Frieden finden

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"Sag ihr, dass es mir unglaublich leid tut.", bat mich Elisabeth.

"Sie sagt, es würde ihr leid tun.", richtete ich mich an ihre Tochter. Leanne jedoch sah einfach nur wütend aus.

"Was denn genau? Dass sie mich für meine Berufswahl verurteilt hat? Oder für meine Partnerwahl?", knurrte sie zurück.

"Beides.", antwortete ich und schaute Elisabeth fragend an.

"Ich komme doch noch aus einer anderen Zeit, Leanne. Damals war es selbstverständlich, dass Frauen Kinder bekamen und zuhause blieben. Aber nicht, dass sie Automechaniker werden und mit einem Japaner durchbrennen!", rief Elisabeth ihrer Tochter zu.

"Sie sagt, dass es zu ihrer Zeit nicht üblich war, dass Frauen solche Wege wie Sie einschlugen. Sie hat auch Ihren Beruf und den Japaner erwähnt.", gab ich ihre Aussage sinngemäß wieder.

"Ich bin keine Mechanikerin mehr, Mutter. Ich habe einen Platz in Hirotos Firma. Und wir sind immer noch ein Paar und sehr glücklich zusammen.", erzählte Leanne.

"Wie geht es den Kindern?", fragte ich für ihre Mutter.

"Mei kommt dieses Jahr in die erste Klasse und Haru hat uns vor Kurzem seine erste Freundin vorgestellt. Mit zehn Jahren." Ein seliges Lächeln breitete sich aus Leannes Gesicht aus und ich sah, dass Elisabeth es erwiderte.

"Das freut mich zu hören.", sagte sie und ich gab ihre Aussage weiter.

Doch Leanne hörte auf zu lächeln und ihr Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. "Ich verstehe nicht, warum du jetzt damit ankommst. Warum du jetzt eine Versöhnung willst, Mutter. Schließlich hast du meine Entscheidungen all die Jahre lang schlecht gemacht. Und jetzt, wo du tot bist und wir einen Übersetzer brauchen, damit ich dich hören kann, jetzt willst du dich entschuldigen?" Der Vorwurf in Leannes Stimme war unüberhörbar und Elisabeth blickte beschämt zu Boden.

"Ich weiß, dass die Entschuldigung zu spät kommt. Und es tut mir ehrlich leid, dass ich das früher nicht gewusst habe. Ich habe Fehler gemacht, wo es nur ging und mir ist klar, dass ich dich damit sehr verletzt habe. Ich bin deine Mutter und das Einzige , was du dir von mir gewünscht hättest, wäre Verständnis und Unterstützung. Doch die hast du nie von mir bekommen."

Nachdem ich die Nachricht wiederholte, schimmerten Tränen in Leannes Augen.

"Da hast du verdammt nochmal Recht. Ich war so voller Stolz und du hast mich immer nur klein gemacht. 'Das ist keine Arbeit für eine junge Frau', hast du mir erklärt. Ich sollte lieber einen Anderen heiraten, hast du mir geraten. Ich hatte gewaltige Probleme mit meinem Selbstbewusstsein und musste sogar eine Therapie machen, damit es mir endlich besser ging!", hagelte es Vorwürfe.

Und da wusste ich, dass dieser Tag Höchstes von mir abverlangen würde.

. . .

"Sie wollte immer nur Ihr Bestes!", übersetzte ich ungefähr eine Stunde und fünfhundert Anschuldigungen später für Leanne. "Sie wollte, dass Sie ein besseres Leben als sie selbst haben würden. Sie konnte es nie so ausdrücken, aber es entspricht der Wahrheit. Wie Eltern nun mal sind, wollen sie ihre Kinder immer beschützen, auch vor sich selbst. Doch dass Elisabeth dabei eine Grenze überschritten hat, ist ihr erst im Tode klar geworden!"

Leanne hatte mittlerweile gerötete Augen und Mascaraspuren auf ihren Wangen. Auch ich hatte zwischenzeitlich geweint, doch ich konnte mir nicht im Entferntesten vorstellen, wie sich diese Situation für Leanne anfühlen musste.

"Ich vermisse dich, Mama.", schluchzte sie zu meiner Überraschung. Meine Augen weiteten sich, während Elisabeth in das Weinen ihrer Tochter mit einstimmte.

"Und ich euch erst!", heulte sie, nur wenige Zentimeter von ihrer Tochter entfernt.

"Sie vermisst euch auch.", teilte ich Leanne mit, woraufhin ein weiteres Schluchzen ertönte.

"Ich hab dich so lieb. Es ist grauenvoll, dass wir uns nie versöhnt hatten.", antwortete sie.

"Oh, mein Schatz, ich... Ich liebe dich auch so sehr. Ich habe dich immer geliebt. Und ich bin dir so dankbar dafür, dass du heute hergekommen bist.", lächelte ihre Mutter unter all den Tränen.

"Sie liebt Sie natürlich auch und bedankt sich, dass Sie heute hier sind, um sich mit ihr zu treffen.", wiederholte ich Elisabeths Nachricht.

"Ich verzeihe dir, Mama. Ich verzeihe dir, dass du mich in der Vergangenheit so unter Druck gesetzt hast und auch alles Andere. Du sollst deine Ruhe finden. Ich verzeihe dir."

Elisabeth erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sich ein erleichtertes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie sah zu mir und verabschiedete sich mit den Worten: "Sie muss wissen, wie sehr ich sie liebe. Sie darf nie wieder daran zweifeln. Lebewohl, Bree. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast." Dann beugte sie sich vor und hauchte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. Doch während sie das tat, begann sie, hell zu erstrahlen wie auch Roxane und Georg vor ihr und ehe ich blinzeln konnte, verschwand sie in dem Licht und ließ mich und ihre Tochter allein zurück.

Stille trat ein. Ich lächelte glücklich in Richtung des Orts, wo bis eben noch Elisabeth stand, während sich Zufriedenheit in mir ausbreitete.

"Sie ist weg, oder?", fragte jetzt Leanne. Sie sah etwas geschockt aus, weitere Tränen standen schon in ihren Augen.

"Ja. Es tut mir leid. Aber sie wird nicht wiederkommen können.", sagte ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Eine meiner besten Freunde war endgültig gestorben, doch es war das Beste, was ihr hätte passieren können.

"Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ich habe ganz kurz... Ich meine, ich hatte kurz das Gefühl, als hätte sie mich geküsst und dann war da dieses Leuchten... Kann das überhaupt sein?", stammelte sie.

"Ihre Sinne haben Sie nicht getäuscht. Es ist tatsächlich so passiert.", erklärte ich ihr, woraufhin sie erneut lächelte.

"Dann möchte ich Ihnen danken, Bree. Was Sie heute getan haben, war sicherlich außergewöhnlich und bestimmt nicht selbstverständlich. Und nicht nur meine Mutter konnte endlich Frieden finden." Sie kam auf mich zu und zog mich in eine feste Umarmung, die ich freudig erwiderte.

"Sie müssen nie wieder an der Liebe ihrer Mutter zweifeln. Das war ihr wichtig. Sie hat sie mehr als alles Andere geliebt.", verriet ich ihr. "Ach, und bevor ich es vergesse: Der Code für den Safe ist Harus Geburtstag.", schmunzelte ich und Leanne löste sich erstaunt von mir.

"Der graue Safe?"

"Genau der.", grinste ich.

"Vielen Dank. Und leben Sie wohl." Leanne wandte sich zum Gehen, doch diesmal musste ich sie nicht aufhalten.

Ich sah ihr lächelnd hinterher, bis ich die Person entdeckte, die an ihr vorbei auf den Friedhof lief und auf mich zukam.

Oh Gott.

. . .






Oooh, wer mag das sein? Ich weiß, ein superkurzes Kapitel, aber diesen Cliffhanger musste ich einfach nutzen :D Und dieses Mal lasse ich euch nicht so lange warten, bis das nächste Kapitel kommt. Vielleicht schaffe ich es noch heute, vielleicht erst morgen, mal sehen. Freut euch drauf, es werden unerwartete Wendungen eintreten, hehe.

Bussi, bis spätaaa <3

Das Mädchen, das mit den Toten sprachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt