Kapitel 2: Lichtblick

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Es war schon später Abend, als Norlans Mutter nach Hause von der Arbeit kam und er ihr mit tieftraurigem Gesichtsausdruck die Sache mit dem Fahrrad beichtete.

„DU HAST WAS?!" schrie sie ihn an.

„Weißt du wie lange ich sparen musste, um dir so ein Fahrrad zu kaufen?! Zwei Jahre! Zwei gottverdammte Jahre und du hast nichts anderes zu tun, als es irgendwo hinzuschmeißen und es dir klauen zu lassen?"

„Mama, bleib ganz ruhig, ich werd' das schon irgendwie-"

„Nein, ich bleib eben nicht ruhig! Deine Zensuren sind für'n Arsch und seitdem dein Vater uns verlassen hat, bin ich die Einzige, die hier Geld verdient und du schmeißt es raus, als ob es selbstverständlich wäre!"

„Nein, ich konnte doch nicht ahnen, dass-"

„Pff, weißt du was? Verschwinde auf dein Zimmer und lass mich in Ruhe!"

Mit nassen Augen ging er in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Er wusste, dass dieser Tag nicht mehr schlimmer werden könnte, als er so etwas, wie ein leises Weinen hörte. Es war seine Mutter. Vor Wut rammte er seine Faust und Arm gegen die Türen des Kleiderschrankes. Dass es soweit kommt wollte er doch nicht. Er wollte seine Mutter nicht zum Weinen bringen. Dadurch, dass sein Vater sie nach Norlans Geburt verlassen hatte, musste seine Mutter neben Haushalt auch noch als Kellnerin arbeiten und in die alte Neubauwohnung umziehen. Trotz finanzieller Schwierigkeiten, versuchte sie alles damit es ihrem Sohn gut ging und ihn nicht arm stehen zu lassen. Manchmal verzichtete sie sogar auf Essen, nur um Norlan mehr bieten zu können. Es machte ihn nur noch mehr fertig den Menschen weinen zu hören, der immer für ihn da war.

Mit diesem Wissen und einem tiefen Seufzer, schmiss Norlan sich in sein Bett mit dem Gesicht auf sein Kissen. 

„Wieso ich?" murmelte er und drehte sich auf die Seite. Seine Gardinen waren weit aufgerissen und der Mond beleuchtete seine grünen Augen. In dem Moment war ihm alles egal. Ihm wurde wieder einmal bewusst, dass er nur eine Last war. Für seine Mutter, für seine Lehrer, für alle. Hätte er sich selbst umgebracht, wäre seine Mutter zerbrochen, also kam sowas schon erst recht nicht infrage. Dafür liebte er sie zu sehr.

Wie immer konnte er nichts, aber auch rein gar nichts tun. Wenn er noch zusätzlich Arbeiten würde, hätte er so gut wie gar keine Freizeit mehr und dies würde sich nur noch schlechter auf seine Schulnoten auswirken. Diese Welt war echt nicht seins.

Mit dem Ziel ein bisschen Schlaf zu finden, deckte er sich zu und schloss seine grünen Augen. Eine unruhige Nacht erwartete ihn jedoch. Immer wieder wachte er voller Schuldgefühle auf und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Der innerliche Schmerz, die tiefen Ängste und Sorgen breiteten sich in ihm aus. Jedes Mal belog er sich selbst mit ein paar Ausreden, um seinen Kopf irgendwie von diesen Gedanken zu befreien und einzuschlafen. Bringen tat es nichts. Nicht die beste Ausrede hätte diese Schuldgefühle verschwinden lassen können. 

Jedes mal, als er aufwachte wurde sein Gehirn schwächer. Es war einfach zu erschöpft, um noch weiter darüber nachzudenken. Ein Hauch von Hoffnung doch noch wenigstens ein bisschen Schlaf zu bekommen beruhigte Norlan ein wenig. Seine Frustrationen lösten sich langsam und verließen seine Gedankengänge. Schließlich gab sein Geist endlich auf und ließ ihn endlich einschlafen. In der Hoffnung, dass morgen ein neuer, besserer Tag beginnen würde.

Norlan fand sich in einem Traum wieder. Ihm war klar, was das wieder bedeuten würde. Schon wieder ein Alptraum. Schon seit Wochen plagten ihn diese schweren Alpträume, die immer damit endeten, dass er mitten in der Nacht schweißgebadet aufwachte. Träume voller Schmerzen, Not und Elend. Er sah immer wieder ganze Horden von menschenähnlichen Kreaturen, die aufeinander rannten und sich bekämpften. Alles war voller Blut und überall lagen Leichen auf dem Schlachtfeld. Es war ein wahres Gemetzel. Das Letzte, was er in diesen Träumen jedes Mal sah, war eine frauenähnliche Gestalt, die von einer anderen großen Kreatur grauenvoll hingerichtet wurde. Nacht für Nacht sah er dieses fürchterliche Bild bevor er aufwachte. Dann auch noch in der gleichen Reihenfolge: Kämpfe, Gemetzel, Leichen, Hinrichtung. Immer und immer wieder das Gleiche.

So aber nicht dieser Traum. Er war nicht einfach nur ein Beobachter, er war...wirklich dort. Doch nicht der gewohnten Kriegsszenerie, sondern in einem Raum aus schwarz. Einem Meer aus purem Nichts. 

„W-wo bin ich?" fragte er sich und hörte sein langes Echo durch die ewige Dunkelheit hallen.

Mitten im großen Nichts, in einiger Entfernung zu Norlan, tat sich ein weißer Spalt auf, der wohl die einzige Möglichkeit war dem Nichts zu entrinnen. Er ging langsam darauf zu. Seine Schritte hallten stark und jede seiner Bewegungen schien leichter als sonst zu fallen als würde er geradezu nichts wiegen. Wenige Meter vor dem Spalt hörte er plötzlich eine männliche, relativ junge Stimme und blieb erschrocken stehen: „Endlich bist du da."

Zeitgleich mit diesen Worten spürte Norlan, wie ihn Etwas um seinen Rumpf packte. Er versuchte sich zu wehren, wurde jedoch langsam aber sicher zum weißen Spalt gezogen: „ Hey, was soll das?! Lass mich los!" schrie Norlan. 

Doch das Licht wurde immer heller bis er schließlich im hellen Weiß versank.


Kylak's WarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt