Kälte

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Ich falle. Mir bleibt die Luft weg. Der Wind treibt mir Tränen in die Augen und ich sehe nur noch das Wasser und die tödlichen Felsen unter mir. Sie rasen auf mich zu. Mir bleibt keine Zeit zu hoffen, nicht auf den Steinen aufzuschlagen. Das Wasser umfängt mich, ehe ich damit rechne. Die letzte Luft wird aus meinen Lungen gepresst. Wie Millionen kleine Dolche sticht das eisige Wasser in mein Fleisch. Es ist so kalt. Erneut beginne ich mich zu bewegen. Ich habe die Felsen verfehlt. Doch nun droht eine neue Gefahr. Ein Strudel packt mich und zieht mich weiter unter Wasser. Die Eiseskälte lässt meine Muskeln lahm werden. Panisch und mit hektischen Bewegungen versuche ich wieder an die Wasseroberfläche zu kommen. Die Kälte lähmt mich immer weiter. Da spüre ich, wie der Strudel mich loslässt. Jede Bewegung kostet mich Kraft. Endlich bricht mein Kopf durch die Wasseroberfläche und ich ringe nach Luft. Ich muss hier raus! Ich spüre meine Arme, meine Beine, meine Finger und Zehen nicht mehr. Irgendwie schaffe ich es, mich an einem Felsen festzuhalten. Doch ich rutsche ab und werde mit voller Wucht gegen den nächsten gespült. Meine Rippen machen sich schlimm bemerkbar. Verzweifelt kralle ich meine gefühllosen Finger um den Felsen. Ich bekomme eine kleine Nische im Fels zu fassen und ziehe mich hoch. Ein Stück weit schaffe ich es, mich aus dem Wasser zu heben, falle jedoch wieder zurück. Mir wird bereits schwindelig. -Komm schon Lauriss. Nochmal.- Kurz verharre ich in der Bewegung. Dann nehme ich meine letzte Kraft zusammen und ziehe mich hoch.

Hustend und starr vor Kälte liege ich auf dem Felsen. Ich friere so stark, wie ich noch nie in meinem Leben gefroren habe. Irgendwann komme ich auf. Vor mir ist eine kleine Öffnung im Fels. Mit starren Gliedern klettere ich in die Höhle. Dort werfe ich den Rucksack und den Köcher von meinem Rücken. Ich reiße den Rucksack auf und hole eine völlig durchweichte Decke heraus. "Nein! Nein! Verdammt!" Erneut werfe ich einen Blick in den Rucksack. Alles ist völlig mit Wasser vollgesogen. Nur der Käse, das Fleisch und die Salbe sind verschont geblieben. Der Fallschirm, in den ich diese drei Sachen gewickelt habe, ist anscheinend wasserdicht. Und dort! Ebenfalls in den Fallschirm gewickelt, befinden sich Streichhölzer, die ein weiteres Geschenk von Cato waren. Kurz wird mir wieder schwindelig und die Schmerzen in meiner Seite kommen mit voller Wucht zurück. Der Rucksack rutscht mir aus den Händen und ich kauere mich zusammen. Plötzlich überkommt mich eine bleierne Müdigkeit. -Nicht einschlafen. Bloß nicht einschlafen.- Ich schlinge die Arme fest um meinen Körper. -Steh auf.-, befehle ich mir selbst. Mühevoll komme ich wieder auf die Beine. In der Höhle wächst Gras. Mit steifen Fingern reiße ich mehrere Büschel Gras aus und lege sie in die Mitte der Höhle. Ich sammle noch etwas mehr und lege auch Moos und Wurzeln dazu. Dann entzünde ich den kleinen Haufen mit den Streichhölzern. Zittrig lege ich die Jacke und die Decke dicht an das Feuer und werfe noch etwas Gras hinein. Holz kann ich später holen und sobald die Jacke einigermaßen trocken ist, werde ich meine Kleidung ans Feuer legen. Anschließend zwinge ich mich dazu, mich zu bewegen. Ich gehe hin und her und reibe meine Finger gegeneinander. Es ist so kalt. Mein Blick fällt auf den Köcher, der triefnass auf dem Boden liegt. Der Schaumstoff im Köcher, der dafür sorgt, dass keine Pfeile verloren gehen, hat seine Arbeit gut getan. Alle Zehn Pfeile sind noch da. Ich verschiebe den Gedanken an den Pfeil, den ich im Schädel des Jungen aus Eins stecken lassen habe. Wieder wird mir schwindelig und ich lasse mich vorsichtig am Feuer nieder, das bereits einigermaßen brennt. Ob Zwei noch nach mir sucht? Hat sie Cato und Vier benachrichtigt? Und Cato? Was wird er denken, wenn Zwei ihm erzählt, dass ich in den Fluss gesprungen bin. Wahrscheinlich ist es ihm egal. Es kann ja schließlich nur einen Gewinner geben.

Ich kann mich kaum mehr rühren, als Jacke und Decke endlich trocken sind. Es kostet mich sehr viel Überwindung mich bis auf die Unterwäsche auszuziehen und die nassen Sachen ans Feuer zu legen. Schuhe und Socken platziere ich daneben. Dann schlüpfe ich, nur in Unterwäsche, in meine Jacke und wickle die Decke so fest um mich, wie ich kann. Bibbernd sitze ich da und starre in die Flammen. Erneut werde ich müde. Immer wieder nicke ich für eine Weile ein. Irgendwann gebe ich es auf, wach bleiben zu wollen und schließe bewusst die Augen. Percy taucht vor meinem inneren Auge auf. Verdammt, ich vermisse ihn so sehr. Und er wird nie wieder kommen. Nie wieder. Was würde er zu meiner jetzigen Lage sagen? Was würde er dazu sagen, dass ich immer noch am Leben bin? Wie würde er reagieren, wenn er erfahren würde, dass ausgerechnet Cato mein Leben gerettet hat? Fragen über Fragen, deren Antworten ich nie erfahren werde. Mein Verbündeter ist tot. Das Knirschen von Schritten holt mich zurück in die Gegenwart. -Zwei!-, schießt es mir durch den Kopf. Sie muss hier ganz in der Nähe sein. Bald wird sie den Schein des Feuers sehen und mich finden. Ich muss schneller sein! Das Messer liegt am Feuer neben meiner Kleidung. Den Bogen habe ich nicht mehr, also muss ich damit angreifen. Ich streife die Decke ab und ziehe die Jacke über die Oberschenkel. Dann greife ich das Messer und schleiche barfuß zum Höhleneingang. Stumm ducke ich mich in den Schatten. Es ist bereits dunkel geworden. Die Schritte kommen von links. Kurz verharren sie. Zwei hat das Feuer bemerkt. Ich drücke mich gegen den eiskalten Felsen, der mich hoffentlich vor ihrem Blick bewahren wird. Da kommt die Gestalt zum Vorschein. Es ist so dunkel, dass ich sie nur an den Bewegungen erkenne. Jeder Muskel in meinem Körper ist angespannt, die Kälte fast vergessen. Noch ein Stück lasse ich Zwei weitergehen. Ihre Gestalt wird noch nicht vom Licht des Feuers beschienen. Sie kommt näher. Noch zwei Schritte, einen. Ich springe auf, das Messer fest in der Hand. Mit voller Wucht ramme ich die Gestalt und schlage mit dem Messer nach ihr. Zwei fährt erschrocken herum. "Was zum...?!" Die Stimme lässt mich zusammenzucken. Dies nutzt die Person und stößt mich von sich. Ich rapple mich auf. Die Person macht einen Schritt zurück und zieht die Machete. Moment Mal... Machete? Das Licht meines Lagerfeuers fällt auf sie. Fast wäre mir das Messer aus der Hand gerutscht. "Cato?"

Catos Wirklich Wahre Geschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt