Der letzte Tag

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In meinem Traum irre ich durch eine bergige Landschaft. Ich höre die Stimme von Katniss und folge ihr. Mein Herz hüpft vor Aufregung. "Katniss? Lass uns zusammen jagen gehen!" Keine Antwort. Ihre Stimme hallt zwar immer noch an den Wänden wieder, doch sie singt und schenkt mir keine Beachtung. "Katniss?" Plötzlich nehme ich eine Bewegung im Schatten eines Felsens wahr. "Katniss?" Vorsichtig gehe ich auf den Felsen zu. Eine Gestalt stellt sich mir in den Weg. "Wohin so eilig Zwölf?" Cato grinst mich höhnisch an. Ich ignoriere ihn und gehe weiter. Katniss Gesang ist verstummt. Cato packt mich brutal am Handgelenk. "Mich kannst du nicht ignorieren Lauriss. Egal wie sehr du es versuchst. Ich bin die Gefahr in den Spielen!"

Ich schlage die Augen auf. Durch das Fenster dringt noch kein Licht. Müde setze ich mich auf. -Jetzt träume ich auch schon von diesem Idioten-, denke ich gereizt. Ich bleibe lange auf dem Bett sitzen. Traurig starre ich aus dem Fenster in die Dunkelheit. Heute ist der letzte Tag im Kapitol. Morgen werden die Spiele beginnen. Eine einsame Träne rinnt mir über die Wange. Ich vermisse meine Familie, Katniss und Gale. Und egal was passiert. Ich möchte nicht, dass sie mich auf dem Bildschirm sterben sehen.

Langsam geht die Sonne über den Bergen auf. Ein wunderschöner Sonnenaufgang. Ich kann meinen Blick nicht davon wenden. Kurz darauf kommt Effie um mir zu sagen, ich soll mich fertig machen. Heute ist kein Training mehr. Heute ist der letzte Tag im Kapitol. Heute Abend steht allen Tributen ein Interview bevor.

Seufzend stehe ich auf und ziehe mich gemächlich an. Danach gehe ich zum Speisesaal hinunter. Dort sitzen bereits Effie und Haymitch. Sie grüßen mich und ich nehme mir etwas zu Essen. Es dauert nicht lange, da betritt auch Percy den Saal. Er lässt sich neben mir auf einem Stuhl nieder. "Was steht heute alles auf dem Programm?", fragt er in die Runde. "Vormittags bereite ich dich aufs Interview vor, Nachmittags bringt dir Effie noch ein paar Benimmregeln für die Bühne bei und Abends ist dann das Interview. Lauriss du gehst nach dem Essen gleich mit Effie mit", sagt Haymitch. Er hat schon wieder einen Kater. Ich seufze.

"Nein! Nein! Nein!" Effie piekt mir mit ihren langen Fingernägeln in den Rücken. "Rücken gerade, Kinn nach oben und LÄCHELN!" Genervt tue ich was sie sagt. Schon seit zwei Stunden muss ich mit einem bodenlangen Kleid und hochhackigen Schuhen durch den Raum stolzieren. Effie beobachtet mich und findet die ganze Zeit wieder etwas, worüber sie sich aufregen kann. "Du gehst mit diesen Schuhen wie ein Trampel! Versuch es doch mit mehr Eleganz!" Wütend stakse ich umher. Das Kleid schlackert um meine Beine und ich habe Angst jeden Moment draufzutreten und zu stürzen. Bis morgen habe ich mir sicher schon die Beine gebrochen. "Ich bin für sowas nicht geschaffen.", knurre ich. "Ach Quatsch! Und jetzt nochmal", ruft Effie. "Und das Lächeln nicht vergessen!" Krampfhaft versuche ich die Mundwinkel wieder hochzuziehen und dabei nicht auszusehen, als ob ich gerade gefoltert würde.

Endlich ist die Tortur vorbei und ich kann in meinen Alltagsklamotten zum Mittagessen gehen. Doch auch das Training mit Haymitch ist schrecklich. Egal wie sehr ich mich bemühe nett und gut gelaunt zu wirken, ich benehme mich eher so, als würde ich jeden auf der Stelle umbringen wollen. Als Haymitch dann damit anfängt, dass ich auf der Bühne eine Eigenschaft repräsentieren soll, wird meine Laune wenn möglich noch schlechter. "Was kannst du denn von dir sagen, Liebes? Bist du eher gefährlich, geheimnisvoll oder irgendwas anderes?" Ich sehe ihn an. "Ich habe keine Ahnung." Er seufzt. "Dann lass es uns herausfinden."

Die Stunden vergehen und ich werde immer genervter. Wir finden heraus, dass ich weder gefährlich noch geheimnisvoll bin. Auch mit anderen Eigenschaften, wie zum Beispiel mit Freundlichkeit kann ich nicht überzeugen. Irgendwann gibt Haymitch es auf. "Weißt du was? Sei einfach so wie du bist. Das müsste schon gehen." Da ich keine Lust habe noch weiter mit meinem Mentor zu diskutieren, nicke ich und werde von ihm entlassen.

Dann habe ich frei und ich verbringe die Zeit alleine in meinem Zimmer. Erst am späten Nachmittag klopft mein Vorbereitungsteam an meine Tür. Im Nu bin ich herausgeputzt und geschminkt. Das übliche Geschnatter von den Dreien blende ich aus. Schließlich sind sie fertig und machen sich an meinen Haaren zu schaffen. Sie binden sie zu einem komplizierten Zopf, der mir über die rechte Schulter fällt. "Den Rest macht Cinna.", sagt Venia, als ich mit gemachter Frisur, Makeup und in Unterwäsche vor ihnen stehe. "Er müsste jeden Augenblick hier sein." Und tatsächlich. Keine drei Minuten später fliegt meine Zimmertür auf und Cinna tritt hinein. Er sieht aus wie beim letzten Mal und trägt erneut ein Kleid über dem Arm, das in ein Tuch gehüllt ist. Mein Vorbereitungsteam verabschiedet sich und verlässt das Zimmer. "Na dann machen wir dich mal schick für den Abend.", sagt er lächelnd und trotz allem kann ich nicht anders, als zurück zu lächeln.

Ich sitze auf einem Stuhl neben Percy und dem Jungen aus Distrikt Elf. Wir sitzen vor einem riesigen Fernseher, der sich in einem Raum hinter der riesigen Bühne befindet. Caesar Flickerman, der berühmte Interviewer, betritt sie. Die Menschenmenge, die vor der Bühne Platz genommen hat, jubelt laut und Caesar verbeugt sich. Percy dreht seinen Kopf in meine Richtung. Er trägt einen schwarzen Anzug mit roter Krawatte. Sein Haar ist seidig gebürstet und mit Hilfe von Haargel zurückgekämmt. "Aufgeregt?", flüstert er mir zu. Ich nicke. Mein Herz rast und ich habe schweißnasse Hände. "Du?" Percy zuckt mit den Schultern. "Wenn man bedenkt, dass ich morgen um mein Leben kämpfen muss und so gut wie tot bin..." "Das darfst du nicht sagen.", zische ich und wende mich wieder dem Bildschirm zu. Die Diamanten, die mein rot-schwarzes Kleid zieren, reflektieren die Spiegelung des Fernsehers. Das Kleid geht mir zu meinem Leidwesen bis zu den Knöcheln. "Wetten ich falle auf der Bühne hin.", knurre ich und starre auf meine hohen Schuhe. Sie sind schlicht und schwarz. Eigentlich sollte ich Cinna dankbar sein, diese Schuhe tragen zu dürfen. Die, die ich bei Effie tragen musste, waren um einiges höher. Trotzdem habe ich keine Lust, vor hunderten Leuten Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. "Ach was.", flüstert Percy. "Das wird schon. Und übrigens. Du siehst toll aus." Ich lächle. "Danke. Du auch." Vorsichtig taste ich nach dem Blumenkranz auf meinem Kopf. Er besteht aus schwarzen Rosen, die mit Draht aneinander gereiht sind. Aber der Kranz hat etwas Besonderes an sich. Ein Druck auf einen Knopf und um den Kranz züngeln sich falsche Flammen. Das Feuer sieht täuschend echt aus, wird mich jedoch nicht verletzen. Den Knopf trage ich an einem Armband, das locker um mein Handgelenk baumelt. Ich hoffe nur, dass der Kranz die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich lenken wird und keiner mehr darauf achtet, was ich tue oder sage.

Catos Wirklich Wahre Geschichte Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt