Wie alles begann

1.9K 60 24
                                    

"Laurisss!" Die Stimme ist direkt hinter mir. "Laurisss!" Mit rasselndem Atem stolpere ich vorwärts. Meine Lunge droht zu platzen. "Laurisss!" Mein Fuß verfängt sich in einer Schlingpflanze. Unsanft schlage ich auf dem Boden auf. Doch sofort bin ich wieder auf den Beinen. Ich muss hier weg! "Laurisss!" Die Stimme kommt immer näher. Ich weiß nicht wer oder was da meinen Namen ruft, doch ich kann den Atem dieses Etwas im Nacken spüren. Meine Füße werden immer schwerer. Mit großer Mühe weiche ich Baumstämmen aus und springe über Felsbrocken, die wie aus dem Nichts auftauchen. Es raschelt zu meiner Linken. Reflexartig mache ich einen Satz nach rechts und sprinte weiter. Langsam, so kommt es mir vor, hänge ich meinen Verfolger ab. Die Stimme wird leiser. Ich werde langsamer. Meine Lunge brennt wie Feuer. Kurz wage ich einen Blick nach hinten. Nichts. Nur Bäume und Dunkelheit. Ich drehe meinen Kopf wieder herum, um auf den unebenen Boden achten zu können. Doch plötzlich ist dort kein Boden mehr. Unter meinen Füßen tut sich ein Abgrund auf. Ein großes, weites Nichts. Und da merke ich, wie ich falle. Mir entfährt ein letzter Schrei. Dann wird alles schwarz.

Panisch reiße ich die Augen auf. Fahles Licht dringt durch die Vorhänge meines Fensters. Ich zittere am ganzen Körper. Was war das nur für ein Traum? Hellwach setze ich mich im Bett auf. Es ist still im Haus. Meine Eltern werden sicher noch schlafen. Wenn sie überhaupt können. Wenn sie nicht das wach hält, das mir schon seit Monaten panische Angst macht. Die Ernte. Dieses Jahr bin ich zum fünften Mal dabei. Das heißt ich bin 16 Jahre alt. In anderen Distrikten, wie zum Beispiel in Eins freuen sich die Jugendlichen schon das ganze Jahr über auf diesen Tag. Nicht so in Distrikt Zwölf. Meinem Distrikt. Bei der Ernte gezogen zu werden, ist für uns hier das Gleiche, wie sein eigenes Todesurteil zu unterschreiben. Wieso? Ich will es erklären. Vor vielen Jahren, da entstand aus den Trümmern des damaligen Amerikas, Panem. Ein zerstörtes und verwüstetes Land. Doch unsere Vorgänger schufen ein neues Zuhause für alle. Das Kapitol und seine Dreizehn Distrikte. Das Kapitol war die Regierung von Panem und herrschte von seiner Position aus über alles. Die Distrikte lieferten ihm Rohstoffe, Nahrung und einiges mehr. Doch es blieb nicht friedlich. Das Kapitol fing an die Distrikte zu unterdrücken. So begann der Aufstand. Ein weiterer Krieg. Die Distrikte gegen das Kapitol. Es war ein grausamer Kampf. Letztendlich konnte das Kapitol den Kampf für sich entscheiden. Es unterwarf zwölf Distrikte und löschte den dreizehnten aus. Aber dabei blieb es nicht. Damit die, wie das Kapitol sie nannten, "dunklen Tage" nie in Vergessenheit geraten würden, wurde eine neue Regel erschaffen. Die Hungerspiele wurden ins Leben gerufen. Jedes Jahr musste jeder der zwölf Distrikte einen männlichen und einen weiblichen Tribut zwischen zwölf und achtzehn Jahren auslosen. Diese vierundzwanzig Jugendlichen bekamen ein paar Tage des Trainings im Kapitol und wurden dann in eine Arena gebracht, wo sie sich bis auf den Tod bekämpfen mussten. Nur ein Überlebender war erlaubt. Dieser durfte anschließend wieder zurück in seinen Distrikt kehren, wurde mit Reichtümern überschüttet und war das restliche Leben von den Spielen befreit. Die Distrikte Eins, Zwei und Vier hatten es am besten. Da sie kaum an der Rebellion gegen das Kapitol beteiligt waren, wurden sie von diesem von Anfang an bevorzugt. Die Kinder dort bekommen bereits in sehr jungem Alter ein professionelles Training. Sie werden Karrieros genannt und praktisch zum Töten erzogen. Anschließend melden sie sich freiwillig um an den Hungerspielen teilnehmen zu dürfen. Sie sind sehr gut und fast jedes Jahr gewinnt ein Tribut aus einem dieser drei Distrikte. Die Kinder aus den anderen Distrikten dagegen haben kaum Training. Vor allem wir aus Zwölf. Zwölf ist der letzte und vor allem der ärmste Distrikt. Hier ist mehr als ein Dreiviertel der Bevölkerung unterernährt. Deshalb bedeutet für uns die Teilnahme an den Hungerspielen den fast sicheren Tod.

Catos Wirklich Wahre Geschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt