Zuhause

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Weiche Hände streichen mir über die Wange und ich vernehme den Geruch von Veilchen, der meine Mutter immer umgibt. Wie lange habe ich geschlafen? Gestern ist es sehr spät geworden. Ich öffne die Augen und sehe, wie sich Mutter über mich beugt. "Lauriss da ist jemand am Telefon unten in der Küche, der dich unbedingt sprechen will." Sofort bin ich hellwach. Ich springe aus meinem Bett und sprinte die Treppen hinunter. Unten wartet mein Vater mit dem Telefon in der Hand. Eilig nehme ich ihm den Hörer ab, der an einem Kabel befestigt ist. "Cato?", rufe ich aufgeregt. "Hey Siegerin.", höre ich seine wunderbare Stimme. "Hey." Ich lächle. "Wie geht's dir?", fragt Cato. "Gut. Ich bin froh wieder daheim zu sein. Und dir?" "Bestens. Aber ich glaube, dein Vater war nicht sehr erfreut darüber, dass ich mich hier melde." Ich sehe vorwurfsvoll zu meinem Vater, der mich aufmerksam mustert. "Tut mir leid Cato.", sage ich betont langsam. "Er ist immer so, wenn es sich um Jungs handelt. Bei Gale war er nicht anders." Ich höre Cato lachen. "Ich mache ihm keinem Vorwurf. Bin ja schließlich ein Karriero. Schätze mal die sind bei euch nicht sehr beliebt." "Nein, wirklich nicht.", gebe ich zu. "Wie war dein Tag gestern noch?", wechselt Cato das Thema und ich beschreibe ihm das Wiedersehen kurz. "Und bei dir so?" "War ziemlich interessant gestern.", erzählt er. "Meine Eltern sind sehr stolz auf mich und Clove... naja sie zieht mich mit der Liebesgeschichte auf." Ich lächle. "Geschwister." Mein Vater starrt mich weiter an. "Geh weg.", zische ich. Meine Mutter, die ebenfalls gerade in der Tür erscheint, zieht meinen Vater am Arm aus dem Raum. Catos Lachen dringt aus dem Hörer. "Denke mal dein Vater kann mich wirklich nicht leiden." Lächelnd sehe ich aus dem Fenster. "Ich vermisse dich Cato." "Ich dich auch Zwölf." Jemand ruft im Hintergrund Catos Namen. "Clove halt die Klappe!", knurrt er. Plötzlich höre ich, wie Cato das Telefon entwendet wird. "Clove!" Catos wütende Stimme ist gut zu vernehmen, doch Clove scheint Cato nicht an den Hörer zurückzulassen. "Zwölf?" Eine weibliche Stimme dringt durch den Hörer. "Zwei?" "Na da hast du dir ja den Richtigen ausgesucht!", ruft Catos Schwester. Cato hinter ihr flucht. Ich lache. "Im positiven oder negativen Sinn?" "Suchs dir aus- vergiss es Cato!" Amüsiert lausche ich, wie die beiden Geschwister um das Telefon ringen. "Eigentlich finde ich die Außenseiter ja eher langweilig!", ruft Clove. "Schwester ich warne dich!" Clove nimmt keine Notiz von Cato. "Aber du scheinst ganz in Ordnung zu sein." "Danke, danke." Clove lacht belustigt. "Ich bring dich um.", fährt Cato sie an. Anscheinen hat er endlich den Kampf um den Hörer gewonnen, denn nun ist seine Stimme wieder so klar wie vorher. "Tut mir leid Lauriss." "Schon gut." Ich lache. "War lustig." "Clove ist nur immer noch ziemlich ungläubig, dass ich mich wirklich richtig auf jemanden eingelassen habe." "Ich glaube das geht meinem Vater genauso." Beide müssen wir lachen. "Na gut, ich hör jetzt auf.", sagt Cato dann. "Ich gehe jetzt noch zu meinen Freunden und am Abend ist noch das Siegeressen beim Bürgermeister." Ich stöhne auf. "Das hatte ich ja total vergessen. Verdammt." Cato seufzt. "Also. Wir hören uns. Ich liebe dich meine Kämpferin." "Ich dich auch Cato. Bis bald." "Bis bald." Dann legt er auf.

Wir sitzen im Wald. Katniss, Gale und ich. Wie schon so oft. Doch irgendwie fühle ich mich seltsam. Es ist klar zu sehen, dass Gale nicht zufrieden ist, mit dem was er im Fernsehen gesehen hat. Er verabscheut Cato und meine Gefühle zu ihm. Und ich kann es ihm nicht einmal verübeln. Gale sieht zu Katniss. Ich weiß, dass er heimlich Gefühle für sie hegt. Aber das behalte ich für mich. Wer weiß, welche Auswirkungen es auf ihre Freundschaft hätte, wenn Katniss davon wüsste. Sie will keine Beziehung eingehen und ich will keinen Streit vom Zaun brechen. Die Freundschaft mit den beiden ist mir verdammt kostbar. Katniss legt den Bogen beiseite. "Wann musst du beim Abendessen im Haus des Bürgermeisters sein?" "Um Sieben.", gebe ich zurück. "Vielleicht kannst du ja mit." Katniss ist bei den Undersees, so heißt die Familie des Bürgermeisters, ziemlich beliebt. Sie verkauft ihnen immer das Fleisch unserer Jagd und versteht sich gut mit Madge, der Tochter des Bürgermeisters. "Denke nicht.", sagt Katniss. "Da sind nur wichtige Leute dabei." Ich schweige. Wahrscheinlich hat sie recht. "Wir sollten noch ein bisschen jagen gehen.", meint Gale. Katniss nickt. Wir stehen auf. Bevor jemand der beiden etwas sagen kann, umarme ich sie. "Ich bin so froh euch zu haben." "Nein, wir sind so froh dich zu haben.", murmelt Katniss leise. Gale drückt uns kurz. "Und wir sind so froh, dass du wieder da bist.", sagt er. "Unversehrt." "Ich konnte euch doch nicht alleine lassen." Sanft lächle ich. Katniss und Gale erwidern mein Lächeln. "Na kommt.", meint Gale dann. "Lasst uns jetzt jagen gehen. Vielleicht fangen wir noch was, bevor Lauriss los muss um sich schick zu machen." "In Ordnung, Hawthorne.", sage ich und Katniss lacht. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg.

Nach der Jagd brechen Katniss und Gale zum Hob auf. Ich hingegen statte Haymitch einen Besuch ab. Da ich mich ihm gegenüber etwas schuldig fühle, habe ich ein Eichhörnchen für ihn aufbehalten. Vor Haymitchs Tür bleibe ich stehen und klopfe. Niemand antwortet. "Haymitch?" Aber auch auf mein Rufen hin öffnet niemand die Tür. Also trete ich einfach ein. Der Gestank von Alkohol empfängt mich schlagartig. Meine Augen beginnen zu tränen und ich muss blinzeln. Der Gang vor mir ist zugemüllt mit allerhand Sachen. Eilig bahne ich mir einen Weg durch das Gerümpel. Am Tisch im Esszimmer, das bis auf die Unordnung, so aussieht wie unseres, sitzt Haymitch, den Kopf auf der Tischplatte und eine Flasche in der Hand. "Haymitch.", sage ich laut. Mein Mentor zuckt zusammen und springt so ruckartig auf, dass der Stuhl, auf dem er sitzt einen knappen Meter nach hinten fliegt. Erst jetzt sehe ich das Messer in seiner Hand und weiche zurück. "Spinnst du?", fährt Haymitch mich an, nachdem er sich einigermaßen beruhigt hat. "Tut mir leid.", gebe ich zurück. "Wusste ja nicht, dass du so schreckhaft bist." Haymitch stellt den Stuhl wieder auf und setzt sich. "Das wirst du auch sein, jetzt nach den Spielen." Ich presse die Lippen aufeinander. Er hat voll ins Schwarze getroffen. Wir beide werden unser Leben lang mit der Angst klar kommen müssen. Mit dem Gefühl, ständig in Gefahr zu sein und die Arena nie wirklich verlassen zu haben. Mit ein wenig mehr Kraft als beabsichtigt, werfe ich das tote Eichhörnchen vor Haymitch auf den Tisch. "Dachte du möchtest auch ein wenig frisches Fleisch." Haymitch mustert das Tier. "Mir wäre zwar eine Flasche klarer Schnaps lieber gewesen, aber trotzdem danke." Ich nicke ihm knapp zu. "Du solltest wirklich ein Bad nehmen, Haymitch." Er knurrt missgelaunt. "Kümmer dich um deinen Kram Schätzchen." Seufzend gebe ich es auf, eine Unterhaltung mit Haymitch anzufangen. "Ich geh dann mal wieder. Man sieht sich." Gerade, als ich auf den Gang hinaustreten will, höre ich Haymitch meinen Namen sagen. Ich drehe mich noch einmal zu ihm um. "Was gibt's?" "Ich hoffe du weißt, dass Snow wütend ist. Er wollte niemals zwei Sieger haben. Er wurde mehr oder weniger dazu gezwungen euch am Leben zu lassen." Kurz bricht Haymitch ab. "Wenn das Volk hinter dir steht, bist du eine Gefahr Lauriss." Ich starre ihn an und merke, dass ich bleich werde. "Nimm dich in acht." Haymitch sieht mich eindringlich an. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Plötzlich ist mir speiübel. "Danke Haymitch. Werde ich tun.", bringe ich nur hervor. Dann mache ich auf dem Absatz kehrt, stürme aus seinem Haus und schlage die Tür hinter mir zu. Anschließend lehne ich mich keuchend dagegen. Ich wusste es. Natürlich wusste ich es. Snows Blick hat mir alles gesagt. Und doch habe ich es ignoriert, aus Angst, es könnte wahr sein. Ich schließe kurz die Augen. Meine Beine sind zittrig geworden. Cato! Ich muss mit ihm sprechen! Aber das kann ich nicht. Wahrscheinlich hören die wichtigen Leute im Kapitol unsere Gespräche mit. Wahrscheinlich haben sie auch dieses Gespräch hier mit Haymitch belauscht. Zitternd lehne ich meinen Kopf gegen das kühle Holz. Es war mir von Anfang an klar. Seitdem ich die Arena verlassen habe. Cato und ich haben gewonnen. Aber wir sind immer noch in Gefahr. Wir sind immer in Gefahr. Die Spiele sind nicht vorbei.

Catos Wirklich Wahre Geschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt