

Ich blickte an mir herab. Die schwarzen Klamotten waren schmutzig und hatten kleine Löcher und Risse. Vor Luzifer sollte ich nicht unbedingt so auftreten. Auf meiner Lippe kauend ging ich zu dem großen Holzschrank und öffnete die Türen. Wie nicht anders zu erwarten fand ich nur schwarze und dunkelrote Kleidung vor.

Ein langes dunkles Kleid hing an einem Bügel im Schrank.
Etwas schickes war schonmal vorhanden, aber ich weigerte mich strikt dieses Kleid anzuziehen. Das war einfach nicht ich. Nur was wäre, wenn Decess genau das erwartete? Ehrfürchtig nahm ich den Bügel heraus und unterzog das Kleid einer Musterung.

Es war schwarz mit einzelnen dunkelroten eingewebten Fäden. Schulterfrei und knielang. Der untere Teil war stufig mit spitz zulaufenden Streifen bestückt.

Auch wenn ich von Kleidern nicht viel Ahnung hatte, so war mir doch bewusst, was das für ein Traumkleid war. An höllischen Maßen gemessen. Auf der Erde wäre es sicher als zu düster bezeichnet worden. Ich würde es anziehen. Irgendwie zog es mich magisch an, obwohl ich Kleider eigentlich hasste.

Schnell streifte ich mir meine schmutzigen Kleidungsstücke ab und schlüpfte in das Kleid. Es war zu groß, wie ich leicht enttäuscht feststellen musste. Doch da begann es auch schon, sich zu verändern. Es passte sich an meinen Körper wie eine zweite Haut. Leider war es durch diese Anpassung auch ein wenig kürzer geworden. Ob das so noch akzeptabel war?

Ein Klopfen ließ mich hochblicken. Was denkt der sich bloß?! Macht die Tür auf und kommt rein und klopft dann erst an!

"Jaja, ich weiß. Aber da deine Mauer immer rissig wird, wenn du dich nicht konzentrierst, wusste ich schon, dass du fertig bist." Anscheinend nahm er mich jetzt erst richtig zur Kenntnis, denn er pfiff anerkennend. "Eine richtige Höllenbraut!" Das verschlug mir für einen Moment die Sprache.

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