Freunde?

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Ein Kanonenschuss ertönt und ich schrecke auf. Cato, der ebenfalls geschlafen hat, tastet nach der Machete. Wer mag das bloß gewesen sein? Langsam setze ich mich auf. Die Salbe und die Tabletten haben wahre Wunder bewirkt. Die klaffende Wunde verheilt bereits. Auch die Schmerzen sind nicht mehr allzu schlimm. Seit drei Tagen bin ich nun hier in der Höhle gefangen. Es wundert mich, wieso die Spielemacher uns alle noch nicht zusammengetrieben haben. Aber nun ist ein weiterer Tribut tot. "Wie viele?", frage ich Cato. Er versteht sofort. "Achtzehn sind schon tot. Es müssen also noch Fünf von uns sterben." Ich antworte nicht. Achtzehn unschuldige Menschen sind bereits tot. Zwei sind durch meine Hand umgekommen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Cato getötet hat. Wie kann er bloß einfach so weiter machen? Wie kann er damit leben? Cato legt sich wieder hin. Bald darauf höre ich ihn gleichmäßig schnaufen. Es ist ihm egal. Ich mustere ihn. Er trägt die zerschnittene Jacke offen und darunter ein rotes Langarmshirt. Seine Brust hebt und senkt sich langsam. Den Kopf hat er auf seinen Rucksack gelegt. Eine Hand liegt auf seiner Brust, die andere auf dem Griff der Machete. Bereit zu töten. Das spärliche Licht, das durch den Höhleneingang dringt, fällt auf sein Gesicht. Im Schlaf wirkt er jünger und weniger bedrohlich. Er sieht ganz anders aus, als die Jungen in meinem Distrikt. Viel muskulöser und er hat eine hellere Haut, als wir in Zwölf. Sein rot-blondes Haar unterscheidet sich ebenfalls von dem der Menschen aus meinem Distrikt. Dort gibt es nur wenige Menschen mit hellen Haaren, wie beispielsweise Katniss Schwester Prim und deren Mutter und ich zähle vielleicht auch noch dazu, mit meinem hellbraunen Haar.

Ich mustere ihn lange, bis mir Haymitchs Zettel wieder einfällt. Ärgerlich wende ich meinen Blick von Cato ab. Was fällt Haymitch eigentlich ein, zu denken, Cato und ich wären sowas wie ein Paar? Ganz sicher nicht! Und wenn die Leute im Kapitol darauf hoffen, haben sie Pech gehabt. Langsam werde ich richtig wütend. Ich werfe einen vernichtenden Blick gen Höhlendecke und hoffe, dass mich eine Kamera einfängt und Haymitch mich sieht. Ich kann mir fast vorstellen, wie er zu grinsen anfängt. Verächtlich lehne ich mich gegen die Höhlenwand. Noch nie hatte ich etwas für Liebe übrig. Das wird sich auch nicht ändern. Vor allem nicht hier! Schließlich geht es ums nackte Überleben.

"Lauriss." Ich reiße die Augen auf. Cato hält mir ein großes Stück Käse unter die Nase. Stumm nehme ich es entgegen. "Das Mädchen aus Drei ist tot.", erklärt er mir, während ich esse. "Habs heute Nacht am Himmel gesehen." Wir sehen uns kurz an. "Hast du Durst?", fragt er plötzlich. "Ich... äh... ja.", stottere ich. Er reicht mir eine Flasche Wasser. Lange ist es still. Erst jetzt fällt mir auf, dass er mich beim Namen genannt hat.

Irgendwann gebe ich mir einen Ruck. "Ich sollte wohl mal versuchen aufzustehen." Cato mustert mich. "Einen Versuch wäre es wert." Vorsichtig stütze ich mich an der Höhlenwand ab. Ein heftiger Schmerz durchzuckt meinen Körper und ich fahre zusammen. Cato bleibt an die Höhlenwand gelehnt sitzen. Zum Glück ist die Höhle groß genug, dass ich mich aufstellen kann. Cato jedoch muss geduckt gehen. "Hat wohl auch seinen Vorteil so klein zu sein.", lacht Cato in diesem Moment. "Halt doch die Klappe!", fauche ich und mache einen Schritt. Ich verziehe das Gesicht. Die Schmerzen sind wieder deutlich spürbar. Aber jetzt stehe ich schon. Nun werde ich nicht aufgeben. Schritt für Schritt kämpfe ich mich vorwärts und schaffe es, an Cato vorbei, aus der Höhle zu kommen. Draußen lasse ich mich auf dem moosigen Waldboden nieder und atme tief durch. Es ist eisig kalt. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich befinde. Mein Blick gleitet zu den Baumkronen, doch es sind keine schwarzen Raben zu sehen. Cato tritt neben mich. Ich sehe ihn an. Er begegnet meinem Blick. "Nicht schlecht."

Auch am nächsten Tag gehe ich eine kleine Runde. Wenn ich den Verband fest genug binde, habe ich sogar kaum mehr Schmerzen. Die Wundermittel aus dem Kapitol verblüffen mich jeden Tag aufs Neue. In Zwölf wäre ich einer solchen Verletzung wahrscheinlich erlegen. Aber allein eine Salbe und ein paar Tabletten aus dem Kapitol reichen aus und ich bin innerhalb einiger Tage wieder auf den Beinen. Nachdem ich ein wenig hin und hergegangen bin, komme ich zurück zur Höhle. Cato, der ebenfalls gerade unterwegs war, sieht auf, als ich die Höhle betrete. "Ich weiß jetzt wos zurück zum Füllhorn geht.", sagt er, nachdem ich mir etwas zu Essen genommen habe. Erstaunt sehe ich ihn an. "Hab nach der Vogelattacke die Orientierung verloren.", brummt er. Kurz sagt keiner ein Wort. Schließlich nehme ich mich zusammen. "Dann geh zu deinen Verbündeten. Du bist mir schon lange nichts mehr schuldig." Cato sieht mich direkt an. "Und du?" "Ich komm schon zurecht. Und außerdem..." Ich verspüre plötzlich einen Stich im Herzen. "Sind wir nur noch zu Sechst. Ich will nicht, dass am Ende nur noch du und ich übrig bleiben." Cato schweigt. "Ich auch nicht.", sagt er dann plötzlich. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer und ich lächle ihn zaghaft an. "Weißt du was?", meint Cato dann. "Ich bleibe noch zwei Tage hier. Dann gehe ich." Ich nicke. "In Ordnung. Und ich werde dich ein Stück begleiten." "Was? Warum?", fragt Cato verwundert. "Vielleicht schaffe ich es auf dem Weg noch, meine Schuld bei dir zu begleichen." Ein Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht. Und diesmal ist es nicht höhnisch oder verächtlich. "Weißt du", murmle ich. "Du bist doch kein so arroganter Mistkerl, wie ich immer dachte." Cato lacht und fährt sich mit der Hand durchs Haar. "Und du bist wohl taffer, als ich dich eingeschätzt habe, Zwölf." Nun muss auch ich lachen. Unsere Blicke treffen sich. Kurz berührt er mit seiner Hand meine. Ich zucke zusammen. Cato zieht seine Hand sofort wieder weg. "Gut dann ist es so abgemacht.", sagt er knapp und steht auf. Total verwirrt sehe ich zu, wie er die Höhle verlässt. Mein Herz schlägt wie verrückt. Dort, wo seine Hand meine berührt hat, spüre ich ein Kribbeln.

Catos Wirklich Wahre Geschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt