Der Anfang einer Reise

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Als ich am nächsten Morgen mit meinem Koffer und einer weiteren Reisetasche vor Emres Haustür stand, hatte ich nachts kein Auge zugetan. Die Gedanken an Brandon und seine schnell wachsenden Kräfte hatten mir unentwegt Sorgen bereitet. Ich konnte Geister noch nie zuvor riechen - was würde als Nächstes kommen? Würde ich ihn fühlen können? Wobei er ohnehin schon der einzige Tote war, der nicht eiskalt, sondern angenehm warm war. Bisher hatte ich das immer ignorieren können, aber inzwischen machte es mir fast Angst.

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass Brandon wieder lebendig wird.

Aber das war vollkommen unmöglich. Und daran festhaltend, klingelte ich an der Tür meines Freundes. Seine Mutter hatte angeboten, uns zur Schule zu fahren, damit wir nicht zu Fuß mit dem Gepäck unterwegs sein müssten, und ich hatte dankbar angenommen. In dem Moment schwang auch schon die Tür auf und ein zerzauster Emre zog mich in seine Arme.

"Guten Morgen, Häschen.", murmelte er in mein Haar. Dabei entging mir nicht, wie verschlafen er sich noch anhörte.

"Guten Morgen.", schmunzelte ich. "Du bist wohl gerade erst aufgestanden?"

"Ist das so offensichtlich?"

"Naja, du stehst nur in deiner Pyjamahose vor mir.", lachte ich, während wir uns aus der Umarmung lösten. Ich betrachtete seine beachtlichen Muskeln und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Nicht, dass mir das etwas ausmachen würde."

Er nahm mein Gesicht in die Hände und küsste mich. Zu meiner Erleichterung hatte er sich schon die Zähne geputzt, also ging ich darauf ein, bis wir ein Räuspern hörten.

"Willst du unseren Gast hereinbitten oder noch ein bisschen länger halbnackt in der Tür rumstehen? So hab ich ihn nicht erzogen, glaub mir das, Bree. Komm ruhig rein, ich hab Rührei gemacht und es ist mehr als genug da.", begrüßte Emres Mutter mich. Emre ließ murrend von mir ab und ich umarmte seine Mutter.

"Schön, dich mal wieder zu sehen.", lächelte sie mich freundlich an, woraufhin Emre die Augen verdrehte.

"Sie war doch erst gestern hier, Mama!", lachte er.

"Ach, halt du die Klappe. Zieh dir lieber mal was an, wir wollten in einer Viertelstunde losfahren!", antwortete ihm seine Mutter und ging dann in Richtung Küche voraus.

"Ich hoffe, du hast wenigstens schon deinen Koffer gepackt?" Ich warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, denn er verschmitzt erwiderte.

"Fast fertig! Bis gleich!", er warf mir eine Kusshand zu und verschwand in seinem Zimmer, was ich mit einem Seufzen quittierte.

Anschließend folgte ich seiner Mutter in die Küche, von wo aus schon ein paradiesischer Duft in den Flur wehte.

"Da bist du ja! Hier, setz dich ruhig schon hin, Emre braucht ja noch etwas länger." Ich setzte mich neben Emres Stammplatz und bekam eine ordentliche Portion Rührei aufgetischt. Vor mich stellte Emres Mutter außerdem gebratenen Speck und Brot, von dem ich mir jeweils etwas nahm. Ich fing an zu essen, während sie mir sogar noch ein Glas mit Wasser hinstellte.

"Und Anda und Emilian sind schon in der Schule?", erkundigte ich mich, um ein Gespräch aufzubauen.

"Ja, die mussten heute laufen. Zweimal wollte ich nicht fahren.", lachte sie. "Es hat Anda gar nicht gefallen, dass sie Emilian zur Schule bringen musste. 'Das sind mindestens 5 Kilometer, die ich extra laufen muss!'", imitierte sie ihre Tochter. "Dabei sind es nicht mal zwei."

"Na, was erzählst du wieder, Mama?" Emre stand im Türrahmen, diesmal vollständig bekleidet und mit geordneter Frisur. Ich bewunderte jedes Mal, wie er es schaffte, so schnell fertig zu werden. Am längsten brauchte er echt zum Essen.

Das Mädchen, das mit den Toten sprachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt