Wenn das der Tod war, war er nicht so schlimm wie erwartet. Das Licht war schön und rein, umschmeichelte und liebkoste mich. Glücklich breitete ich meine Arme aus und sah mich staunend um. Das Wort 'schön' vermochte es nicht, dieses Licht zu beschreiben. Es war göttlich. Umwerfend. Ich hatte etwas Vergleichbares nur wenige Male gesehen, und zwar als Geister diese Welt verließen.
Und kaum, als mir das auffiel, schwächte das Licht ab und ließ uns erneut im Halbdunkel zurück. Emre und mich. Doch auch Brandon, dem Entsetzen aus dem Gesicht sprach.
Ich sah mich nach dem Grund um und als ich erkannte, was für seinen Ausdruck verantwortlich war, fiel mir selbst die Kinnlade herunter.
Denn um uns herum standen Geister. Strahlende Gestalten, fünf an der Zahl. Und ich kannte sie alle. Ich sah die hübsche Roxane, wie sie entschlossen Brandon fixierte, Georg, der diesen wütend niederstarrte, Elisabeth, die uns besorgt musterte und Erich, der mich liebevoll anlächelte. Und dicht neben ihm stand eine weitere Geisterfrau, von der ich nur vermuten konnte, dass sie seine Partnerin war.
Sie standen anfangs im Halbkreis um Brandon herum, doch jetzt zogen sie die Schlinge enger. Ihm stand blanke Wut ins Gesicht geschrieben, als er im Zentrum ihrer Lichter stand.
"Nein! NEIIIN, VERSCHWINDET! LASST MICH IN RUHE, HÖRT AUF!" Sein Geschrei war markerschütternd, doch es verstummte ganz plötzlich, als die Geister ihre Augen schlossen und einander bei den Händen nahmen.
"VERFLUCHT LASST MICH HIER RAAAUUUUSSS!", kreischte Brandon erneut auf und warf sich gegen die strahlenden Körper der anderen Geister. Doch diese ließen genauso wenig nach wie eine Steinmauer und Brandons Versuche, zu entkommen, misslangen kläglich. Stattdessen wurde das Licht heller und umfasste Brandon nun vollkommen; es verwandelte die Nacht in Tag und ich suchte an Emres Schulter Halt. Er ergriff meine Hand, während wir gebannt das Schauspiel beobachteten.
"NEIN! NEIN! NEEEEEIIIIIIIIIIIIIINNNNN!" Brandon hörte sich an, als würde er Höllenqualen durchleben, doch ich konnte nicht sehen, was vor sich ging, da in genau diesem Moment das Licht so unglaublich hell wurde, dass ich meine Augen schließen musste. Ein starker Wind kam auf und zerrte an meinen Kleidern, woraufhin ich mich an Emre kuschelte, um mich vor der Kälte zu schützen.
Ein elektrischer Impuls schien durch meinen Körper zu wandern - und dann war alles vorbei.
Es war windstill und wieder stockfinster. Noch bevor ich mich umdrehte, wusste ich, das Brandon weg war. Und zwar für immer.
Doch ich brauchte die Gewissheit und schaute zu den fünf Geistern zurück. Sie keuchten etwas, doch sie waren allein. Brandon war besiegt. Ich sah in Emres fassungsloses Gesicht und spürte, wie sich Tränen der Erleichterung den Weg meiner Wangen herunterbahnten. Ich zog seinen Kopf zu mir nach unten und küsste ihn.
Und wie er den Kuss erwiderte. Es war kein angsterfüllter Kuss, kein liebevoller Kuss. Nein, er war aggressiv und leidenschaftlich. Er schmeckte nach Salz und Eisen, aber auch nach Überleben. Er drückte mich so fest an sich, dass ich kaum noch Luft bekam, doch das störte mich nicht im Geringsten, denn ich wollte nur noch ihn, bis ans Ende aller Zeiten.
Ein Klatschen holte uns zurück in die Wirklichkeit und wir lösten uns schweratmend voneinander. Das Geräusch kam von Roxane, die uns mit einem breiten Grinsen bedachte und uns dabei applaudierte. Ich lächelte mit glühenden Wangen zurück und stellte fest, dass sie mich irgendwie an Alice erinnerte.
"Wir haben es geschafft!", jubelte sie uns zu und ich rannte auf sie zu, um sie zu umarmen. Ich konnte sie tatsächlich berühren, was meine Vermutung bestätigte, dass die fünf mehr als nur einfache Geister waren.
"Ich- Nein, wir danken euch vielmals!" Ich löste mich von ihr und sah in jedes einzelne Gesicht. "Ohne eure Hilfe wären wir heute gestorben. Ich weiß nicht, wie ich mich jemals revanchieren soll."
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Das Mädchen, das mit den Toten sprach
FantasíaSeit sie vor drei Jahren versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, kann Bree die Toten sehen und sich sogar mit ihnen verständigen. Das führt dazu, dass für sie eine eigenartige Faszination für den Tod entwickelt und mehr verstorbene als lebendige F...