6. Kapitel

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Die ganzen nächsten Tage verbrachte ich im Halbschlaf und lehnte mich an jede Schaufel oder jeden Baum die ich finden konnte, um wenigstens für ein paar wenige Sekunden die Augen schließen zu können. Die Nacht mit meinem fürchterlichen Alptraum hing mir immer noch nach. Zart, der Hüter der Hackenhauer, dem ich heute zugeteilt war, sah das allerdings nicht sehr gerne. Jedesmal wenn er mich beim dösen erwischte stupste er mich an, sodass ich das Gleichgewicht verlor und mich wieder an die Arbeit machte.
Höchstens eine Stunde nach dem Frühstück wusste ich schon nicht mehr was ich gegessen hatte, so müde war ich und bedauerte sehr, dass es auf der Lichtung keinen Kaffee gab. Warum ich mich an Kaffee erinnern konnte, aber nicht daran mit wem ich zum ersten Mal einen getrunken hatte oder wo, verstand ich immer noch nicht. Aber Gedanken daran zu verschwenden und sich den Kopf zu zerbrechen brachte Kopfschmerzen.
Der heutige Tag zog sich wieder wie kaugummi und größten teils versuchte ich einfach an nichts zu denken. Meine Gedanken einfach einmal aufzuräumen ohne bei jeder Überlegung neue Fragen aufzuwerfen. Meine Kapazität war deutlich überschritten.
Gegen Mittag sah ich wie bereits ein Teil der Läufer in den kartenraum lief. Seltsam, wie ich es bisher beobachtet hatte, verbrachten sie auch noch den Nachmittag und frühen Abend im Labyrinth, so lange wie es vor dem schließen der Tore möglich war. Als Tom mir kurz zuwinkte, bevor er hinter der Tür verschwand, fiel mir wieder ein, dass er noch mit mir reden wollte, was wir bisher immer noch nicht geschafft hatten. Aber mein Entschluss stand fest. Heute Abend wollte ich Newt davon erzählen Läuferin zu werden, der war schließlich stellvertretender Anführer. In den letzten Tagen waren meine Gedanken bloß um das Labyrinth geschwirrt und darum, dass ich vielleicht etwas verändern könnte.
Eine halbe Stunde später saß ich angelehnt an einen Baum vor dem kartenraum und wartete auf Tom. Das warten vertrieb ich mir mit einem winzigen Nickerchen. Zart hatte meinen nächtlichen Vorfall vor einigen Tagen mitbekommen und dass ich immer noch damit zu kämpfen hatte und da er ein lieber Junge war, hatte er mich schon ein wenig früher in die Pause gelassen.
"Cass?", fragte mich eine dunkle Stimme, als ich gerade erst für gefühlte zwei Sekunden meine Augen geschlossen hatte. "Mmmh", war meine simple Antwort. "Was machst du hier?"
Ich öffnete ein Auge. "Hab auf dich gewartet.", sagte ich, als ich erkannte, dass es Tom war, der vor mir stand. "Gut. Wie müssen unbedingt reden!" Ich gab ein brummendes Geräusch von mir. "Aber dafür solltest du vielleicht wach sein, Cass!" Er rüttelte an meiner Schulter. "Bitte, nur fünf Minuten. Ich hab nicht so viel geschlafen die letzten Nächte." "Ja, das hab ich mitgekriegt, aber wir müssen trotzdem reden. Heute hab ich einen freien Nachmittag. Bitte, Cass, komm schon!" Murrend öffnete ich die Augen und ließ mich von Tom hochziehen. "Lass uns ein Stück in den Wald gehen, muss ja nicht jeder mitbekommen was wir besprechen." Sobald wir ein Stück der Bäume hinter uns gelassen hatten und ich mindestens fünf mal über irgendwelche Wurzeln gestolpert war, drehte Tom sich zu mir und begann auf mich ein zureden. Von wegen ich könnte auf keinen Fall ins Labyrinth gehen und Läuferin werden, weil alles Viel zu gefährlich war. Na klar. Ohne das er es aussprach wusste ich aber, dass es etwas damit zu tun hatte das ich ein verdammtes Mädchen war. Als ob ich deswegen weniger mutiger war als er. Tom redete noch weiter und immer schneller und eindringlicher, doch ich hörte kaum hin. Ich dachte daran, wie ich heute Abend mich in meinem warmen Schlafsack rollen würde, meine Augen schließen und... "Cass, hörst du mir überhaupt zu?!" Kurz schreckte ich auf, dann nickte ich schnell. "Schon klar, du willst nicht, dass ich Läuferin werde." "Ja und zwar weil es viel zu gefährlich für dich ist! Bitte, Cass. Versprich mir, dass du nie auch nur einen Schritt hinter die verfluchten Tore setzt! Bitte." Ich lächelte ihn an. "Tom ich hab dich echt gerne und wir sind doch Freunde oder?" Er nickte bekräftigend. "Aber aber so lieb ich dich auch hab, das hat nichts mit meiner Entscheidung zu tun, dass ich Läuferin werde!" Ich lächelte entschuldigend und drehte mich um. "Du bist schließlich auch schon nach kurzer Zeit Läufer geworden, wieso sollte ich das nicht auch können?", rief ich noch über meine Schulter, bevor ich hinter den Bäumen verschwand und zurück auf die Lichtung trat. Jetzt zählte es Newt zu überzeugen. Während ich vorher noch Zart im Garten helfen musste, auf dem Boden rumrutschte und irgendwelches Grünzeug mit komischen Begriffen mit Erde überschüttete, überlegte ich nach ausschlaggebenden Argumenten um Newt auf meine Seite zu holen. Ich wusste auch nicht genau warum ich unbedingt ins Labyrinth wollte, natürlich um den Lichtern zu helfen einen Ausweg zu finden, aber wahrscheinlich auch, um Ihnen zu beweisen, dass auch ein Mädchen mutig sein kann. Dieses ganze Geschlechter Drama ging mir nämlich total gegen den Strich.
Vor dem Abendessen erwischte ich Newt gerade, als er mit einem der Lichter gesprochen hatte. "Hey, ich muss mit dir reden!", begann ich. Newt wurde hellhörig und lächelte. "Also hör zu, es ist so. Ich weiß, dass ihr schon seit langer Zeit versucht aus diesem... ähm Gefängnis einen Ausweg zu suchen und ich hab da eine Idee. Wir wissen beide, dass ich irgendetwas ausgelöst habe, etwas verändert." Newts Gesichtsausdruck verfinsterte sich ein wenig, anscheinend gefiel ihm nicht in welche Richtung meine Überlegungen führten. Doch ich wollte mich davon nicht einschüchtern lassen. "Und... naja, da wäre es doch logisch mich auch ins Labyrinth zu lassen! Ich meine vielleicht löse ich ja auch etwas dort draußen aus oder finde... ich weiß nicht, vielleicht finde ich etwas das ihr übersehen habt." Ich lächelte überzeugend. "Newt, ich will Läuferin werden. Ich will euch helfen!", beendete ich meine kleine Rede stolz. Newts Mund klappte auf und er sagte nichts. Kein so gutes Zeichen. Er brauchte einige Momente um meine Worte zu verdauen, bis er es schaffte den Kopf zu schütteln. "Auf keinen Fall. Nein!" Jetzt war ich diejenige, die mit offenem Mund da stand. "Wie nein?!" Er schüttelte abermals den Kopf, als wolle er damit nicht mehr aufhören. "Nein, Cassy! Du gehst auf keinen Fall, unter keinen Umständen nach da draußen! Das ist zu...", doch ich ließ ihn nicht ausreden. "Zu gefährlich?! Newt!", meine Stimme wurde eine Oktave höher. "Ich bitte dich. Lass mich ins Labyrinth um euch zu helfen. Ich möchte euch unterstützen! Vielleicht kann ich was verändern!" "Nein! Du wirst nichts verändern! Seit zwei verdammten Jahren suchen wir da draußen nach einem Ausweg und haben nichts gefunden. Das würde sich auch nicht ändern, bloß weil du da draußen rumläufst. Du würdest bloß dein Leben und das aller anderer aufs Spiel setzten. Nein, Cassy, du wirst keine Läuferin!" Tränen stiegen in meine Augen, doch ich blinzelte sie weg. "Aber Tom ist auch Läufer und erst seit kurzem dabei. Er ist nicht viel länger hier als ich!" "Ja, aber Tommy hat auch... er hat Minho und Alby gerettet und eine Nacht im Labyrinth überlebt. Es blieb uns nichts anderes übrig, aber das ist auch was ganz anders..." Ich schnaubte. "Das ist überhaupt nichts anders. Wenn das sowas wie eine Probe ist, verbringe ich auch eine Nacht im Labyrinth. Wenn ich überlebe, darf ich dann Läuferin werden?" Newt schüttelte traurig den Kopf. "Du wirst nicht ins Labyrinth gehen.", sagte er sachlich. "Und ob. Wenn es sein muss verbringe ich dort auch eine verdammte Nacht, um euch zu zeigen, dass ich es auch drauf hab!" "Cassy, ich weiß, dass du stark bist und vermutlich sogar eine Nacht dort draußen überleben würdest. Aber als Tommy da draußen war, mit meinen beiden besten Freunden bin ich fast umgekommen vor sorge. Wärst du dort, würde ich das nicht aushalten." Seine Worte waren sanft gewesen, doch ich war zu wütend auf ihn und Tom und die Gott verdammte Welt. "Newt, ich muss. Ich weiß, dass ich etwas verändern kann. Verändern werde!" "Nein, Cassandra. Du gehst nicht da raus!" Es schmerzte, wenn er mich bei meinem vollen Namen nannte, doch das wollte ich mir nicht eingestehen.
"Wenn das deine letzten Worte sind, sind das verdammt schlechte. Du wirst schon sehen, ich werde Läuferin, ob du mir nun hilfst oder nicht!" Wütend drehte ich mich um und stapfte davon. Einige Jungen blickten mir hinterher, doch ich ignorierte sie. "Cassy!", rief newt hinter mir, doch ich drehte mich nicht um. Ha, dem würde ich es noch zeigen, der wird sein blaues Wunder erleben!

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