51. - Schicksal

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~ Das Schicksal nimmt nichts, was es nicht gegeben hat. ~

Jeder berührte Decess an den Armen oder Schultern und ein paar Sekunden später befanden wir uns an einem Waldrand. Das Mondlicht fiel durch die Löcher in Blätterdächern und ich wusste, dass das perfekt war. Annie würde gleich die Welten retten. Und das merkte man ihr an. In Luzifers Anwesenheit war sie unsicher und zurückhaltend gewesen und jetzt strotzte sie nur so vor Selbstbewusstsein.

"Am besten stellt ihr euch um mich herum und denkt ganz fest an eine Situation, die Starke Emotionen in euch hervorruft. Vorher sollten wir noch klären, wer welche hat, damit es keine doppelt gibt. Nighe, was herrscht bei dir?"

"Trauer", sagte er. Wegen Shay. Es würde dauern, bis er darüber hinweg kam. Bei mir auch, doch ich habe Shay ja kaum gekannt.

"Decess? Und dann der Reihe nach, bitte!"

"Liebe." Ich fühlte mich angesprochen auch wenn das naiv und lächerlich war. Sein Blick zu mir bestärkte mich nur noch in meiner Vermutung.

"Also ich weiß ehrlich nicht, was in den letzten Wochen besonders stark war. Aber Angst war in den letzten Tagen mein ständiger Begleiter", murmelte Indis.

"Neid", sagte Mawu knapp und ich fragte mich, auf was er neidisch war. Aber das würde ich ihn wohl später fragen müssen, denn jetzt war ich an der Reihe.

"Ich habe die ganzen letzten Tage aus mögliche durchlebt. Vielleicht kann ich ja an alles denken?" Annie beäugte mich skeptisch, ließ sich ansonsten keinerlei Regungen anmerken.

"Wird schon klappen. Dann stellt euch jetzt in einem Kreis um mich herum. Mit diesem Mondstein werde ich die Lichter bündeln und ihr versucht mir eure Emotionen zu übertragen." Die anderen hingen an ihren Lippen, als hätte sie gerade irgendetwas weltbewegendes verkündet. Was sie ja auch eigentlich tat und trotzdem fühlte ich einen kurzen Anflug von Neid. Ich hatte ich Krieg gekämpft, war gestorben und wiederbelebt worden und trotzdem war sie die Heldin. So war es doch immer.

Wir stellten uns unter den Bäumen in einem Kreis auf mit Annie in unserer Mitte. Keiner schloss zur Konzentration die Augen, das Schauspiel, das sich uns bot war zu magisch. Annie hielt den Mondstein in beiden Händen und wanderte von einem Lichtfleck zum nächsten. Eine magische Aura umgab sie und mit jedem neuen Lichtfleck begann der Mondstein heller und stärker zu pulsieren. Immer wieder leuchtete in dem milchigen Stein ein buntes Licht auf. Violett, grau, blau, rot, grün.

Sobald sie besonders nahe an einen von uns herantrat, leuchtete eine Farbe besonders intensiv auf. Die Farbe der Emotion. Bei Decess leuchtete ein roter Funken auf und bei Nighe ein grauer, der in dem milchigen weiß kaum zu erkennen war. In Indis' Nähe pulsierte der Stein blau und in Mawus violett. Als Annie vor mir inne hielt, schlosd ich die Augen, zu überwältigt von der Magie. Durchflutet von diesem wunderbaren Gefühl wanderten meine Gedanken durch die Ereignisse der letzten Woche.

Das schönste war wohl der Erhalt meiner Kräfte. Dieses berauschende Gefühl erfüllte mich auch jetzt und ich spürte, wie sich meine Flügel zwischen meinen Schulterblättern hindurchschoben. So erbärmlich sie auch aussahen, sie waren von nun an ein Teil von mir.

Der Einfluss femder Magie zog sich zurück und ich spürte nur noch meine eigene. Langsam blinzelte ich zwischen meinen Lidern hervor und musste feststellen, dass mich alle anstarrten. Doch schnell war die Aufmerksamkeit wieder bei Annie.

"Ich hab es wirklich geschafft! Ich habe meine Aufgabe erfüllt!" Ihr ganzes Gesicht strahlte und ihr Lächeln zog sich beinahe von einem Ohr zum anderen. "Ich hab meinen Teil erfüllt, müssen wir jetzt einfach nur abwarten?" Niemand schien eine Antwort zu haben.

Ich blickte nachdenklich gen Himmel. Ein Stern löste sich vom Himmelszelt und senkte sich zu uns hinab. Ungläubig beobachtete ich, wie er sich in ein Wesen puren Lichts verwandelte und vor Annie den Boden Ardas berührte. Der Pegasus. Wahnsinn!

Er schien sich mit Annie zu unterhalten. Kein Wort verließ seine Lippen, also schloss ich darauf, dass er über Gedanken kommunizierte.

"Noch nicht fertig? Ich dachte ab jetzt übernimmst du!" Das hörte sich ja nicht sonderlich gut an und Annies Gesichtsausdruck wurde von Sekunde zu Sekunde immer ungläubiger.

"Er sagt, ich muss die Magie zwischen den Welten verteilen." Erleichtert atmete ich aus. Das war nichts schwerwiegendes. "Ich bin eine Wächterin. Ich werde nicht zurückkehren. Meine Seele wird über das Gleichgewicht wachen." Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Ich stand nur stocksteif da und musterte sie. Das konnte das Schicksal nicht ernst meinen! Auch wenn wir und gestritten hatten, konnten man mir nicht einfach meine beste Freundin nehmen.

"Das heißt, du stirbst?", brachte ich brüchig hervor.

"Ja und Nein. Meine Seele wird leben, aber ich werde nicht zurückkommen." Kaum eine Sekunde später lag ich in ihren Armen.

"Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid! Du kannst mich doch nicht verlassen!", schluchzte ich und auch ihre Schultern bebten verdächtig.

"Mir bleibt keine andere Wahl, ich wurde auserwählt." Sie presste sich enger an mich. "Und du hast mir gar nichts getan. Kylan hat mich gebissen und das hat mich geschwächt und reizbar gemacht. Mir tut es leid, dass ich meinen Frust an dir ausgelassen habe!" Nur noch mehr Tänen quollen zwischen meinen zusammengepressten Lidern hervor. Annie hielt einen Augenblick die Luft an.

"Er will jetzt gehen!" Die Wörter waren vor lauter Schluchzern fast gar nicht zu verstehen. "Alles wird gut. Ich werde meine Aufgabe erfüllen und du wirst mich immer in deinem Herzen tragen. Dafür werde ich sorgen." Eine warme Welle platschte durch meinen Körper und Annie schälte sich aus meiner Umarmung.

"Deine Schmerzen werden durch meine Magie gemildert, kleines Mischwesen. Du wirst nur noch einen kleinen Verlust verspüren, aber deine Freundin nie vergessen." Der Pegasus sprach mich nun direkt an.

"Trag mein Schicksal an meine Familie weiter!", rief Annie mir vom Rücken des geflügelten Pferdes zu und stieg mit ihm in die Nacht hinauf. Ihr Verlust schmerzte mich tatsächlich nicht so sehr wie gedacht. Alle Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit wurden von Glück überflutet.

Ich drehte mich um. Die Anwesenheit der anderen hatte ich völlig vergessen. Decess trat auf mich zu und ich ließ mich in seine Umarmung sinken. Die Berührung seiner Lippen auf meinem Haar ließ mich seufzen. Jetzt war noch nicht die Zeit für so etwas. Widerstrebend löste ich mich aus seinen Armen und wandte mich an Nighe.

"Kannst du diese Blockade lösen, die meine Kräfte unterbindet? Ich möchte wirklich frei sein von allem." Zur Beteuerung ließ ich meine fetzigen Flügel aufschnappen. Irgendwie waren sie achon cooler als diese Glitzerdinger der anderen Feen. "So schlimm kann es nicht sein."

"Oh, doch. Es wird jede Menge Training nötig sein, bis du sie richtig kontrollieren kannst."

"Das glaube ich dir nicht. Sie sind schließlich ein Teil von mir!"

"Soll ich die Blockade lösen?", fragte er grinsend. "Dann kannst du mal sehen, wie stark und unkontrollierbar deine Kräfte wirklich sind." Etwas löste sich in mir und ein kurzer Moment der Freiheit zog durch meinen Körper. Doch dieser Moment hielt nicht lange an, nur eine Milisekunde später wurde ich von der Kraft in mir zu Boden geschleudert. Die Feen- und Dämonenkräfte in mir rebellierten gegeneinander. So etwas starkes hatte ich noch nie erlebt. Wild und unzähmbar tobte es in mir. Gut und böse stritten um die Oberhand.

"Glaubst mir jetzt, dass Training wirklich angebracht ist?" Er blockierte wieder einen Teil meiner Kräfte und ich rappelte mich mühsam auf. Meine Knie zitterten immer noch von dem Machtkampf.

"Besser wir fangen sofort an, bevor ich zu meiner Familie auf die Erde zurückkehre."

"Wer hat dir denn den Flo ins Ohr gesetzt?"

MondlichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt