8. - Es gibt schon komische Leute

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~ Wer im Dunkeln sitzt, zündet sich
einen Traum an. ~

Erschrocken wich ich zurück. Eine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus, als etwas über meine Arme strich. Mein Atem beschleunigte sich, während ich zur Tür schlich und die Klinke hinunter drückte. Somit war ich zwar keinen Deut besser als die dummen Mädchen in Horrorfilmen, über die ich mit Annie immer lachte, aber so langsam verging mir echt der Spaß. Vorsichtig lugte ich um die Ecke, niemand zu sehen. Aber ich hatte mir das Ding doch nicht eingebildet! Irgendjemand nahm mich gewaltig auf den Arm.

Oder ich wurde in einen Hinterhalt gelockt! Im meinem eigenen Haus war das unwahrscheinlich. Meine Gedanken machten sich selbstständig und ich schämte mich dafür. Mit einem kurzen Blick zum Stuhl, vergewisserte ich mich, dass wirklich niemand mehr dort saß. Leise hastete ich aus meinem Zimmer und lief die Treppen hinunter, darauf bedacht den knarzenden Stufen auszuweichen.

Im Türrahmen zum Wohnzimmer blieb ich stehen und beobachtete das Geschehen. Der Tisch war abgeräumt, meine Familie und »unsere Gäste« hatten sich in die Sofaecke zurückgezogen. Meine Familie nahm das eine Sofa in Beschlag und der Rest die anderen. Die ausgelassene Stimmung war deutlich zu erkennen. Ein kleiner Stich zog mit durchs Herz, normalerweise herrschte in diesem Haus eisiges Schweigen. Selbst wenn meine Brüder da waren, wirkte es nicht so heimelig wie jetzt. Das Verhältnis zwischen meinen Eltern war manchnal ziemlich angespannt, da mein Vater oft nicht zu Hause war und dann auch selten den Mund aufmachte.

Erneutes Gelächter holte mich aus meinen Gedanken. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich die ganze Zeit Nighe angestarrt hatte. Er lächelte leicht, als er meinen Blick bemerkte. Sein Blick hielt den meinen gefangen, die Zeit schien still zu stehen. Alles um uns herum verschwand, kein Geräusch drang zu mir durch. Nur mit allergrößter Mühe gelang es mir, den Blick von dem durchaus attraktiven Jungen loszureißen. Kopfschüttelnd trat ich auf Zehenspitzen den Rückzug an. Seit wann dachte ich bitte über solche Banalitäten nach? Niemand außer dem Lügner-Halbwesen schien mich bemerkt zu haben. Hoffentlich blieb es dabei und der Idiot verriet mich nicht. Das Stimmengewirr war mit dem Loseisen von Nighes Blick zurückgekehrt.

»Willst du uns nicht noch ein wenig Gesellschaft leisten?« Die Frage ging eindeutig an mich. Innerlich fluchte ich. Zu früh gefreut.

»Ach, wisst ihr. Eigentlich wollte ich mich nur versichern, dass das Haus noch steht. Auf eine Unterhaltung verzichte ich mit Vergnügen«, gab ich bissig zur Antwort. Der warnende Blick meiner Mutter ließ mich einen weiteren Kommentar verschlucken. Ihre Gedanken über mein unmögliches Verhalten sprangen mich praktisch an.

Aus einem unbestimmten Impuls raus bewegte ich mich doch zu ihnen. Nighes leicht zuckende Hand ließ mich böses ahnen. Seine Freunde grinsten sich an, was meinen Eltern nicht weiter auffiel. Einzig und allein Mio runzelte irritiert die Stirn. Eine heiße Hand schloss sich um mein Handgelenk. In meinem Bauch entfachte sich ein Feuer, etwas schien mir aus der Brust gerissen zu werden. Mein entsetztes Keuchen konnte ich kaum unterdrücken. Es fühlte sich an, als würde ein Teil von mir gewaltsam heraus gerissen werden. Doch an mein Handgelenk klammerte sich nicht wie erwartet ein Monster. Nichts war zu sehen und das Gefühl verschwand, der Schmerz blieb.

Nur mit allergrößter Mühe konnte ich die größten Anzeichen unterdrücken, man sollte mir meine seltsamen Schmerzen nicht ansehen. Mio beobachtete mich aufmerksam, für meinen Geschmack etwas zu sehr. Er schien zu ahnen, was in mir vorging, genauso wie Nighe. Dass ein Fremder mich dermaßen lesen konnte, missfiel mir ungemein. Ich schüttelte mich einmal, die Schmerzen schwanden natürlich nicht, und setzte mich dann neben dem Sofa meiner Familie auf den Boden. Sie ließen sich nicht von mir stören, einzig und allein Mios Blick spürte ich auf mir. Zum Glück war ich nicht mehr in Nighes Interesse.

»Mila? Kommst du mal kurz mit? Ich möchte unter vier Augen mit dir sprechen.« Mios Blick duldete keinen Widerspruch. Super, jetzt hatte ich den Salat. Seufzend stand ich auf, gab mich aber in derselben Sekunde unbeschwert. Okay, vielleicht war das jetzt ein wenig zu euphorisch. Der Schmerz flammte erneut auf, als ich einen Fuß vor den anderen setzte. Mio führte mich in den Flur und zog mich dann mit einem absicherndem Blick zurück die Stufen nach oben. Seine Berührung linderte die Schmerzen in meinem Innern ein klitzekleines bisschen. In meinem Zimmer schloss er die Tür hinter uns. Willkommen in der Höhle mit dem Löwen, dachte ich finster. Gespräche dieser Art mit Mio konnten mir gestohlen bleiben.

»Ach du- Was ist denn hier passiert?!«, fragte er schrill, schlug sich dann erschrocken die Hand vor den Mund. Zum Kichern war mir trotz seiner mädchenhaft klingenden Stimme nicht zumute.

»Nichts. Warum fragst du so komisch?« Den Schatten auf meinem Stuhl wollte ich vorerst verschweigen, auch wenn es angebracht war, mit Mio darüber zu sprechen. Er war im Moment meine einzige Bezugsperson.

»Hast du dich an dunkler Magie versucht? Dein Zimmer ist voll davon!« Noch immer war seine Stimme in dieser lustigen Tonlage. Doch die leichte Panik konnte er mich unterdrücken. Jetzt fand ich das Ganze auch mehr als beunruhigend.

»Bitte was? Wenn du mir erklären würdest, wie ich das ohne eigene Magie geschafft haben sollte!« Ich reagierte gereizt und das blieb selbstverständlich einem erfahrenen Ratsmitglied nicht verborgen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und tippte abwartend mit dem Fuß auf den Boden.

»Mila, ich warte!«, brummte mein Bruder mit zusammengezogenen Augenbrauen. In seinem Gesicht konnte ich nicht erkennen, was in ihm vorging. So hatte er mich noch nie angesehen und das bestärkte das ungute Gefühl in meinem Bauch. Seine Finger trommelten rhythmisch auf seinem Oberarm, ein Zeichen dass er die Geduld verlor.

»Also, da... Na jaaa«, druckste ich herum. Mios Blick schüchterte mich ungemein ein. Hach, der olle Dielenboden war plötzlich so interessant... Mein Bruder seufzte. Ich lugte vorsichtig nach oben. Er sah nicht mehr genervt sondern mitfühlend aus. Wahrscheinlich hatte er jetzt irgendetwas missgedeutet.

»Ach, Mila. Hab ich dir nicht schon oft genug gesagt, dass du immer zu mir kommen kannst? Wie du ja schon weißt, ist in der Prophezeiung von Annie die Rede. Du sollst nicht alles alleine regeln. Dafür bist du einfach noch zu jung.« Mit dem letzten Satz hatte er wirklich alles zunichte gemacht. Er breitete die Arme aus und lächelte mich aufmunternd an. Zuerst wollte ich mich aus Trotz nicht hinein werfen, gab dann aber dem Impuls nach. Das war doch schon eher der Mio den ich kannte und liebte.

Ich holte noch einmal tief Luft und begann ihm von dem Traum und dem Schatten zu berichten. Zwischendurch spürte ich, wie er sich anspannte. Ob vor Wut oder Besorgnis konnte ich nicht wirklich deuten. Nach meinem Bericht schwieg er eine Weile.

»Mila... Das klingt echt nicht gut. Ich bezweifle, dass die Jungs was damit zu tun haben. Dein Verdacht beruht auf keinerlei Tatsachen. Du schläfst heute auf jeden Fall bei mir und für morgen lasse ich jemanden kommen, der dein Zimmer überprüft. Mom und Dad bleiben erst einmal außen vor, einverstanden?« Er drückte mich ganz fest an sich. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Solche innigen Geschwistermomente waren selten.

»Das Angebot kann ich nicht ausschlagen. Aber wo schläfst du dann?« Ich löste mich ein wenig aus seiner Umklammerung. Warum er jetzt so einen Aufstand machte, verstand ich nicht, aber mir sollte es nur recht sein. So ganz wollte ich nämlich nicht mehr in meinem Zimmer schlafen.

»Ich schlafe auf dem Boden, wenn dir das lieber ist. Oder in Silas' Zimmer. Aber am liebsten würde ich mich bei dir in mein Bett kuscheln.« Das hatten wir schon lange nicht mehr gemacht, inzwischen waren wir älter geworden. Aber Geschwister blieben nur Geschwister, da sollte ich nicht weiter drüber nachdenken.

»Mach, was du besser findest. Ich bin müde, lass mich ins Bett gehen«, murmelte ich müde. Mio brachte mich unter brüderlicher Fürsorge ins Bett, drückte mir einen sanften Kuss auf die Stirn und verließ dann sein Zimmer. Silas fand das immer furchtbar albern, aber er war auch nur wenig älter als ich. Mio kannte die knarzenden Stufen nicht mehr ganz so gut und trat auf seinem Weg ins Wohnzimmer auf die Lauteste. Ich grinste in mich hinein.

Der Tag war wohl doch anstrengender als ich dachte, denn meine Augenlider wurden schnell immer schwerer und schwerer. Meine Gedanken rückten in die Ferne und ich gab mich der Müdigkeit hin.

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