Düstere Vergangenheit

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Steve PoV:
Steven merkte, wie er unbewusst den Atem angehalten hatte und stieß ihn ruckartig aus. Er sah zu Rick, der wirkte, als wäre er versteinert worden. Die Worte hallten auch in ihm nach. "Am kommenden Mittwoch ist der erste Todestag meiner großen Liebe", hatte Dennis gesagt, mit tiefer, ernster Stimme. Es wirkte, als hätte er seit einem Jahr nicht darüber gesprochen.

Zitternd zog Steven Rick am Ellenbogen zu sich auf die Couch, auf seinen Schoß. Er brauchte diese Nähe jetzt. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf, wie so etwas passieren konnte. Vorsichtig legte er den Kopf an Ricks Schulter.
"Oh Gott", flüsterte Dominik geschockt.

Dennis nickte. "Es war eine ähnliche Nacht, wie die, in der ihr" - er machte eine Handbewegung zu Rick und Steven - "mich gefunden habt. Nur weitaus brutaler." Dennis seufzte, dann sprach er weiter. "Er hieß Lukas. Wir kannten uns da seit etwa drei Jahren. Ich hatte ihn in einem Club kennen gelernt, in dem ich zu der Zeit gekellnert habe. Das war kurz, bevor ich angefangen hab', zu studieren. Er war mein erster fester Freund." Bei der Erinnerung huschte ein Grinsen über Dennis' Gesicht, bevor es sich wieder verdüsterte.
Unterbewusst legte Steven einen Arm fest um Ricks Mitte. Er wusste, wovon Dennis sprach. Die erste Liebe vergisst man eben nie.
"Seine Eltern waren leider von Anfang an gegen die Beziehung. Es lag weniger daran, dass ich ein Mann war, als daran, dass ich Kunst studierte und nebenbei kellnerte. Das war ihnen nicht genug. Lukas war Ingenieur und auf dem besten Weg, die Firma seines Vaters zu übernehmen. Ich war in ihren Augen weniger wert." Dennis' Stimme wurde bitter. Es brach Steven das Herz, ihn so zu sehen.
"Tja, aber Lukas und ich haben uns geliebt. Er brach kurzerhand mit seinem Vater und zog zu mir. Wir waren glücklich, drei wunderschöne Jahre lang. Er konnte weiterhin in seinem Beruf arbeiten und bekam eine gute Stelle. Am Wochenende gingen wir oft feiern oder er war in den Clubs und Bars unterwegs, in denen ich arbeitete. Doch irgendwann lernten wir ein paar sehr unangenehme Leute kennen."

Dominik und Marti sahen ihn aus großen Augen an. Hatten Sie eine Ahnung, was jetzt kam? Vielleicht. "Ich wusste, dass Lukas gerne mal einen rauchte, vor allem, wenn er betrunken war. Solange das nur gelegentlich vorkam, war dagegen ja auch nichts einzuwenden. Aber irgendwann wurde es häufiger. Ich verstand erst nicht, warum, aber eines Tages lernte ich Lukas' Dealer kennen. Er dealte ausgerechnet in dem Club, in dem ich zu der Zeit an der Bar arbeitete." Dennis schüttelte den Kopf. "Hätte Lukas doch nur mal mit mir gesprochen! Verdammt, ey." Jetzt schlichen sich Tränen in Lukas Augen und Rick stand auf, um ihm vom Nachttisch ein Taschentuch zu holen.
"Danke", sagte er mit belegter Stimme. Er räusperte ich und atmete einige Male tief durch, ehe er weitererzählte. "Naja, dieser Typ war mir von Anfang an nicht geheuer. Jedes Mal, wenn Lukas da war, drehte er ihm irgendwas an. Meistens Gras. Manchmal aber auch lustige Pillen. Ich sagte ihm, dass er die Scheiße lassen soll. Und, was meint ihr, wie er wohl reagiert hat?"
Die anderen antworteten nicht, sie wussten, dass die Frage rhethorisch gemeint war. "Er hat gelacht. Hat gesagt, ich hätte ja keine Ahnung, worauf mein Lukas so stehen würde. Also hab' ich Lukas eines Tages zur Rede gestellt. Er sagte, dass er den Dealer schon lange kennen würde und der habe ihm bisher immer nur gutes Zeug verkauft. Und dann -" Wieder stockte Dennis. Jetzt kam wohl der grausame Teil.

"Dann habe ich Lukas vor die Wahl gestellt. Habe gesagt, entweder die Drogen oder ich. Und er hat sich für mich entschieden. Klar, wir waren ja auch verliebt. Also sind wir wieder in den Club, ein paar Tage später und Lukas hat seinem Dealer 'Leb wohl' gesagt. Der tat total verständnisvoll, im Rückblick natürlich 'ne Masche, und bot mir an, dass er mir 'nen besser bezahlten Job in einer anderen Bar besorgen würde. Da würde auch nicht so viel gedealt werden. Hätte ich das Angebot doch nur ausgeschlagen!"

Verzweifelt vergrub Dennis das Gesicht in den Händen. Er gab sich wirklich selbst die Schuld an dem, was geschehen war! Steven schüttelte ungläubig den Kopf. Sanft legte er Dennis die Hand auf die Schulter.
"Sorry. Geht schon wieder. Auf jeden Fall hab' ich dann in der neuen Bar angefangen. Ich wusste ja nicht, dass die Leute da Schwule eher nich' so geil finden. Woher hätte ich das auch wissen sollen? Ich dachte mir, der Dealer kennt uns ja, der wird schon wissen, was er mir da anbietet. Wusste er auch. 'nen Club, in dem lauter rechtes Gesocks unterwegs war." Dennis lachte hart auf. Den anderen war absolut nicht nach Lachen zumute. Stumm und mit aufgerissenen Augen sahen sie Dennis an.
"Gemerkt hab' das natürlich erst, als es schon zu spät war. Als alle wussten, dass ich 'schwul' war und Lukas mein Freund. Er war immer noch regelmäßig in der Bar, als ich arbeiten musste. Tja und eines Abends war es so richtig schön pickepackevoll und gegen Mitternacht meinte mein Chef so, ich solle Feierabend machen. Da hätte ich stutzig werden müssen. Immerhin war noch so richtig viel los!" Dennis schüttelte den Kopf, als würde er sich selbst für ziemlich dumm halten.
"Aber, wer sagt schon nein, wenn der Chef dich nach Hause schickt? Also hab' ich meinen Kram gegriffen, mir Lukas gepackt und wollte gehen. Weil der Barraum so unfassbar voll war, bin ich mit ihm hinten durch den Personaleingang raus. Und da haben sie auf uns gewartet, auf dem Hinterhof." Dennis' Stimme brach. Er schüttelte wieder den Kopf, dieses mal wirkte er verzweifelt.

"Hey, du musst das nicht nochmal durchleben", flüsterte Marti vorsichtig. Dennis sah ihn aus tränennassen Augen an. "Nein, ich will, dass ihr das wisst. Dass ihr wisst, worauf ihr euch hier eingelassen habt", erklärte er. Er strich sich durch die Haare, dann sprach er weiter. "Zuerst waren es nur vier große Typen, alle mit Baseballschlägern. Sie umringten uns und drängten uns gegen die Wand. Nach einer Weile kamen immer mehr dazu, am Ende müssen es ungefähr zwanzig oder so gewesen sein. Die anderen vorne in der Bar haben eine Randale gemacht, dass uns hinten natürlich niemand schreien gehört hat. Zuerst haben sie sich Lukas vorgeknöpft. Zwei haben mich gepackt und festgehalten, währen die anderen auf ihr eingeprügelt und eingetreten haben. Einer von denen hat mir die ganze Zeit erzählt, wie krank und pervers wir doch seien. Und wie wenig wert, natürlich. Ihr könnt euch sicher denken, was die so gesagt haben." Er sah Rick und Steven an, die nickten.
Natürlich konnten sie das, sie hatten es ja selbst gehört, vor gar nicht allzu langer Zeit. "Tja, irgendwann ist Lukas bewusstlos auf dem Boden zusammengesackt. Er blutete stark und hatte einige gebrochene Knochen. Dann kamen zwei von den Typen mit ihren Baseballschlägern auf mich zu. Ich dachte, jetzt ist es vorbei. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was dann passiert ist. Ich glaube, sie haben mich im Bauch getroffen und am Oberschenkel. Dann weiß ich nur noch, wie sie mich fallen gelassen haben und weggerannt sind."

Rick PoV:
Dennis schluckte. Rick war sich nicht sicher, ob er hier etwas ausgelassen hatte, aber eigentlich glaubte er es nicht. "Das nächste, was ich weiß, ist, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Das war sonntags. Der Überfall war in der Nacht von Freitag auf Samstag gewesen. Die Schwestern erzählten mir, dass die Polizei zufällig in der Gegend gewesen sei und dann den Lärm von der Bar gehört hatte. Die Schweine haben sich natürlich verpisst, als sie die Bullen gehört hatten. Und uns haben sie einfach liegen lassen, mitten im November. Es war wohl ein Wunder, dass wir nicht drauf gegangen sind, schon in der Nacht. Ich hatte damals nur ein paar Prellungen und einen Muskelfaserriss im Bauch. Nichts, was nicht wieder heilen würde. Doch Lukas sah nicht so gut aus. Er lag auf der Intensivstation."

Rick schluckte. Das klang so falsch! Dennis war so ein netter Typ, er tat keiner Fliege was zu leide! Warum passierte immer den besten Menschen so eine Scheiße?!

"Ich wollte natürlich sofort hin, doch ich durfte nicht. Seine Eltern hatten es untersagt. Ich ging natürlich trotzdem hin. Lukas' Vater war dort und warf mir vor, am Elend ihres Sohnes Schuld zu sein. Er hatte schwere Knochenbrüche, ein Schädel-Hirn-Trauma und lag wohl im Koma. Ich durfte mich noch nicht einmal von ihm verabschieden!"
Jetzt war es um Dennis' Selbstbeherrschung geschehen. Er schluchzte hemmungslos. Rick rutschte von Stevens Schoß herunter und hockte sich wieder vor ihn. "Hey, Dennis. Scht, es ist okay. Lass es raus. Wir sind ja da", flüsterte Dominik und legte einen Arm um Dennis' bebende Schultern. Steven holte weitere Taschentücher und nach einigen Minuten beruhigte Dennis sich wieder.

"Entschuldigt bitte", flüsterte er und putzte sich die Nase. "Du brauchst dich nicht entschuldigen. Du hast Schreckliches durchgemacht", erwiderte Steven kopfschüttelnd. Rick nickte. "Steven hat Recht. Dass du dich überhaupt so gut beherrschen kannst, grenzt an ein Wunder!" Dennis lächelte vorsichtig. "Danke, Jungs. Also, nachdem sein Vater mich weggeschickt hatte, siechte ich nur noch vor mich hin. Es gab' eine sehr nette Schwester, Carol, die sich sehr lieb um mich gekümmert hat. Sie hat mir auch immer Infos zu Lukas' Zustand gebracht. Bis zum Mittwoch drauf. Carol kam spät zu mir, ihre Miene verhieß nichts Gutes. Sie wirkte auch so, als müsse sie sich extra gut um mich kümmern. Sie sagte mir dann, dass Lukas am Mittwochmorgen gestorben war."

Dennis sprach nicht weiter. Er atmete heftig, zitterte und wirkte irgendwie apathisch. Rick und die andern saßen neben ihm, waren einfach da. Abwechselnd strichen sie ihm beruhigend über den Rücken oder die Knie.
Nach einer Weile sah er Rick an. "Kann ich hier schlafen?", fragte er leise. Rick nickte. "Natürlich. Dominik und Marti sind hier. Und Steven und ich sind zwei Etagen tiefer. Wir lassen dich nicht allein", antwortete Rick, stand auf und gab ihm frische Klamotten.
"Sag' einfach Bescheid, wenn du was brauchst."

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Wer weiß, wer Carol ist, bekommt einen Keks! ;)

2 Boys 1 Love - zwei Frösche in der RealitätWo Geschichten leben. Entdecke jetzt