Träume sind Schäume

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Emres Hand legte sich an meinen Hinterkopf und er zog mein Gesicht langsam zu seinem heran. Um ihm entgegenzukommen, beugte ich mich nach vorn und stellte mich auf Zehenspitzen, dann legte ich meine Hände in seinen Nacken und schloss die Augen. Und dann, ganz sanft, spürte ich, wie seine Lippen die meinen berührten.

Plötzlich ertönte ein schrilles Piepen und ich öffnete meine Augen wieder. Verwirrt sah ich mich um, nur um festzustellen, dass ich nicht in Emres Armen, sondern in meiner Decke eingewickelt war. Ich schaute zu meinem Wecker und schaltete das nervtötende Klingeln ab, um mich frustriert zurück in mein Bett zu werfen.

Das konnte einfach nicht wahr sein, jetzt arbeitete sogar schon mein Unterbewusstsein gegen mich. Emre und ich waren doch nur Freunde. Wann hatte sich daran etwas geändert? Naja, zumindest für mich. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wie ein Teenager, der seine Hormone nicht unter Kontrolle hatte und sich in alles verliebte, was nicht bei drei auf dem Baum war. Aber Emre trug ja auch einen erheblichen Teil dazu bei. Er ließ keine Chance aus, um mir zu sagen, wie schön ich wäre und hey - er war der Erste und Einzige, der so etwas je zu mir gesagt hatte. Er berührte mich und kuschelte mit mir und ich überinterpretierte alles, was er sagte oder tat. Es war zum Haare raufen.

Unfähig, anstrengende Bewegungen auszuführen, rollte ich mich aus dem Bett, woraufhin ich auf meinen Zimmerboden plumpste und erst richtig wach wurde. Ich setzte mich auf und rieb über meine müden Augen, bevor ich mich geschlagen gab und doch noch aufstand. Lustlos holte ich Klamotten aus dem Schrank, ohne sie mir vorher genau anzusehen, und betrat den Flur, wo ich sofort auf meine Mutter traf.

"Nanu? Du bist an einem Samstag schon so früh wach?", wunderte sie sich und schaute zu der Uhr in unserem Flur, die gerade mal Viertel neun anzeigte.

"Das könnte ich dich das gleiche fragen, schließlich hast du Samstags bisher immer frei gehabt. Ich mach das Fotoshooting mit Emre und Alice - was ist deine Ausrede?"

"Mein Chef braucht mich.", seufzte meine Mutter und ich verdrehte die Augen.

"Bist du etwa seine einzige Angestellte?", fragte ich ironisch.

"Das würde ich auch mal gerne wissen. Naja, ich muss los. Macht euch einen schönen Tag, ihr drei." Sie schob sich ihre Tasche über den Arm, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand dann durch die Tür. Ich marschierte ins Bad und machte mich fertig.

Ungefähr eine Stunde später hatte ich alles erledigt und checkte mein Handy. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich hoffte auf eine Nachricht von Emre.

Natürlich hatte er mir nicht geschrieben.

Schreib du ihm doch, flüsterte eine wagemutige Stimme in meinem Innern, doch ich verwarf die Idee sofort wieder. Stattdessen öffnete ich die Nachricht, die Alice mir geschrieben hatte.

Alice: Kannst du heute vielleicht einige Klamotten mitbringen? Wir wollten ja auch Beerdigungsbilder machen und da bietet sich dein Kleiderschrank ja schon irgendwie an :D

Ich lachte kurz auf und tippte eine Antwort ein.

Kein Problem :) Sonst noch was?

Ich schloss meine Nachrichten wieder und stellte auf der Zeitanzeige meines Handys fest, dass ich noch etwa zwanzig Minuten Zeit hatte, bis ich bei Emre sein sollte. Wir hatten uns darauf geeinigt, uns bei ihm zu treffen, da wir auch Emilian bei unserem Projekt mit einbeziehen wollten. Er war seinem großen Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten und eignete sich somit hervorragend für das Thema 'Aufwachsen'. Hoffentlich hatte Emre es auch geschafft, ihn zu überzeugen, schließlich war er der einzige Introvertierte in der gesamten Familie, den Vater mal ausgenommen.

Das Mädchen, das mit den Toten sprachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt