Die Woche verging schneller, als erahnt, und obwohl Emre mir versicherte, es wäre Geschenk genug wenn ich überhaupt käme, hatte ich ihm trotzdem ein Richtiges gekauft.
Und dabei war mir aufgefallen, dass man wohl erst wusste, wie gut man einen Menschen wirklich kannte, wenn man nach einem Geschenk für denjenigen suchte.
Und mit Emre kannte ich mich offenbar genauso gut aus, wie mit der Oberfläche des Jupiters, nämlich kein bisschen.
Wenn er ein Mädchen gewesen wäre, hätte ich es mir einfach gemacht. Ich hätte nach Schmuck oder Schminkzeug Ausschau gehalten oder hätte vielleicht auch was Persönlicheres basteln können. Aber was zur Hölle schenkte man Jungs, dass den Standardwert von 15€ nicht überschritt?
Da ich mein Taschengeld in Höhe von hundert Euro pro Monat sowieso nicht ausnutzte, beschloss ich also, vom Standardwert abzuweichen und kaufte ihm sündhaft teure Kopfhörer. Da er Tänzer war, hielt ich es nur für logisch, dass er auch Musik mochte, und dann konnte es ja nicht schaden, wenn diese auch noch einen guten Klang hatte.
Ich hatte mein Geschenk sogar eingepackt und vielleicht war das einer der Gründe, weshalb ich mich besonders dämlich fühlte, als ich schließlich im Garten der Location stand und verzweifelt nach Emre suchte. Er war die einzige Person, die ich hier kannte. Okay, ich korrigierte - eigentlich war fast mein gesamter Jahrgang hier. Also hatte ich die meisten Leute wenigstens schon mal gesehen. Aber der Typ, der jetzt auf mich zukam, war definitiv ein Fremder.
"Hi.", begrüßte er mich lächelnd und wurde daraufhin von mir intensiv gemustert. Er sah gut aus keine Frage, aber er schien etwas zu alt zu sein, um tatsächlich zu Emres Freunden zu gehören. Mitte zwanzig war er garantiert.
"Hey.", antwortete ich trotzdem, um nicht unhöflich zu erscheinen. "Kannst du mir vielleicht sagen, wo ich Emre finde?", fragte ich ihn nach Hilfe.
"Ich kann dich gerne hinbringen, wenn du möchtest." Er strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht und lächelte mir verführerisch zu. Ich ignorierte das Risiko, dass er es als Annäherungsversuch deuten könnte und nahm sein Angebot trotzdem an.
"Das wäre nett, danke."
"Großartig. Er ist drinnen." Er legte einen muskulösen Arm um meine Schultern und deutete mit der anderen Hand auf das Gebäude. Ich fühlte mich unwohl unter seiner Berührung, doch falls er das bemerkte, ignorierte er es. Sobald wir die Tür zu dem Bungalow öffneten, schwoll der Lärmpegel ins Unermessliche an. Ich musste dem Drang, mir die Ohren zuzuhalten, widerstehen und suchte stattdessen die tanzenden und sich unterhaltenden Menschenmassen nach meinem einzigen Freund ab.
"Wer bist du eigentlich?", schrie der Fremde Schönling jetzt an meinem Ohr, allerdings konnte ich ihn trotzdem kaum verstehen, weil wir in dem Moment direkt an Lautsprechern vorbeigingen.
"Ich bin Bree.", stellte ich mich vor. "Emres Freundin."
Ich brauchte einen Moment und den verdutzten Gesichtsausdruck des Fremden, damit mir auffiel, wie schnell man das falsch verstehen konnte.
"Also, ich bin eine Freundin.", korrigierte ich mich schnell und ein Lächeln trat wieder auf die Lippen dieses Typens. "Er ist mein bester Freund."
Und mein einziger Freund, allerdings würde ich das diesem Kerl sicher nicht erzählen.
"Oh, da vorn steht er ja schon." Er deutete tatsächlich auf Emre, der sich gerade mit dem DJ zu unterhalten schien. Ich wollte mich noch für die Hilfe bedanken, doch der Fremde ließ seinen Arm bereits wieder von meiner Schulter gleiten und streifte dabei meinen Hintern. Ich versteifte mich und sah ihm verstört hinterher, doch da er wegging, als wäre nichts gewesen, vermutete ich, dass es sich tatsächlich um ein Versehen handelte.
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Das Mädchen, das mit den Toten sprach
FantasíaSeit sie vor drei Jahren versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, kann Bree die Toten sehen und sich sogar mit ihnen verständigen. Das führt dazu, dass für sie eine eigenartige Faszination für den Tod entwickelt und mehr verstorbene als lebendige F...