Jenseits von Gut und Böse

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"... Tja, und dann bin ich einfach abgehauen.", beendete ich meine Erzählung.

"Er hat dich einfach so geküsst?", fragte Brandon entgeistert.

"Es war mein erster Kuss. Und alles, was hätte schiefgehen können, ist auch schief gegangen. Emre ist mein  bester Freund und er war betrunken.", sagte ich deprimiert.

"Meinst du, er ist in dich verliebt?", wollte Brandon wissen.

"Ich habe keine Ahnung. Ich hab dir ja schon gesagt, dass er verrückt ist." Und gestern Nacht hatte er es mir endgültig bewiesen. Ich wusste nicht, wie ich ihm morgen begegnen sollte, wenn wir wieder den ganzen Tag in der Schule wären.

"Aber wie geht es jetzt weiter zwischen euch?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Wie gesagt, keine Ahnung."

"Vielleicht solltest du ihn eine Weile meiden, bis Gras über die Sache gewachsen ist.", schlug Brandon vor.

"Ich kann ihm nicht aus dem Weg gehen, er sitzt in jedem Fach neben mir!", beschwerte ich mich.

"Geh halt nicht zur Schule.", grinste Brandon, woraufhin ich die Augen verdrehte.

"Jetzt mal im Ernst, irgendwann muss ich ihn zur Rede stellen."

Als hätte es auf dieses Stichwort gewartet, vibrierte plötzlich mein Handy. Ein Blick darauf zeigte mir, dass es Emre war. Natürlich.

Bester Freund: Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann du gestern nach Hause gegangen bist - alles in Ordnung? Tut mir leid, dass ich jetzt erst frage, aber ich habe bis eben meinen Rausch ausgeschlafen... Nie wieder Alkohol."

Ungläubig las ich die Nachricht.

"Ist die von Emre?", erkundigte sich Brandon, woraufhin ich nickte und mein Handy so hielt, dass er die SMS lesen konnte. Er atmete zischend aus.

"Schiebt er den Kuss etwa auf den Alkohol?", empörte er sich.

"Oder er hat es wirklich vergessen. Er hat meinen ersten Kuss vergessen." Fassungslosigkeit stand mir ins Gesicht geschrieben und ich war drauf und dran, Emre eine wütende Antwort zu schicken, doch dann beschloss ich, ihn fürs Erste zu ignorieren.

"Oder er erinnert sich ganz genau daran und versucht es zu verschleiern.", grübelte Brandon weiter. "Ich wünschte, ich könnte ihm für dich ein blaues Auge verpassen."

Das brachte mich zum Lachen. Es war ja schon süß, wie mein Geisterfreund mich beschützen wollte.

"Ihr sollt euch nicht meinetwegen schlagen. Auch wenn ich das Angebot zu schätzen weiß." Lächelnd wandte ich meinen Blick zurück zu der Uhr auf meinen Handy und seufzte daraufhin.

"Tut mir leid, aber ich muss schon wieder los. Ich habe meiner Mutter versprochen, ihr beim Backen zu helfen.", sagte ich wehmütig. Ich vermisste Brandons Kommentare schon jetzt.

"Ist ja in Ordnung. So lange wie heute warst du, glaube ich, noch nie hier.", meinte er breit grinsend.

"Ja, aber ich hab fast nur von mir geredet." In einem Anflug von schlechtem Gewissen biss ich mir auf meine Unterlippe.

"Dafür erzähle ich dir das nächste mal vom spannenden Friedhofs-Alltag.", kündigte Brandon sarkastisch an und brachte mich erneut zum Kichern.

"Danke jedenfalls. Für das Zuhören und die Ratschläge." Ich stand auf und machte Anstalten, zu gehen, doch Brandon stoppte mich.

"Warte, ich begleite dich noch bis zum Friedhofstor."

Ich zuckte mit den Schultern und machte mich dann, mit ihm an meiner Seite, auf den Weg. Als ich das Tor erreicht hatte, schaute er sehnsüchtig auf die Straße dahinter.

Das Mädchen, das mit den Toten sprachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt