24. - Wenn alles zu viel wird

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~ Ein guter Mensch ist ein Stern für jene, die das Licht nicht finden. ~

Priya warf mir einen letzten entschuldigenden Blick mit einem Hauch von Verzweiflung zu, bevor sie die Tür verschloss. Das Klacken des Schlosses hatte etwas endgültiges. Mein Gefühl sagte mir deutlich, dass ich hier nicht so schnell raus kommen würde. Bestimmt bekam Priya jetzt unheimlichen Ärger wegen mir und meiner absolut dummen Idee, während ich hier versauern durfte. Dabei hatte es sich in dem Moment so richtig angefühlt, jeder hat so glücklich gewirkt. Bis dann plötzlich auch noch Annie in dieser Küche war. Dass sie mich völlig ignoriert hatte, versetzte mir selbst jetzt noch einen Stich ins Herz.
Meine Gedanken fuhren Achterbahn.

Ob Priya eine große Strafe bekommen würde? Was tat Annie hier? Und was machte ich noch hier und musste als Pfand für was auch immer schmoren? So viele Fragen und keine Antworten.

***

Dicke, schwere Wassertropfen platschten zu Boden. Erst ganz wenige und dann immer mehr. Gebannt starrte ich aus dem winzigen Gitterfenster. Viel konnte ich nicht erkennen, da das Wasser die Scheibe hinunter lief und die Welt dahinter in Unschärfe tauchte. Ein lautes Krachen übertönte das Platschen und kurz darauf teilte ein grellweißer Blitz den schwarzen Himmel. Das Gewitter war genau über uns. Die mickrige Glühbirne an der Decke begann zu flackern. Hoffentlich ging der Strom jetzt nicht aus. Dann würde ich in völliger Finsternis herum sitzen. Warum habe ich mich auch fangen lassen und einfach keinen Fluchtweg gesucht? Irgendeinen Weg hier raus musste es doch geben.

Seufzend ließ ich den Kopf in den Nacken fallen und starrte an die Decke. Kleine Risse zogen sich durch das Deckengebilde und der Putz bröselte bereits hinunter. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis man darunter begraben wurde. Aber sie hatte bestimmt schon einiges durchgemacht, da würde sie wohl nicht ausgerechnet jetzt herunter kommen.

Langsam zog ich mich in den letzten Winkel meiner Zelle zurück und zog den Kopf ein. Verborgen in den Schatten beobachtete ich, wie man eine Klappe am Boden der alten Metalltür öffnete und ein Tablett herein schob. Etwa auf Augenhöhe öffnete jemand eine weitere, so dass ich schwach ein Gesicht erkennen konnte. Oder wohl eher eine Fratze. Unzählige Narben durchzogen die faltige und dunkle Haut, die rot glühenden Augen lagen tief in ihren Höhlen.

»Iss ein wenig! Dich erwartet gleich Besuch.« Das unheimliche Leuchten der Dämonenaugen verschwand, da erst die obere, und dann die untere Klappe geschlossen wurden. Misstrauisch beäugte ich das Tablett und die Dinge, die darauf standen. Ein Glas mit Wasser, von dem die Hälfte übergeschwappt war, und ein vertrocknetes Stück Brot lagen darauf. Direkt daneben eine dunkle undefinierbare Masse. Die würde ich ganz bestimmt nicht zu mir nehmen. Aber da ich es auch nicht einsah für ein altes Brot meine relativ bequeme Position aufzugeben, beschloss ich, die winzige Mahlzeit für später aufzubewahren.

***

Allmählich verlor ich jedes Zeitgefühl. Es hätte eine Stunde, aber genauso gut ein halber Tag vergangen sein können, ohne dass ich es bemerkt hatte. Der Regen hatte nachgelassen, ein stetiges Tropfen jedoch blieb. Der Himmel blieb dunkel, weshalb ich nicht sagen konnte, ob es noch Tag war oder die Nacht schon herrschte.

Unzufrieden mit mir selbst und den Welten saß ich in der Ecke. Meine Gedanken wurden immer träger, bis ich irgendwann in einen Zustand zwischen Schlaf und Bewusstsein fiel.
In dieser Art Halbschlaf verweilte ich jedoch nicht lange, da die Tür knarrend aufgerissen wurde. Ein mehr als nur aufgebrachter Kylan stürmte herein.

»Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hast keine Ahnung, was du angerichtet hast! Meine Bediensteten lehnen sich gegen mich auf und Priya kann ich jetzt auch vergessen!« Ich schreckte hoch, unfähig, mich zu rühren. Das hatte ich nicht gewollt. Auch wenn ich damit wahrscheinlich vielen einen Gefallen getan hatte. »Hast du dazu gar nichts zu sagen?«, presste er wütend hervor. Die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt, musterte er mich aus zusammengekniffenen Augen. Die unnatürlich blassgrünen Iriden erkannte ich auch trotz des diffusen Lichtes. Vorsichtig schüttelte ich den Kopf. Als er daraufhin nur noch gereizter drein blickte, senkte ich schnell den Blick, konnte ein Augenrollen aber nur schwer unterdrücken.

»Ich wollte das wirklich nicht«, stotterte ich vor mich hin. Energische Schritte in meine Richtung. Schwer seufzend ließ er sich neben mir nieder. Kopfschüttelnd rieb er sich die Schläfen und den Nacken. Jetzt wirkte er nur noch erschöpft. Wie schnell konnte er denn bitte von der einen Stimmung in eine komplett gegenteilige wechseln?

»Es war schwer, mir den nötigen Respekt zu verschaffen und einige Wesen lehnen sich bis heute gegen mich auf - was ich ihnen nicht einmal übel nehmen kann. Ich bin im Vergleich zu den anderen Herrschern sehr jung, habe kaum Erfahrung und mache dadurch Fehler.« Wurde das hier eine Therapiestunde? Ich konnte ihm auch ohne das nötige Hintergundwissen sagen, dass er einen an der Waffel hatte.

»Und das habe ich jetzt alles zerstört?«, traute ich mich zu fragen, weil er nicht mehr ganz so wütend wirkte. Mein schlechtes Gewissen nagte trotz allem an mir.

»So ungefähr«, seufzte er. »Im Grunde genommen muss ich noch einmal von vorne anfangen.«

»Und ich kann dir da nicht irgendwie bei helfen, oder?« Unruhig begann ich an meiner Lippe zu kauen. Ich stellte die Frage, da ich mich ein bisschen dazu verpflichtet fühlte. Nachdenklich sah er an die gegenüberliegende Wand, dabei blitzten seine Augen begeistert auf.

»Doch, es gibt etwas! Du könntest dafür sorgen, dass sie sich nicht gegen mich auflehnt! Einen Moment!«, meinte er und sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Keine Sekunde später fiel die Tür erneut ins Schloss. Klack, und ich war allein. Schon wieder. Ich zog meine Beine an den Körper und legte mein Kinn auf den Knien ab. Was er jetzt wohl vorhatte? Hoffentlich tat er niemandem etwas an. Jedenfalls sollte er mich nicht zu lange alleine lassen, ich sehnte mich nach Gesellschaft. Schon seltsam, vor wenigen Tagen war ich fast immer auf mich alleine gestellt gewesen und seit ich in der Hölle war, genoss ich den Luxus, ständig jemandem um mich herum zu haben.

Ein lautes Krachen schreckte mich aus meinen Überlegegungen und ich dachte im ersten Moment, die blöde Decke würde einstürzen. Das Gewitter hatte ich völlig vergessen, da ich angenommen hatte, es wäre abgeflaut. Dabei kam es jetzt mit erneuter Stärke zurück. Durch das Tosen des Windes, dem Krachen des Donners und dem beständigen Prasseln des Regens fühlte ich mich nicht mehr ganz so alleine.

Die Geräuschkulisse musste glücklicherweise nicht allzu lange als Trostspender herhalten. Kylan stand mit Priya in einem grobem Griff im Türrahmen. Sie wehrte sich gegen ihn, hatte jedoch keine Chance. Jetzt verstand ich, was er wollte. Ich sollte sie von ihm überzeugen. Da konnte er aber lange warten.

»Du scheinst verstanden zu haben.« Wenn der Vampir jetzt auch noch Gedanken lesen konnte, platzte mir aber endgültig der Kragen. Das durfte einfach nicht sein, dachte ich bitter. Unter gar keinen Umständen würde ich ihm helfen, schlechtes Gewissen hin oder her.

»Kylan, was soll das? Was soll sie verstanden haben?«, fragte Priya verwirrt. Angesprochener zerrte sie weiter in meine Richtung, schubste sie aber kurzerhand vor mir auf den Boden, als sie sich weiterhin heftig wehrte. Gegen die Kraft eines Vampir würde sie jedoch trotz ihren Luminos-Kräften nicht ankommen.

»Du besitzt nicht das Recht, mich unerlaubt anzusprechen! Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich aus meinen Angelegenheiten rauszuhaltwn hast?«, fuhr er sie an. Dieses überhebliche Gehabe ihr gegenüber irritierte mich und erst recht ihre Reaktion in Form eines reuevollen Zusammenzuckens. Sie krabbelte schnell auf mich zu und drückte sich an meine freie Seite.

»Hau gefälligst ab! Das, was du hier abziehst, ist das Allerletzte! Ich werde dir nicht helfen, schließlich kannst du mich nicht dazu zwingen!«, fauchte ich. Wie ich eben noch Mitleid mit ihm haben konnte, war mir ein Rätsel.

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