~Erstes Kapitel~

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Mit leisen Schritten schlich ich durch die dunklen Flure des königlichen Palastes, welcher nur durch finstere Laternen an den Wänden beleuchtet wurde. Keiner war mehr wach, nur wenige der Wachen patrouillierten in diesem Bereich, sodass ich mich unbemerkt aus meinem Zimmer stehlen konnte. Der Palast wurde zwar gut von außen bewacht, doch Innen herrschte bedrückende Ruhe.

Fast lautlos stieg ich die Stufen der breit läufigen Treppe des Stockwerk der königlichen Familie herab. Dort wohnte ich mit meinem Vater, den König der Tränenelben. Viele Freunde hatte ich nicht, denn mein Vater achtete sehr auf meine Sicherheit. Nur die stummen Wachen sind meine Gesellschaft. Den großen Palast durfte ich nicht verlassen, nur manchmal konnte ich zusammen mit ein paar Begleitern ausreiten, doch dies war kein Vergleich. Immer waren sie bei mir und sicherten die Umgebung ab. Ich konnte nicht einmal kurz absteigen, denn die Gefahr eines Angriffes war zu groß. Und da stellte ich mir die Frage: Vor was möchte mich mein Vater beschützen? Selten ritten wir in den mächtigen Wald, der mein liebstes Ziel war. Die Ruhe und Einsamkeit dort schätzte ich sehr, denn gelegentlich regten mich meine ganzen Diener und Wachen erheblich auf.

Als ich unten ankam, wandte ich mich in den rechten Gang und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Wie alle anderen Elben konnte ich im Dunkeln gut sehen und ging ohne zu Zögern einfach weiter.

Nach ein paar Metern kam eine Abbiegung und ich lief in den linken Gang. Diesen Teil des Stockwerks benutzten nur wenige Elben. Trotzdem musste ich vorsichtig sein, denn die Wachen kannten mich mittlerweile sehr gut und unterbrachen meine nächtlichen Ausflüge oft genug.

An der Wand entlang fand ich mein Ziel, eine kleine Geheimtür, welche mir eine frühere und eher unbeschwerte Wache einmal gezeigt hatte. Der einzige unbewachte Ausgang aus dem gut bewachten Palast. Warum dieser so bewacht wurde, war mir unklar, denn unzählige andere Elben und Geschöpfe kannten uns vermutlich nur aus Legenden oder waren sich im Unklaren, dass es uns gab. Nur wenige wussten von unserem Bestehen. Wir lebten verborgen am äußersten nördlichen Rand von Mittelerde in einem dichten Wald.
Den Tränenwald.

Als ich mich durch die kleine Öffnung quetschte, hörte ich dumpfe Schritte auf dem Gang und ein heller Lichtschein flackerte an den steinernen Wänden. Schnell schloss ich die Geheimtür hinter mir und stand reglos in völliger Dunkelheit.
Die Wachen gingen an dem verborgenen Durchgang vorüber und ich atmete erleichtert auf, denn ich hatte zwischenzeitlich angespannt die Luft angehalten. Dann drehte ich mich freudig um und ging geduckt den engen niedrigen Gang entlang.

Plötzlich stieß ich gegen einen harten Widerstand.
Natürlich war es auch eine Geheimtür. Ich löste den verdeckten Mechanismus an der Wand aus und schlüpfte durch die kleine Luke in die erfrischend kühle Nacht.

Mit schnellen Schritten ging ich zu dem großen Gebäude der Stallungen und öffnete lautlos die schwere Holztür.
Bevor mich auch nur Jemand sehen konnte, verschwand ich wie ein Schatten im Pferdestall des Königs. Die dritte Box auf der rechten Seite gehörte meiner Stute. Sie war Schneeweiß und ich besaß sie schon seit meinem 10. Lebensjahr. Seit 283 Jahren begleitet mich dieses magische Wesen jetzt schon auf meinen nächtlichen Streifzügen durch den prachtvollen Tränenwald.

Mit einem leisen Wiehern wurde ich von ihr begrüßt und fuhr sanft mit meinen Händen über die zarten Nüstern.
Schnell war sie gesattelt und ich führte sie aus ihrer geräumigen Box. Am Ende der düsteren Stallgasse öffnete ich ein verborgenes Fach und holte meinen hölzernen Bogen und die Pfeile hervor. Ich besaß die Waffen gegen die Erlaubnis meines Vaters und hatte mir die Kunst des Kampfes selbst beigebracht.
Die zwei goldenen Dolche steckte ich an den Gürtel meines dunkelgrünen Kleides und schwang mich auf mein lautlos wartendes Pferd.

Kaum waren wir aus dem Stall geritten und das Hufgeklapper schallte durch die Straßen der Stadt, hörte ich auch schon laute Rufe hinter mir.

Die Wachen hatten mich entdeckt. Ich klopfte Zirouès leicht gegen die Flanke und sie galoppierte durch die dunklen Gassen. Die Schreie der Wachen wurden immer leiser und ich hatte mal wieder gegen die Befehle des Königs verstoßen.

Mit fliegender Mähne schoss meine Stute aus der kleinen Stadt und durch das geöffnete Tor hindurch.
Die Wachen, welche erschrocken aus der Spur sprangen, sahen mir verwundert nach.
Nun war ich im düsteren Wald angekommen. Im Winde leicht schwankende Bäume umgaben mich und mein Pferd Zirouès schritt langsam und vorsichtig durch die Dunkelheit. Nur der Mond beleuchtete unseren heimlichen Ausritt. Er tauchte den Wald in eine magische Stimmung und es schien, als würde er über uns Wachen. Ich seufzte glücklich auf und beugte mich zum Hals meiner Stute hinab.
"Danke, dass du mich gerettet hast.", flüsterte ich ihr in die vor Aufregung zuckenden Ohren. Sie schnaubte leise und trabte gemächlich an.

Die Sonne ging gerade mit ihrem wärmenden Licht auf und ich saß auf einer Wiese am anderen Ende des noch lichtlosen Waldes. Ich genoss es, wie der Wald und die Umgebung langsam aufwachten und immer mehr Tiere mir mit ihrer fröhlichen Art einen guten Morgen wünschten. Zwitschernd flogen kleine Vögelchen über die vom Tau durchzogenen Wiesen und ich konnte sogar einen Hirsch beobachten, welcher in aller Ruhe am Waldrand stand und die Umgebung und mich argwöhnisch betrachtete.

Als wir uns auf dem Heimweg machten und langsam in die Nähe des Palastes kamen, sah ich schon mehrere Wachen auf mich und Zirouès zueilen. Vorne weg die oberste Wache und der höchste Berater meines Vaters.

"Prinzessin Lòreen! Der König ist sehr verärgert über ihr Verschwinden. Wir müssen sie sofort zurück bringen!", rief er mir entgegen, bevor er sich tief vor mir verbeugte. Ich lächelte ihn warm an. Die verbotenen Stunden im Wald hatten mir sehr gut getan und meine Stimmung war auf dem Höchstpunkt.
Eine der Wachen nahm die Zügel von meinem Pferd und führte uns zurück nach Fólgrun, meiner Heimatstadt.
Ein Anderer nahm mir meine Waffen ab und versteckte sie sorgsam bei sich, der Elb zwinkert mir freundlich zu und verbeugte sich kurz, bevor er im Wald verschwand. Dankbar lächelte ich ihm nach. Mit den Waffen konnte ich nicht vor Vater erscheinen, dass wäre zu viel Aufregung für ihn.
Im Hof des Palastes stieg ich ab und bedankte mich bei Hòldur, der meine Stute wegführte und versorgte.

Als ich die Treppe hinaufstieg, wurde ich oben schon von meinem Vater erwartet. Ernst blickte er mich durch seine blauen Augen an. Seine Augen und die schimmernden, fast goldenen Haare hatte ich von ihm geerbt. Wir sahen uns zum Verwechseln ähnlich, nur dass seine Laune gerade nicht so überaus gut war wie meine.

Ich ging mit ruhigen Schritten auf ihn zu und verbeugte mich tief vor ihm.
"Verzeiht Vater. Ich habe eure Regeln missachtet. Doch ich habe es nicht mehr in den Engen des Schlosses ausgehalten.", fast schon traurig blickte ich zu ihm auf.
Er seufzte leise und lächelte mich leicht an. Die Wut und Sorge in seinen Augen verschwand augenblicklich und seine Augen funkelten voller Freude.
Er nahm mich fest in seine Arme und führte mich anschließend in den großen Saal, wo der lange Tisch schon gedeckt war. Er ließ mich an dem einen Ende Platz nehmen und setzte sich mir gegenüber.
Diener brachten Speisen und Getränke und versorgten uns schweigend und immer mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.
Dankbar strahlte ich die Elbin an, welche mir mein silbern glänzendes Glas mit einer fruchtig riechenden Flüssigkeit füllte.
Mein Vater blickte mich über den Tisch hinweg stumm an. Wird doch noch ein Unwetter auf mich zukommen?
Ich sah ihn kurz lächelnd an und begann zu essen. Die Speisen taten nach der anstrengenden Nacht gut, denn ich hatte schon den nagenden Hunger gespürt.

"Lòreen, du wirst nicht mehr den Palast verlassen. Ab jetzt wird immer eine Wache bei dir sein. Ob Tag oder Nacht. Deine Sicherheit ist mir zu wichtig. Wenn es sein muss, werde ich mich auch selbst darum kümmern.", streng und mit einer Stimme, welche Widerspruch nicht duldete, schallten die Worte über den Tisch hinweg durch den mächtigen Raum.
Erschrocken zuckte ich zusammen und sah ich von meinem Teller auf. Nun blickte ich in sein ernstes und hartes Gesicht. Seine Augen wirkten traurig, denn er wusste, wie schwer es mir fiel, ständig in dem großen Palast eingeschlossen zu sein.
"Ich will dich wirklich nicht einsperren müssen, aber die Gefahren da draußen sind zu groß für dich. Du lässt mir mit deinem Verhalten keine andere Wahl!"
Fassungslos von Vaters Worten kullerten mir kalte Tränen über die Wange und ich stand schweigend auf. Hinter mir fiel mein Stuhl krachend zu Boden und ich hörte einen erschrockenen Aufschrei einer Elbin. Mit schnellen Schritten und ohne auf mein Umfeld zu achten, verließ ich den Saal und lief in mein Gemach. Das konnte er mir doch nicht antun...
Als ich die Tür schließen wollte, kam eine Wache herein gestürmt und stellte sich wortlos neben die Doppelflügeltür.
Ich starrte den jungen und hübschen Elben traurig an. Er nickte mir nur kurz zu.
Mit Tränen in den Augen drehte ich mich um und ließ mich auf mein weiches Bett fallen. Dann ließ ich meiner Trauer vollen Lauf. Der Verlust meiner einzigen kleinen Freiheit war groß... Eingesperrt in diesem Palast.
Voller Traurigkeit schlief ich in den großen und daunenweichen Kissen ein.


Die Tränenprinzessin - Herr der Ringe FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt