Ich hatte noch nie in meinem Leben Liebeskummer. Doch immer, wenn ich darüber nachgedacht hatte, hatte ich vermutet, dass es sich genau so anfühlen würde.
Ich lag seit Stunden wach in meinem Bett, da ich keinen Schlaf mehr finden konnte, und starrte an die Decke. Mittlerweile war es sogar wieder hell. Doch ich fühlte mich komisch, mir war regelrecht schlecht und immer wenn meine Gedanken auch nur ansatzweise zu Emre rüber schweiften, spürte ich wieder diesen Splitter, der seit gestern in meinem Herzen saß. Und ich dachte die ganze Zeit an Emre.
Ich brauchte dringend etwas Ablenkung, also stand ich auf und begann, mich anzuziehen. Ich würde Brandon und Erich einen Besuch abstatten und mich bei ihnen so richtig ausheulen. Emre stand ja nicht zur Verfügung, vielleicht sogar nie wieder. Allein die Möglichkeit, dass Emre und ich uns gestern das letzte Mal als Freunde betrachtet haben könnten, ließ Tränen in mir aufsteigen. Doch ich kämpfte sie nieder und machte mich auf den Weg zu den Freunden, die mir nie den Rücken kehren würden.
Kurze Zeit später erreichte ich den Friedhof und die Bank bei Erichs Grab. Er und Brandon warteten bereits auf mich und ich fühlte mich bei Brandons Lächeln gleich besser. Ich setzte mich zu ihm auf die Bank und rutschte so nah zu ihm wie möglich. Dann zog ich meine Beine an, lehnte mich zurück und schloss die Augen.
"Harte Nacht gehabt?", erkundigte Brandon sich einfühlsam.
"Ja, verdammt. Ich konnte kaum schlafen.", seufzte ich.
"Kenn ich. Hab seit Monaten kein Auge zugetan.", witzelte er.
"Blödmann. Ich komme her mit gebrochenem Herzen und du machst Witze darüber, dass Tote keinen Schlaf brauchen.", beschwerte ich mich.
"Aber was ist mit dem weit verbreiteten Irrglauben, dass man noch genug schlafen kann, wenn man tot ist? Du musst die Menschen warnen, Bree. Du musst ihnen sagen, dass die Theorie mit den ruhelosen Geistern richtig ist.", beharrte Brandon mit ernstem Gesichtsausdruck. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu.
"Okay, tut mir leid. Ich dachte, so könnte ich dich am ehesten aufmuntern.", entschuldigte er sich.
"Schon gut.", murmelte ich und legte meinen Kopf auf meine Knie.
"Es ist wegen gestern, oder? Willst du mir erzählen, was Emre gemacht hat?", fragte Brandon vorsichtig.
"Ich weiß selbst nicht so genau, was eigentlich passiert ist, außer dass ich festgestellt habe, dass ich ihn nicht halb so gut kenne, wie ich dachte. Er hat mir nebenbei mitgeteilt, dass er sich für ein BWL-Studium bewerben wird. Wenn er es nicht sogar schon getan hat." Ich ließ meinen Blick über den Friedhof streifen und betrachtete die blätterlosen Bäume, deren Äste mit Schnee bedeckt waren. Ich fühlte mich taub, ohnmächtig. Als wäre auch ich unter einer Schneeschicht vergraben.
"Aber das war doch nicht alles, oder?", hakte Brandon nach und sah mich eindringlich an.
"Nein. Wie du ja mitbekommen hast, haben wir gestern Bilder gemacht. Emre war auch mit dabei. Einmal musste ich mich für ein Bild umziehen und als ich aus meiner, ähm, Umkleide herauskam, sah ich, wie Emre und Alice sich umarmten. Du weißt schon, so eine richtig feste, innige Umarmung. Als würde zwischen den beiden etwas laufen.", erzählte ich weiter.
"Und du warst eifersüchtig.", stellte Brandon fest. Er atmete laut aus und lehnte sich zurück.
"Nein.", behauptete ich. Du lügst.
Ich ignorierte die innere Stimme und fuhr fort: "Ich war nicht eifersüchtig. Und das habe ich Emre auch klar gemacht, doch aus irgendeinem Grund wollte er mir unbedingt weismachen, dass zwischen ihm und Alice nichts als Freundschaft war. Ich hab ihm gesagt, dass mir egal wäre, was zwischen ihnen ist und daraufhin ist er wütend geworden. Wir haben das Bild geschossen und weil es das letzte war, auf dem auch er zu sehen sein sollte, ist er abgehauen. Weißt du, was seine Ausrede war? Er hat gesagt, er muss zur Arbeit. Er hat einen Job, Brandon. Einen Job, von dem er mir nichts erzählt hat. Dabei hat er mir früher alles erzählt."
![](https://img.wattpad.com/cover/87433403-288-k619282.jpg)
DU LIEST GERADE
Das Mädchen, das mit den Toten sprach
FantasySeit sie vor drei Jahren versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, kann Bree die Toten sehen und sich sogar mit ihnen verständigen. Das führt dazu, dass für sie eine eigenartige Faszination für den Tod entwickelt und mehr verstorbene als lebendige F...