50. - Problembehebung

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~ Die Lösung ist immer einfach, man muss sie nur finden. ~

"Du lebst. Und das ist das wichtigste", grummelte er und kam mir noch ein Stück näher. Er würde mich doch nicht etwa...
Und da hatte er auch schon kurz seine Lippen auf meine gepresst, nur um sich dann blitzschnell zurückzuziehen. Verdutzt hockte ich auf dem Stuhl und blickte Decess an. Eine leichte Röte zierte seine Wangen.
"Wir sollten uns zur Bibliothek aufmachen", sagte er, nachdem er sich einmal geräuspert hatte. Er verschwand durch die Tür, Nighe und ich folgten. Sofort suchte ich wieder nach Annie, doch sie war verschwunden. Genauso wie Priya und Kylan. Luzifer wollte sich ja um sie kümmern. Jeden weiteren Gedanken an sie verdrängend, folgte ich Decess durch dunkle Gänge, die nur schwach von Fackeln beleuchtet wurden, mit Nighe im Nacken. Eingekesselt von den bösen großen Jungs.

"Große böse Jungs? Das gefällt mir", grinste Decess und drehte sich einen Augenblick zu mir um. Ich schnaubte nur und sagte nichts mehr dazu. Meine Stimme würde sicherlich versagen.

Meine Füße schmerzten ziemlich, als ich endlich die Tür der Bibliothek erkannte. Ob Annie schon dort war?

"Sie ist bestimmt schon da. Immerhin war sie nicht mehr im Thronsaal." Nighe überholte mich und hielt Decess und mir die dunkle Holztür auf. Wir traten alle hindurch und ich musste stark blinzeln, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Der Staubgeruch war präsent wie schon bei meinem ersten Besuch. Die Elfen erkannte ich als erstes. Sie schwirrten um Luzifer und Annie herum. Sofort musste ich an den verbrannten Feuerelf denken, der eigentlich keiner war. Ob ich ihn wohl jemals wiedersehen würde?

Ich würde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als Indis aufgeregt auf mich zu flatterte.

"Da bist du ja! Es ist gut zu wissen, dass du wohlbehalten wieder hier bist, Liebes. Aber jetzt bleibt keine Zeit für ein Plauderstündchen, Luzifer wird sonst ungeduldig." Sie zwinkerte mir zu und flog dann hinter mich, um mich vorwärts zu schieben. Was sich ziemlich lustig anfühlte.

Wir alle setzten uns zu Luzifer und Annie, wobei ich ihren Blick mied. Ihr komisches Verhalten war noch nicht vergessen.

"Elfen, habt ihr Ideen, wie man die Prophezeiung umsetzen kann?" Luzifer war wirklich sehr direkt. Oder kein Mann der großen Worte.

"Willst du uns nicht erst einmal erzählen, was der Pegasus dazu gesagt hat?" Mich wunderte, dass Indis so direkt sein konnte, aber Luzifers Augenrollen toppte alles. Mit wenigen Worten erklärte er, was ich bereits wusste.
Einen kurzen Seitenblick auf Annie konnte ich mir dann doch nicht verkneifen. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und schien sich nicht sonderlich wohl zu fühlen. Verübeln konnte man es ihr nicht, es ging hier ja hauptsächlich um sie.

"Puh. Mawu, was sagst du dazu? Ich habe leider keine Idee." Jetzt starrten alle den kleinen Elf an, der sich sichtlich unwohl fühlte. Da war er ja schonmal nicht alleine.

"Es wird ja etwas mit dem Mond zu tun haben und ich denke, dass es an Vollmond am besten ist. Da ist die Kraft des Mondes am stärksten. Mehr kann ich dazu leider nicht beitragen." Er wirkte ehrlich geknickt.

Decess rückte mir seinem Stuhl näher an mich heran. Irritiert warf ich ihm einen Seitenblick zu, bevor ich mich wieder den anderen zu wandte. "Lichter sammeln hört sich ja auch ziemlich einfach an. Einfach die Mondlichter mit ein wenig Magie aufsammeln." Ich wusste nicht, woher dieser Einfall kam und warum er mir nicht schon viel früher gekommen war.

"Das ist echt simpel!" Nighe schlug den Kopf auf den Tisch, während sich ein Arm auf die Rückenlehne des Stuhls legte. Überrascht registrierte ich, dass Decess nun wirklich nahe war. Und es rief unterschiedliche Gefühle in mir hervor. Einerseits ließ es meinen gesamten Körper kribbeln und anderseits fühlte ich mich extrem unbeholfen.

"Das ist es!" Ihre Stimme ließ mich zusammenzucken. Wir kannten uns schon so viele Jahre und nach einer Woche war sie eine Fremde für mich geworden.

"Wir alle müssen die Emotionen selbst erschaffen. Und dann ziehe ich die Mondlichter mit Magie in einen magiesicheren Behälter." Das klang sogar noch einfacher als mein Beitrag. Traurig, dass wir so lange dafür gebraucht haben.

"Dann sollten wir sofort loslegen. Ich denke mal, jeder hat in den letzten Tagen genug Emotionen durchlebt." Luzifer erhob sich.

"Aber heute ist kein Vollmond", mischte ich mich wieder in die Überlegungen ein.

"In Arda spielen die Gesetze der Natur ein wenig anders. Wenn wir heute Vollmond brauchen, dann werden wir heute Vollmond haben", sagte Decess dicht neben meinem Ohr. Ein Schauer brachte mich mal wieder aus dem Konzept. Wie schaffte er das nur immer? "Ich kann alles." Das war dann eher gruselig. Schnell schob ich den Stuhl zurück und lief zu Nighe, der sich ebenfalls erhoben hatte. Er wirkte abwesend und sein Gesicht zeugte von Trauer. Ich erinnerte mich an den Tod seines besten Freundes, meinen Vater. Wie unwirklich das war.

"Wie war er so?", fragte ich und könnte mich selbst für Ungenauigkeit meide Frage schlagen. Doch Nighe schien sofort zu wissen, wen ich meinte.

"Der beste Freund den man sich wünschen kann. Und deine Mutter wollte es damals wirklich. Ich war dabei, als sie Shay angebettelt hat. Nur wusste sie nicht, dass er ein Halbdämon war. Nur Halbwesen können einander als solche identifizieren. Und du bist ja auch eines. Deswegen sind sich deine Kräfte auch so gegensätzlich. Gut und Böse kombiniert. Da das nicht gut gehen kann, musste ich diese Seelenspaltung machen. Ich musste einen Teil der Kontrolle über dich haben." Mit so einer langen Ansprache hatte ich nicht gerechnet, doch ich begann wirklich zu verstehen.

"Ich glaube dir. Und ich denke mal, als Shay meine Mutter verlassen hat, ist sie ausgeflippt. Weil sie dachte, sie sei seine große Liebe. Wie es immer ist. Aber ich will nicht mehr drüber nachdenken."

"Es tut mir leid, dass du Shay nicht besser kennenlernen konntest."

"Schon gut. Er wird uns immer gut im Gedächtnis bleiben." Damit war für uns beide das Thema abgehakt. Inzwischen hatten alle die Bibliothek verlassen und wir rannten schnell hinterher.

"Hier drin kannst du die Lichter sammeln. Wir sehen uns später. Mach ja keinen Fehler!" Luzifer reichte Annie gerade einen milchigen Edelstein und schickte sich an, zu verschwinden. Aber ich ging dazwischen.

"Warum gehst du?"

"Ach, kleines Mädchen. Ein so alter Mann wie ich fühlt schon lange nichts mehr. Ich war bei der Entstehung des Universums dabei, da muss ich nicht die Rettung miterleben. Annie ist auserwählt worden, da wird sie es auch ohne mich schaffen." Und dann war er wirklich verschwunden.

"Alle festhalten! Ich bring uns in ein schönes Stück des Gartens."

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